Das Schweizer Atomzeitalter neigt sich dem Ende zu: Der Bau neuer Kernkraftwerke ist verboten. Das hat die Schweizer Bevölkerung mit der Energiestrategie 2050 beschlossen. Trotzdem sträuben sich prominente Vertreter aus Politik und Wissenschaft noch immer gegen den Atomausstieg.
Einer, welcher der Kernkraft wieder Leben einhauchen will, ist Horst-Michael Prasser (63). Der Professor für nukleare Energie an der ETH ist überzeugt, dass der Ausstieg aus den fossilen Energien ohne Kernkraft nicht gelingen kann.
«Kernkraftwerke liefern Band-Energie», sagt Prasser. Heisst: Die Reaktoren produzieren rund um die Uhr den benötigten Strom. Solar- und Windstrom hingegen gibt es nur, wenn die Sonne scheint beziehungsweise der Wind weht.
Kohle- und Gaskraftwerke können zwar auch rund um die Uhr Strom liefern, sie haben allerdings einen deutlich höheren Kohlendioxid-Ausstoss: «Der CO2-Ausstoss der Kernenergie ist pro Kilowattstunde nur bei Wasserkraftwerken und Windgeneratoren vergleichbar niedrig.»
«Längere Zeit ohne Strom und eine Kernschmelze wären unausweichlich»
In dasselbe Horn stösst FDP-Vizepräsident und Nationalrat Christian Wasserfallen (37). Auch er ist ein lautstarker Befürworter der Atomkraft: «Es gibt bisher schlicht keine richtige Alternative zum Atomstrom.» Für Wasserfallen ist klar: «Fällt der Atomstrom weg, muss die Schweiz zwangsläufig Kohlestrom importieren oder Gaskraftwerke bauen.» Obwohl dies die Schweizer Bemühungen zum Klimaschutz torpedieren würde.
Anderer Meinung ist Rolf Wüstenhagen (48). Der Professor für erneuerbare Energien an der Universität St. Gallen ist überzeugt: «Es geht auch ohne Atomkraftwerke.» Vor allem, wenn die Schweiz ihre erneuerbaren Energiequellen diversifiziere. «Wind- und Sonnenenergie etwa ergänzen sich sehr gut: Solarstrom gibt es vor allem im Sommer, Windstrom eher im Winter.»
Die restlichen Schwankungen könne man mit intelligenten Stromnetzen, vor allem aber mit der Wasserkraft auffangen, so Wüstenhagen: «Die Schweiz ist in einer luxuriösen Position, zwei Drittel ihres Stromes stammen aus Wasserkraft. Die Laufkraftwerke an den Flüssen liefern Band-Energie, die Speicherkraftwerke in den Alpen können Verbrauchsspitzen auffangen.»
Nur gut, solange nichts passiert
Die Atomkraft hingegen gelte es zu meiden, meint Wüstenhagen. «Denn das Risiko einer Kernschmelze besteht immer. Solange alles gut geht, hat die Atomkraft wenig Emissionen. Doch wenn etwas schiefgeht, ist sie eine Katastrophe.»
Wie steht es also um die Sicherheit der Atomkraftwerke? «Ich würde mir neue Anlagen mit passiven Sicherheitssystemen wünschen», so ETH-Professor Prasser. Denn die Kernkraftwerke in der Schweiz verfügten noch nicht über solche Notkühlsysteme, die auch ohne Strom funktionierten: «Längere Zeit ganz ohne Strom und eine Kernschmelze wäre unausweichlich.»
Trotzdem hält Prasser die bestehenden Atomkraftwerke «für so sicher, dass man sie mit gutem Gewissen noch eine Weile weiterbetreiben kann».
«Im Moment rechnet sich der Bau von neuen AKW nicht»
Ein weiteres Problem sind die radioaktiven Abfälle. «Und das ist noch immer ungelöst», sagt Wüstenhagen. Man müsste die ausgedienten Brennelemente Tausende Jahre lang sicher im Erdinnern lagern. Er ist wenig zuversichtlich, dass das gelingt: «Auch andere Mülldeponien waren schon nach wenigen Jahrzehnten ein Sanierungsfall. Und das wird dann teuer.»
ETH-Professor Prasser gibt zu: «Bei der Kernspaltung entsteht äusserst gefährlicher Abfall.» Er relativiert aber: «Die Volumen pro Kilowattstunde sind sehr klein.» Prasser ist sicher: Eingeschweisst in dicke Stahlkanister und mehrere Hundert Meter tief im Opalinuston, hätten die ausgedienten Brennelemente «ausreichend viel Zeit, um zu zerfallen, bevor sie Schaden anrichten können».
Der grosse Haken bei Atomkraftwerken ist jedoch die Wirtschaftlichkeit. Denn, das gibt sogar FDP-Vizepräsident Wasserfallen zu: «Im Moment rechnet sich der Bau von neuen AKW nicht.»