Der Abstimmungssonntag barg viele Überraschungen. Die grösste ereignete sich allerdings abseits der Kameras und Scheinwerfer. Im beschaulichen Hasle bei Burgdorf BE.
Beobachter und Kommentatoren begründen das klare Nein zur Durchsetzungs-Initiative bislang so: Junge, weltoffene Politaktivisten haben die Zivilgesellschaft wachgerüttelt. Scharen neuer Wähler sind wegen Facebook und Twitter an die Urnen gestürmt. Die urbanen Zentren haben über die SVP-Schweiz triumphiert.
Eigentlich ganz einleuchtend. Wäre da nicht dieses Hasle bei Burgdorf: Eine 3300-Einwohner-Gemeinde im Emmental. Ländlich, bodenständig, konservativ. Der SVP-Wähleranteil beträgt 41 Prozent. 2010 sagten zwei von drei Stimmbürgern Ja zur SVP-Ausschaffungs-Initiative. Vier Jahre später unterstützten 62 Prozent die Masseneinwanderungs-Initiative.
Hasle bei Burgdorf ist also solideste SVP-Schweiz. Jedenfalls war das so. Denn am Wochenende ging in Hasle ein anderes Volk an die Urne. Möglicherweise hat die Transformation, die viele in den Städten vermuten, hier draussen stattgefunden.
Trotz rechtsbürgerlicher Gesinnung schickte Hasle bei Burgdorf die Durchsetzungs-Initiative bachab. Knapp zwar. Mit 747 Nein- zu 741 Ja-Stimmen. Aber der Umschwung im Vergleich zu früheren Ausländer-Initiativen ist erstaunlich.
Doch die wahre Sensation geschah bei einer Gemeindevorlage. Die Hasler durften entscheiden, ob der Mietvertrag des örtlichen Flüchtlingszentrums, wo 130 Asylsuchende leben, gekündigt werden soll. 1101 Bürger sprachen sich dagegen aus. Nur gerade 329 wollten das Flüchtlingszentrum weg haben. Mit anderen Worten: 77 Prozent stimmten für das Asylzentrum. Hasle bei Burgdorf muss Flüchtlinge lieben!
Keine Probleme mit Asylbewerbern
Da fragt man sich: Wie kann das sein? Ist die Macht der SVP in ihren Stammlanden so plötzlich geschwunden?
Dieter und Gaby Pöll aus Hasle waren gestern Mittag noch hocherfreut über das Ja zum Flüchtlingszentrum. «Ein toller Entscheid», sagen sie. «Wieso auch nicht? Es gibt keinerlei Probleme mit den Asylbewerbern», so Dieter.
Auch Albin Blaser (68) hat ein Ja in die Urne gelegt. «Aus finanziellen Gründen», wie er sagt. Die Gemeinde nehme mit dem Zentrum über 200'000 Franken Miete pro Jahr ein. «Viel Geld. Ohne Asylzentrum würde die Gemeinde es einfach bei uns Steuerzahlern holen. Das will ich nicht.»
Monika Locher (35) sprach sich aus ganz praktischen Gründe für das Zentrum aus. «Es kommen immer neue Flüchtlinge in die Schweiz. Da macht es doch keinen Sinn, wenn wir eine bestehende Unterkunft schliessen. Irgendwo müssen sie ja wohnen.»
Romy Steinmann (33) hingegen hat gegen das Flüchtlingszentrum gestimmt. «Ich habe einfach Bedenken, ob es auch künftig so ruhig bleibt wie bisher», sagt sie. «Aber ich kann gut mit dem Entscheid leben.»
Gemeindepräsident Walter Scheidegger, ein stämmiger SVP-Mann, schmunzelt. Er freue sich über «das erste vom Volk bewilligte Asylzentrum der Schweiz», sagt er. Dann relativiert er: Da sich die Flüchtlinge im Weiler Schafhausen befänden, stellten sie für viele Bewohner von Hasle kein Problem dar. «Für die Schafhauser sind sie aber eine Belastung.»
Und das Nein seiner Gemeinde zur Durchsetzungs-Initiative? «Ich habe schon das Gefühl, dass die Linken besser mobilisieren konnten», sagt Scheidegger. «Aber eigentlich kann ich es mir nicht erklären.»