Der Moment scheint günstig. Während sich die USA in einem nicht enden wollenden Handelsstreit mit China befinden, wittert die Schweiz die Chance, mit der grössten Volkswirtschaft der Welt ein Freihandelsabkommen abzuschliessen. Bundespräsident Ueli Maurer (68) sieht nach seinem Treffen vom Donnerstag mit US-Präsident Donald Trump (72) zumindest eine grosse Möglichkeit, die Gespräche zu intensivieren.
Maurer sagte nach dem Treffen im Weissen Haus, dass ein Freihandelsabkommen eine grosse Chance für die Schweiz sei. Dies hätten unterdessen sogar die Schweizer Bauern erkannt. Hintergrund: Der erste Versuch scheiterte 2006 am Widerstand der Agrarwirtschaft.
«Qualität der Lebensmittel darf nicht gefährdet werden»
Tatsächlich sagen die Bauern derzeit nicht kategorisch Nein. Sie geben sich gar kompromissbereit, «aber nur, wenn die Schweiz weiterhin eine eigenständige Agrarpolitik betreiben kann», präzisiert der oberste Schweizer Bauer, CVP-Nationalrat Markus Ritter (52). «Wie 2006 erwarten wir, dass auch die Interessen der Landwirtschaft in die Verhandlungen einfliessen.» Dabei spiele der Grenzschutz als eine der wichtigsten agrarpolitischen Massnahmen der Schweiz eine besondere Rolle. Zudem dürften die Lebensmittelsicherheit und die Qualität nicht gefährdet werden, mahnt Ritter.
Die Hürden, um die Bauern ins Boot zu holen, sind also sehr hoch. Entsprechend skeptisch äussert sich SVP-Nationalrat Andreas Aebi (60, BE): «Als Wirtschaftspolitiker sage ich generell nicht von vornherein Nein zu einem Freihandelsabkommen. Als Bauer sage ich aber nur Ja, wenn es der einheimischen Landwirtschaft nicht schadet.» In einem Abkommen brauche es für gewisse Agrarprodukte Ausnahmen. «Der heikelste Punkt ist das Fleisch», sagt der Präsident der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Rinderzüchter. «Mit billigem amerikanischem Hormonfleisch können wir nicht mithalten, da braucht es weiterhin Schutzmassnahmen.»
Exportchancen nur für Käse
Wenn es um die Chancen für die Schweizer Landwirtschaft geht, winkt Aebi ab: «Für die einheimische Landwirtschaft sind die Risiken viel grösser. Eine Chance sehe ich nur beim Käse.»
Der Verband Bio Suisse übt sich vorerst noch in Zurückhaltung. «Ob wir uns für oder gegen einen entsprechenden Vertrag stellen werden, hängt vom Ergebnis der Verhandlungen ab», sagt Sprecher Lukas Inderfurth. Doch er macht klar: «Ein No-Go sind für Bio Suisse Gentechnik, Hormonfleisch und Chlor-Poulets ‹made in USA›.» In Amerika werden Poulets nach dem Schlachten in Chlorwasser getränkt. Damit werden Keime abgetötet. In Europa dürfen diese nicht verkauft werden – genauso wenig wie mit Hormonen behandeltes Fleisch.
Die Kleinbauern-Vereinigung betont, ein Freihandelsabkommen jeglicher Art müsse zwingend den Artikel der Verfassung einhalten, wonach grenzüberschreitende Handelsbeziehungen zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen müssen. Das sei bei den heute üblichen Verhandlungen «ganz klar noch nicht der Fall».
Bauern werden mit einbezogen – oder ganz ausgeklammert?
Auch SP-Nationalrätin und Konsumentenschützerin Prisca Birrer-Heimo (60, LU) sieht in der Landwirtschaft den Knackpunkt für ein Freihandelsabkommen. «In den USA wird eine grossflächige Massenlandwirtschaft betrieben, wobei Mittel eingesetzt werden, die hier verpönt oder nicht erlaubt sind.» In einem Freihandelsabkommen müssten deshalb hohe Standards für Agrarprodukte eingefordert werden. «Es braucht klare Deklarationspflichten, und die Rückverfolgbarkeit muss gewährleistet sein.»
Das Parlament ist für die Agrarproblematik ebenfalls sensibilisiert. Letztes Jahr gab die nationalrätliche Wirtschaftskommission dem damaligen Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (67) den Auftrag mit auf den Weg zu versuchen, die Landwirtschaft gänzlich von einem Abkommen auszuklammern. Was bei den Amerikanern offenbar nicht auf Gegenliebe stiess.
Der Ständerat hat zudem eine Motion überwiesen, wonach der Bundesrat bei den laufenden Gesprächen einen «stark partizipativen Ansatz» wählen soll. Die wichtigsten Interessengruppen, insbesondere auch die Landwirtschafts- und Konsumentenorganisationen, müssten also frühzeitig in die Diskussion mit einbezogen werden.
Swissmem und Pharma hoffen auf Zollabbau
Positiv beurteilen ein mögliches Freihandelsabkommen jene Branchen, deren Zielmarkt traditionell ennet des Atlantiks liegt. «Die USA sind für die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie mit Exporten im Wert von 9,4 Milliarden Franken der zweitwichtigste Absatzmarkt», sagt Ivo Zimmermann (54), Sprecher des Branchenverbands Swissmem. Nur schon ein Abkommen über den Abbau der Zölle auf Industrieprodukte brächte spürbare Vorteile – vor allem gegenüber der Konkurrenz, die über kein Freihandelsabkommen verfügt wie die USA oder China.
Für die chemisch-pharmazeutische Industrie sind die USA der wichtigste Exportmarkt. 2018 exportierte die Branche für über 22 Milliarden Franken Produkte in die USA. Der Branchenverband Scienceindustries unterstützt die Bemühungen der schweizerischen Behörden zur Schaffung eines Freihandelsabkommens, aber nicht ohne Zugeständnisse. Sprecher Marcel Sennhauser sagt: «Wir fordern einen gegenseitigen Zollabbau, die Vereinfachung der Handelsverfahren sowie die Gewährleistung eines starken und einheitlichen Schutzes der geistigen Eigentumsrechte.»