Genfer Pierre Maudet steht vor Polit-Comeback
«Es ist eine grosse Genugtuung»

Trotz Korruptionsurteil und Lügen: Die Genfer Stimmbevölkerung steht hinter Pierre Maudet. Der ehemalige Regierungsrat kann auf eine Wiederwahl hoffen. Im Interview bezieht er Stellung zum überraschenden Erfolg.
Publiziert: 03.04.2023 um 16:19 Uhr
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Pierre Maudet und seine Anhänger jubeln: Die Liste «Libertés et Justice Sociale» holte auf Anhieb zehn Sitze im Genfer Parlament.
Foto: keystone-sda.ch
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Daniella Gorbunova

Pierre Maudet (45) liess sich gestern Abend feiern. Bei den Genfer Kantonsratswahlen am Sonntag hat seine neu gegründete Liste «Libertés et Justice Sociale» («Freiheit und soziale Gerechtigkeiten») auf Anhieb zehn Sitze geholt. Damit hatte kaum jemand gerechnet.

Maudet selbst – wegen Korruption vom Bundesgericht verurteilt, von der FDP wegen Lügen verstossen und zum Rücktritt gezwungen – steht vor dem Polit-Comeback. Er landete bei den Staatsratswahlen auf dem sechsten Platz. Eine sehr gute Ausgangslage für den zweiten Wahlgang. Weil keiner der Kandidierenden das absolute Mehr im ersten Wahlgang erreicht hat, entscheidet sich erst am 30. April, welche sieben Politiker künftig Genf regieren.

Blick konnte am turbulenten Wahlsonntag kurz mit Maudet sprechen, bevor er mit seinen Anhängern zum Hauptquartier an einem geheimen Ort weiterzog.

Blick: Wie fühlt es sich an, eine neue Partei ins Parlament gebracht zu haben?
Pierre Maudet: Es ist eine grosse Genugtuung, denn das ist das Ergebnis monatelanger harter Arbeit. Wir haben Projekte vorgeschlagen und an die Türen der Menschen geklopft, um zu verstehen, was sie wirklich von denjenigen erwarten, die sie vertreten. Die Liste «Libertés et Justice sociale» wurde von den anderen Parteien oft schlechtgemacht, es hiess, wir seien ein Haufen Neulinge. Doch unsere Wahl zeigt, dass auch Neulinge überzeugend sein können.

Was wird Ihr erster grosser Kampf sein?
Wir haben eine Liste mit 24 umfangreichen, sehr konkreten Projekten. Wir fordern beispielsweise eine kantonale und öffentliche Krankenkasse, da wir dies für grundlegend halten, um die Krankenkassenkosten zu dämpfen. Ein weiteres Grossprojekt, das uns am Herzen liegt, ist der Bau eines Staudamms, um die Stromversorgung im Kanton Genf für 90'000 Haushalte zu sichern. Zudem fordern wir eine Steuergutschrift für alle angesichts des unglaublichen Haushaltsüberschusses des Staates Genf.

Werden die Parlamentarier Ihrer Liste eher für die Linke oder die Rechte stimmen?
Ich denke, dass man uns nicht auf dieses klassische Links-Rechts-Raster reduzieren kann.

Was haben die traditionellen Parteien von Ihrer Liste zu erwarten?
Die grossen Parteien wissen von unseren Plänen. Wir haben eine ganze Reihe von Ambitionen, um eine florierende Wirtschaft zu verteidigen. Wir wollen die staatlichen Mittel nicht unbedingt erhöhen, sondern sie anders verteilen. Wir wollen auch einen agileren Staat mit weniger Verwaltungsverfahren. Mehr Erleichterungen für diejenigen, die ein Unternehmen gründen möchten. Letztendlich sind wir relativ leicht zu durchschauen.

Haben Sie persönlich Angst vor Ihrer Rückkehr in den Staatsrat? Wenn die Bisherigen wiedergewählt werden, wie es sich abzeichnet, werden Sie 2020 auf diejenigen treffen, die Sie rausgeworfen haben ...
So weit bin ich noch nicht (lacht)! Dazu müsste ich den zweiten Wahlgang gewinnen. Aber wenn ich das schaffe, habe ich überhaupt keine Angst. Im Gegenteil, ich freue mich darauf. Denn dies ist kein Klub von Freunden, sondern der Ort, an dem über die wichtigsten Dinge unseres Kantons entschieden wird. Und die Konfrontation ist Teil dieses Entscheidungsprozesses. Anders als in der vergangenen Legislaturperiode hoffe ich, dass es an diesem Ort zu energischen Debatten kommen wird.

Angesichts Ihres Wahlresultats und des ebenfalls guten Resultats des Mouvement Citoyens Genevois (MCG) ist die Rede von einer «Protestwahl». Stimmen Sie dem zu?
Ich mag den Begriff Protestwahl nicht, weil er eine Logik der Zerstörung voraussetzt. Wir hingegen wollen aufbauen. Und die Wähler des MCG sind nicht dieselben wie unsere Wähler. Wir wollen die potenzielle Verdrossenheit unserer Wählerschaft gegenüber der Regierung in eine positive Kraft umwandeln.

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