Mit neuen Methoden und Gentests lässt sich das Geschlecht eines Embryos schon lange vor der zwölften Schwangerschaftswoche bestimmen. So früh, dass ein straffreier Abbruch wegen des «falschen» Geschlechts möglich ist. Das will der Bundesrat verhindern. Ärzte sollen den Eltern deshalb das Geschlecht des Embryos nicht vor Ablauf der zwölften Schwangerschaftswoche mitteilen dürfen. Frauenrechtlerinnen laufen nun Sturm, wie die «NZZ am Sonntag» schreibt. Zu den härtesten Gegnerinnen gehört Anne-Marie Rey (77), die Mutter der geltenden Fristenregelung.
BLICK: Frau Rey, der Bundesrat möchte die Geschlechterselektion verhindern. Was spricht dagegen?
Anne-Marie Rey: Die Fristenregelung wurde 2002 vom Stimmvolk mit einer Mehrheit von 72 Prozent Ja beschlossen. Damit liegt der Entscheid zum Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen allein bei der Frau. Punkt. Nun will der Bundesrat verhindern, dass der Frau ein medizinischer Befund mitgeteilt wird. Nur weil ihm der Grund für einen möglichen Abbruch nicht passt. Das Resultat ist eine Indikationsregelung durch die Hintertür. Das geht nicht.
Finden Sie es nicht stossend, wenn wegen des «falschen»Geschlechts abgetrieben wird?
Ich persönlich würde nie wegen des Geschlechts eine Schwangerschaft abbrechen. Aber es geht um das Selbstbestimmungsrecht der Frau! Mit der Regelung würde erstmals seit 2002 wieder zwischen «gerechtfertigten» und «ungerechtfertigten» Abbrüchen unterschieden. Damit würden weiteren Einschränkungen, zum Beispiel bei Behinderungen,Tür und Tor geöffnet.
In gewissen Kulturkreisen werden die Frauen beim «falschen» Geschlecht vielleicht zur Abtreibung gedrängt. Würde die Bundesratsregelung das Selbstbestimmungsrecht dieser Frauen nicht besser schützen?
Nein, das Verbot verhindert rein gar nichts. Die Betroffenen würden den Gentest übers Internet machen lassen oder ins Ausland ausweichen. Wenn das Geschlecht erst später mitgeteilt wird, bedeutet das nicht, dass der Abbruch dann nicht stattfindet. Stattdessen wird er illegal im Untergrund bei Pfuschern durchgeführt. Das ist eine reale Gefahr, welche die Frauen massiv gefährdet.
Trotzdem: Stört es Sie als Frauenrechtlerin nicht, dass von der Geschlechterselektion wohl vor allem Mädchen betroffen wären? Wollen Sie, dass Mädchen abgetrieben werden?
Es geht nicht um Mädchen, sondern um Embryonen! Ob mehr weibliche Embryonen betroffen wären, ist offen. Ich bin zudem überzeugt, dass es in der Schweiz extrem wenig Abbrüche wegen des Geschlechts geben würde. Mir ist nur ein Fall bekannt, wo dies gewünscht wurde, der zuständige Arzt es aber abgelehnt hat. Die ganze Diskussion scheint mir ziemlich an den Haaren herbeigezogen.
Eine Diskussion, in der sich aber ausgerechnet linke Frauen in die Haare geraten. Eine Motion von SP-Ständerätin Pascale Bruderer hat die Gesetzesänderung ausgelöst.
Wir SP-Frauen sind geteilter Meinung, haben deswegen aber doch keinen Streit. Ich verstehe mich gut mit Bruderer, auch wenn wir uns in dieser Frage nicht einig sind.