Als Vizepräsident des Schwimmvereins beider Basel ist Günter Hulliger (69) unter anderem dafür verantwortlich, dass die Kinder der Region schwimmen lernen. Auch diesen Donnerstagabend leitet er eine Trainingsstunde.
Hulliger nimmt seine Aufgabe ernst, aber er hat es nicht leicht: «Wir haben in der Region Nordwestschweiz kein 50-Meter-Hallenbad, mehrere Gemeinden haben ihre Hallenbäder in den letzten Jahren geschlossen.» Für Schulen und Schwimmklubs werde es deshalb immer schwieriger, eine freie Halle zu finden, in der sie ihren Schwimmunterricht durchführen können, obwohl er – so steht es im Lehrplan 21 – für die Kinder Pflicht ist.
Kein Geld für die Bedürfnisse der Jugend
Jüngster Beleg dafür, dass viele Gemeinden ihre Badeanstalten schliessen, ist das Hallenbad in Dornach SO. Die Gemeinde will es dichtmachen; die Kosten seien zu hoch. 200’000 Franken Aufwendungen für den Unterhalt könnten jährlich eingespart werden. Doch jetzt wehren sich die Bürger, im Juni werden sie an der Urne darüber abstimmen.
Nur ein paar Beispiele aus den letzten drei Wochen: Die Neuenburger Regierung will die Musikschule schliessen. Zudem sollen die Klassen in der Volksschule vergrössert werden. Ähnliches plant der Kanton Zug, während der Luzerner Stadtrat die täglichen Bewegungsstunden für die Kinder streicht.
Ist der Lehrer nur kurz krank, wird er nicht ersetzt
In den Sekundarschulen des Nachbarorts Emmen LU gibt es für kranke Lehrer, die nicht länger als eine Woche ausfallen, keinen Ersatz. In Ostermundigen BE streicht das Parlament Freifächer und schafft die Aufgabenhilfe ab. Den Sparmassnahmen in Winterthur ZH fielen die sogenannten Schulweghelfer zum Opfer.
Auch auf Bundesebene regiert der Rotstift: In diesem Jahr traten Kürzungen von Finanzhilfen für Familienorganisationen, Kinderschutz und Kinderrechte in Kraft – sie bekommen drei Prozent weniger Geld. Claudia Hametner (38), Vizedirektorin des Schweizerischen Gemeindeverbandes, kann die Frage beantworten, warum überhaupt Leistungen abgebaut werden: «Gemeinden sind immer stärker durch Faktoren belastet, die sie nicht beeinflussen können.» Kostentreiber seien etwa Altenpflege, Ergänzungsleistungen für Rentner und Invalide sowie Sozialhilfe. In den letzten Jahren seien die Gemeinden zu Hauptträgern solcher staatlichen Aufgaben geworden und müssten die Kostensteigerung im Sozialbereich auffangen.
Steuersenkungen rächen sich
Hametner nennt aber noch weitere Gründe, warum die Gemeinden den Rotstift ansetzen: «Die kantonalen Sparprogramme und der zunehmende Steuerwettbewerb». Dornach beispielsweise, wo das Hallenbad abgerissen werden soll, hat an der letzten Gemeindeversammlung die Steuern gesenkt.
Mit der am Mittwoch von Finanzminister Ueli Maurer (67) präsentierten Steuervorlage 17 dürfte sich der Leistungsabbau noch einmal deutlich verschärfen. Als Ziel dieses Programms gab der SVP-Bundesrat an, die Attraktivität der Schweiz als Standort für internationale Konzerne zu erhalten. Vor allem geht es darum, den Kantonen mehr Freiheiten zu geben, die Gewinnsteuern zu senken – was den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen intensiviert und für die Unternehmen zu massiven Einsparungen führen dürfte.
Für die Kantone und Gemeinden jedoch sind damit zumindest kurz- bis mittelfristig tiefere Steuereinnahmen verbunden. Wie sich dies konkret auswirkt, hat Urs Stauffer (65), Chef der Steuerverwaltung in Biel BE, berechnet.
Klar ist, dass viele Gemeinden versuchen werden, die Mindereinnahmen damit zu kompensieren, dass sie ihre Ausgaben zusammenstreichen.
Im Steuerwettbewerb Top, bei Infrastruktur Flop
Das könnte zu der absurden Situation führen, dass die Schweiz im internationalen Steuerwettbewerb zwar top ist, die Dienstleistungen der öffentlichen Hand es jedoch nicht länger sein werden und die öffentliche Infrastruktur des Landes im internationalen Vergleich immer schwächer abschneidet.
Und dies, obwohl ein solch umfassender Leistungsabbau ökonomisch gesehen in den meisten Fällen gar nicht nötig wäre: Die Steuerausfälle können nämlich als Investition in die fiskalische Wettbewerbsfähigkeit betrachtet werden. Finanzminister Maurer rechnet fest damit, dass die Steuersenkungen neue Unternehmen in die Schweiz locken. Die Steuereinnahmen sollten demnach also nur kurzfristig sinken, langfristig aber insgesamt steigen!
Trifft Ueli Maurers Annahme zu, wäre es unklug, die Leistungen der öffentlichen Hand zu kürzen. Um das staatliche Angebot im gleichen Umfang aufrechtzuerhalten, liessen sich Defizite und steigende Schulden kurzfristig hinnehmen.
Verschuldung auf dem Stand der 90er-Jahre
Die Schweiz könnte sich das auf jeden Fall leisten. Die Schulden von Bund, Kantonen, Gemeinden und Sozialversicherungen summieren sich auf 29,1 Prozent ihrer Wirtschaftskraft – gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP, siehe Grafik). Damit liegt die Verschuldung in etwa auf dem Stand der 1990er-Jahre – während die Schuldzinsen heute sehr viel tiefer sind als damals. Im internationalen Vergleich kann sich kaum eine andere Nation über eine so tiefe Verschuldung freuen. Selbst Europas Musterknabe Deutschland erträgt eine mehr als doppelt so hohe Verschuldungsquote.
Nils Soguel, Professor für öffentliche Finanzen an der Universität Lausanne, findet es zwar richtig, dass die Gemeinden auf die neue Lage reagieren, allerdings nicht durch Leistungsabbau. «Sie sollten effizienter werden», sagt Soguel. Und: «Es gibt immer Möglichkeiten, sich zu verbessern.»
Experte rät zu Gemeindefusionen
Man müsse solche Schritte auf die jeweilige Gemeinde abstimmen – generell jedoch gebe es durchaus Sparmöglichkeiten. Etwa durch den Einsatz neuer Technologien, insbesondere der Digitalisierung.
Wenn man die natürliche Fluktuation nutze, müsse dies nicht einmal unbedingt Stellenabbau bedeuten.
Zudem seien immer noch viele Schweizer Kommunen einfach zu klein: «Erst ab 3000 Einwohnern kann eine Gemeinde effizient geführt werden.» Soguel rät deshalb dazu, dass kleinere Gemeinden fusionieren. So könnten Synergien genutzt und Kosten eingespart werden. Rund 1500 Gemeinden, also mehr als die Hälfte aller Schweizer Gemeinden, haben weniger als 3000 Einwohner.
Da gibt es viel Sparpotenzial!