Am 11. November 1918 ging der Erste Weltkrieg zu Ende. Eine Grabesruhe herrschte, Millionen hatten ihr Leben in den Schützengräben verloren. Die alte Ordnung zerfiel: Deutschland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich waren besiegt, in St. Petersburg, Berlin und Wien wurden die Herrscherhäuser hinweggefegt. Mit den Vereinigten Staaten trat eine neue Weltmacht auf den Plan, in Moskau machten sich die Bolschewiken daran, ihr Schreckensregime aufzuziehen.
Hundert Jahre nach dem Ende des Gemetzels, gedenken 80 Staats- und Regierungschefs in Paris der «Ur-Katastrophe» des europäischen Kontinents. In den Vororten der Metropole wurden nach und nach die Friedensverträge geschlossen, die Europa den Frieden hätten erhalten sollen. Der französische Staatspräsident (40) empfängt die Grossen der internationalen Politik: US-Präsident Donald Trump (72), die britische Premierministerin Theresa May (62), den russischen Präsidenten Wladimir Putin (66), die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (64).
Demütig und dankbar
Mit Bundespräsident Alain Berset (46) ist auch die Schweiz am Gedenkanlass vertreten – auf persönliche Einladung Macrons. Gestern Samstag machte sich der Sozialdemokrat auf den Weg nach Paris. Während der Reise in die französische Hauptstadt hatte SonntagsBlick Gelegenheit, mit dem Bundespräsidenten zu sprechen. Auch wenn die Schweiz vom Krieg verschont blieb: «Wir haben allen Grund, demütig und dankbar zu sein», so Berset. «Wir sind ein stabiles Land – aber wir sind auch angewiesen auf ein stabiles Umfeld, und zwar bis heute.»
Daher mahnt der Bundespräsident: «Bei aller nachvollziehbaren Kritik an den internationalen Institutionen kann sich niemand ernsthaft deren Zusammenbruch wünschen. Schon gar nicht die Schweiz, die wirtschaftlich und kulturell so vernetzt und damit auf verlässliche Regeln angewiesen ist.»
Kein Blut vergossen, dafür einen Landesstreik
Selbst wenn auf Schweizer Boden zwischen 1914 und 1918 kein Blut vergossen wurde, wirkte sich der Krieg doch auch hierzulande aus. Zum einen spaltete er das Land in eine kaiserfreundliche Deutschschweiz und eine profranzösische Romandie. «Eine wirkliche Zerreissprobe», so Berset, die glücklicherweise der Vergangenheit angehöre. «Das heutige Verhältnis zwischen Romandie und Deutschschweiz, aber überhaupt der Landesteile untereinander ist ausgezeichnet.»
Zum anderen trug der Krieg zur Wirtschaftskrise und damit zum Landesstreik bei, der sich dieses Jahr ebenfalls zum 100. Mal jährt. «Der Landesstreik lässt sich bis heute als Lehrstück verstehen, dass man politischen und sozialen Protest ernst nehmen muss, wenn man die Stabilität der Schweiz nicht gefährden will», so Berset. Viele der legitimen Forderungen der Streikenden seien dann sehr schnell umgesetzt worden. «Eine unrühmliche Ausnahme bildete das Frauenstimmrecht», so der SP-Bundesrat.