Soll ein 15-jähriger Transmensch selber entscheiden dürfen, ob er seinen Vornamen und sein Geschlecht auf dem Zivilstandsamt ändert – oder nicht? Diese Frage bewegt die Gemüter.
In der Schweiz leben je nach Schätzung zwischen 90'000 und 170'000 Transmenschen. Sie fühlen sich nicht dem Geschlecht zugehörig, dass ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde. Viele Transmenschen sind innerlich zerrissen. Die Suizidrate ist 40-mal höher als in der Gesamtbevölkerung.
Ungewolltes Outing
Hinzu kommen oft administrative Sorgen. In der Regel müssen Transmenschen ein langwieriges und teures Gerichtsverfahren durchlaufen, wenn sie das Geschlecht in ihren amtlichen Ausweisen anpassen wollen.
Tun sie das nicht, warten im Alltag zahlreiche Hürden, sagt Alecs Recher (44) vom Transgender Netzwerk Schweiz (TGNS): «Immer wenn Transmenschen ins Ausland reisen, in einen Club gehen oder einen eingeschriebenen Brief abholen, müssen sie ihren Ausweis zeigen – und sich zwangsläufig outen.» Gerade für Jugendliche sei es belastend, nicht selber entscheiden zu können, wann und vor wem sie sich outeten.
Therapie ohne Zustimmung möglich
Der Bundesrat hat das Problem erkannt – und will das Verfahren grundlegend ändern. Transmenschen sollen künftig auf dem Zivilstandsamt einfach und unbürokratisch ihren Vornamen und ihr Geschlecht anpassen können. Allerdings: Jugendliche Transmenschen brauchen dafür die Zustimmung der Eltern.
«Das ist absurd!», sagt Trans Man Recher. «Für die ganze medizinische Anpassung – die Hormonbehandlung, Operationen oder einfache Namensänderungen – sind urteilsfähige minderjährige Transmenschen nicht auf die Zustimmung der Eltern angewiesen.» Bei der Anpassung des Geschlechts auf dem Papier neu hingegen schon.
Experten fühlen sich «missverstanden»
Bundesrätin Karin Keller-Sutter (56) hatte im Juni im Ständerat für die Eltern-Klausel geworben: «Kinder und Jugendliche sind im Bereich der Geschlechtsidentität, gerade während ihrer Pubertät, verletzlich», argumentierte sie. Die jungen Menschen benötigten deshalb einen besonderen Schutz «gegen leichtsinnige Erklärungen oder den Einfluss von Dritten».
Sie habe diesen Aspekt intensiv mit Fachleuten diskutiert, sagte die Justizministerin vor den Ständeraten. Nur hat sie diese offenbar falsch verstanden. In einem Brief, der BLICK vorliegt, richten sich verschiedene Psychiater und Psychologen an die nationalrätliche Rechtskommission, die das Geschäft am Donnerstag behandelt.
Keller-Sutter habe ihre Haltung «missverständlich wiedergegeben», schreiben die Experten. Und weiter: «Es ist uns ein grosses Anliegen, Ihnen als Kommissionsmitglieder gegenüber richtigzustellen, dass wir Fachpersonen ein solches Zustimmungserfordernis stets abgelehnt haben.»
CVP-Bregy: «Jugendliche können vor Gericht»
CVP-Nationalrat und Mitglied der Rechtskommission, Philipp Matthias Bregy (42), beeindruckt das Schreiben wenig. Er erhalte unterschiedlichste Zuschriften. Der Walliser findet es richtig, dass die Eltern bei dieser wichtigen Entscheidung ein Wörtchen mitzureden haben. «Ich wäre auch dafür, dass die Jugendlichen für die Hormontherapie die Zustimmung der Eltern brauchen», sagt er.
Sollten die Eltern die Jugendlichen zurückpfeiffen, könnten diese immer noch den rechtlichen Weg beschreiten. «Jemand der betreffend seiner Geschlechtsidentität urteilsfähig ist, wird auch in der Lage sein, dies zu tun», sagt Bregy.
SP-Funiciello: «Leben einfacher machen»
Ganz anders sieht das SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (30). «Wenn die Eltern ihrem Kind eine Geschlechtsänderung verweigern, spitzen sich bereits vorhandene Konflikte weiter zu», sagt sie.
Das Ziel der Vorlage sei es gerade, den Transmenschen «das Leben etwas einfacher zu machen». Die Eltern-Klausel aber lege den Jungen noch mehr Steine in den Weg. «Es ist ein regelrechter Rückschritt», kritisiert Funiciello.
Die Ständeräte sind im Juni Bundesrätin Keller-Sutter gefolgt und haben sich mit 27 zu 15 Stimmen bei 2 Enthaltungen gegen die Aufhebung der Eltern-Klausel ausgesprochen. Nun wird sich zeigen, wie stark der Experten-Fauxpass der Justizministerin die Nationalräte beeinflusst.