Bei einem Aussenministertreffen in Brüssel sprach sich am Montag eine ganze Reihe von Teilnehmern gegen einen Vorstoss von EU-Chefdiplomat Josep Borrell aus, mit dem Boykott eines Treffens zu reagieren, das die derzeitige ungarische EU-Ratspräsidentschaft Ende August in Budapest organisieren will.
Das Problem hat nun Borrell, der für die Einladungen zu EU-Aussenministertreffen zuständig ist. Organisiert er die halbjährliche Zusammenkunft nicht in Budapest, besteht die Gefahr, dass kritische Minister dieses Treffen boykottieren.
Lädt er widerwillig nach Budapest ein, stehen die Ungarn als Gewinner da. Ärgerlich für viele ist dies vor allem, weil Ungarn mit seiner als «Friedensmission» vermarkteten Diplomatie-Initiative eigentlich vollkommen isoliert dastand. Niemand habe diese unterstützt, hiess es in Brüssel.
Grosse EU-Länder sind gegen Boykott
Am deutlichsten kritisierte am Montag Luxemburgs Aussenminister Xavier Bettel die Boykottüberlegungen. Er sprach von Schwachsinn und warb dafür, nach Budapest zu reisen und dort der ungarischen Regierung klar und deutlich seine Meinung zu sagen. Klar gegen den Borrell-Vorstoss äusserten sich auch Länder wie Spanien und Slowenien.
Hinter den Kulissen äusserten sich nach Angaben von Diplomaten auch die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock sowie Vertreter von Ländern wie Frankreich und Italien ähnlich.
Auf der anderen Seite standen hingegen unter anderem Länder aus Nordosteuropa wie Polen. Litauen und Schweden hatten als Reaktion auf die Alleingänge Orbans bereits vor Tagen angekündigt, vorübergehend keine Ministerinnen und Minister zu Treffen nach Ungarn schicken.
Diskussion läuft seit Tagen
Über mögliche Reaktionen der EU auf Orbans Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und Ex-US-Präsident Donald Trump wird bereits seit Tagen diskutiert.
Als besonders ärgerlich gelten sie, weil Ungarn derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat. Es wird befürchtet wird, dass im Ausland der Eindruck entsteht, Orban spreche bei Treffen im Namen der Europäischen Union. Inhaltlich wird vor allem kritisiert, dass vor allem die Reise zu Putin als Entgegenkommen gewertet werden konnte.
Orban spricht von «Friedensmission»
Borrell nannte das Vorgehen Orbans bei dem Aussenministertreffen «völlig inakzeptabel» und bezog dabei auch Äusserungen von dessen Aussenminister Peter Szijjarto ein. Dieser hatte jüngst in einer Rede im UN-Sicherheitsrat den Eindruck erweckt, als würde die EU den Krieg in der Ukraine durch ihre Politik und ihre Waffenlieferungen befeuern.
Orban spricht von einer «Friedensmission». Der Ungar vertritt seit langem den Standpunkt, dass der politische Kurs von EU und Nato zu einer Ausweitung des Krieges über die Ukraine hinaus führen könnte. Aus Sicht der Ukraine sind Verhandlungen allerdings sinnlos, solange Russland keinerlei Bereitschaft zeigt, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen.
Ungarischer Minister lässt die Muskeln spielen
In einem Brief an EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb Orban nach seinen Reisen, die EU sollte jetzt die Initiative ergreifen und mit China Gespräche über eine mögliche grosse Friedenskonferenz führen. Gleichzeitig sollten die wegen des Ukraine-Kriegs eingestellte diplomatische Kommunikation mit Russland wieder aufgenommen werden.
Die deutsche Aussenministerin Baerbock ging auf diese Forderungen bei dem Aussenministertreffen nicht ein. Sie kritisierte die Reisen als «Ego-Trips», die bei vielen Akteuren auf der Welt Irritationen ausgelöst hätten.
Szijjarto veröffentlichte zum Aussenministertreffen ein Foto von sich, das ihn in weissem engem T-Shirt unter durchtrainiertem Oberkörper zeigt. Dazu schrieb er, er reise mit politischer kugelsicherer Weste nach Brüssel und sei auf ein politisches «Feuergefecht» vorbereitet.
Den Amtskollegen warf er vor, über das Scheitern der eigenen Ukraine-Politik frustriert zu sein. Zudem wies er darauf hin, dass es seit der «Friedensmission» von Orban zahlreiche andere Gespräche gegeben habe – so unter anderem zwischen den Verteidigungsministern der USA und Russlands sowie zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Trump.