Drei Frauen regieren bald die Schweiz – keine davon ist Mutter. Und CVP-Magistratin Viola Amherd (56) sagt sogar: «Hätte ich Kinder, ich wäre nie Bundesrätin geworden.»
Dass es auch anders geht, betonen jetzt zwei Bundeshaus-Mütter – von SP und SVP. Gemeinsam rufen Mattea Meyer (31) und Andrea Geissbühler (42) über Partei- und Ideologiegrenzen hinweg Schweizerinnen auf: «Mütter, wagt euch in die Politik. Wir brauchen euch in den Parlamenten und Regierungen!»
«Zoe weiss, was dieses Bundeshaus ist»
Dreifach-Mami Geissbühler (42) gebar Zoe Stefanie (6), Joel Daniel (3) und Lea Andrea (1) als Nationalrätin. Und sie erinnert sich: «Bei Joel und Lea war ich am Tag vor der Geburt noch im Bundeshaus.» Töchterchen Zoe sorgte in der SVP-Fraktion für eine Premiere: Thomas Aeschi (39) spielte mit dem Mädchen an seinem Pult im Nationalratssaal. «Seither weiss Zoe, was dieses Bundeshaus ist, wo Mami viermal im Jahr hingeht.»
Trotzdem: Niemals würde Geissbühler ihr Kind im Saal stillen. Im Bundeshaus in einem Nebenzimmer aber schon. «Es ist hat alles eine Frage der Organisation», so die Bürgerliche, die das traditionelle Familienmodell propagiert – und an dessen Grenzen stösst. Darum rät sie Müttern, erst in die Politik einzusteigen, wenn «die Kinder schon etwas grösser sind».
Ein Baby rettete die AHV – fast
Auf der linken Ratsseite sorgte SP-Finanzpolitikerin Mattea Meyer (31) im Frühjahr 2017 für Aufsehen mit ihrem Babyglück: Weil Töchterchen Ronja noch ein bisschen länger in Mamis Bauch blieb als geplant, sorgte sie dafür, dass die AHV-Reform nicht schon im Parlament abstürzte.
Die hochschwangere Meyer eilte damals trotz Krankschreibung für den AHV-Abstimmungskrimi ins Bundeshaus. Mit Erfolg: Dank ihrer Stimme wurde die Reform angenommen. Ronja, die Fastretterin der AHV (das Volk schickte die Reform später bachab), erblickte keine Woche später das Licht der Welt.
Geissbühler lernte im Kinderzimmer für die Politik
Doch welchen Unterschied machen Mütter in der Politik überhaupt? «Als Mutter siehst du die Welt einfach etwas anders. Das hilft in den Geschäften – egal, ob von links oder rechts aus gesehen», sagt Geissbühler. «Ich lernte viel im Kinderzimmer, was ich in Nationalratssaal gebrauchen kann. Zuhören zum Beispiel.»
Und auch Meyer meint: «Kinder sensibilisieren dafür, nicht nur die eigenen Interessen ins Zentrum zu stellen. Das sollte auch für die Gesellschaft gelten: Stärkere unterstützen Schwächere.»
Doch Kind und Politik bedeuten auch Verzicht: Polizistin Geissbühler hängte die Uniform an den Nagel, als sich das erste Kind ankündigte. «Ich könnte meine Kinder nicht in eine Kita abschieben», sagt sie. Ist Geissbühler in Bern, nimmt ihr Ehemann keine grossen Aufträge an. Als selbständiger Maler ist er flexibel. Und sonst hüten die Grosseltern.
«Mythos Milizparlament wird von Eltern entlarvt»
Eineinhalb Tage Mami, eineinhalb Tage Papi – und zwei Tage Krippe: So handhaben es Meyer und ihr Partner, der zu 70 Prozent arbeitet. Während der Sessionen hütet die Grossmutter die kleine Ronja. «Die Unterstützung der Grosseltern ist unersetzlich», so die Sozialdemokratin.
«Der Mythos Milizparlament wird von jungen Eltern entlarvt. Kind, Politik – da kann man nicht auch noch einen weiteren Job haben», so Meyer. «Wir stehen als Paar vor denselben Herausforderungen wie andere erwerbstätige Eltern: Die Schweiz ist kein familienfreundliches Land. Ob Politik oder Wirtschaft, vieles ist auf 120 Prozent Präsenz ausgerichtet.»
«Frustrierend und anstrengend»
Meyer teilt sich das Präsidium der SP Winterthur. «Dank dieses Modells kann ich politisch viel bewegen und trotzdem für mein Kind da sein.» Denn Politik passiere schliesslich auch ausserhalb der Kommissionen und Sessionen. «Ich kann halt nicht so spontan sein, wie es andere, ungebundenere Politikerinnen und Politiker können. Da ringe ich immer wieder mit mir, ob jetzt ein weiterer Abendanlass wirklich sein muss.»
Was Meyer auffällt: Während junge Väter selten gefragt würden, wo denn das Kind sei, höre sie diese Frage sehr oft. «Das zeigt, dass wir es mit der Gleichberechtigung noch lange nicht geschafft haben.» Junge Mütter, die sich weiterhin im Job engagierten, würden nicht als selbstverständlich wahrgenommen. «Das ist frustrierend und anstrengend.»
Geissbühler meint, das Muttersein müsse endlich wieder aufgewertet werden. Die Betreuung und Erziehung der Kinder sei der wichtigste Beruf, denn die Kinder seien die Zukunft des Landes. «Die Aufwertung können wir Frauen erreichen – auch, indem wir als Mütter Politik betreiben.»