Der Kabarettist und Schriftsteller Franz Hohler (74) kämpfte sein ganzes Leben lang gegen die Atomkraft. Heute könnte sein grosser Tag sein: Die Schweiz stimmt über die Energiestrategie 2050 ab – und damit über den Ausstieg aus der Atomenergie. Der Ausgang der Abstimmung ist laut letzten Umfragen ungewiss. Vor dem Schicksalstag war SonntagsBlick bei Franz Hohler zu Hause in Zürich-Oerlikon.
SonntagsBlick: Herr Hohler, wie verbringen Sie den Abstimmungssonntag?
Franz Hohler: Ich werde in Kiew an einer Lesung sein, weil ein Buch von mir ins Ukrainische übersetzt wurde. Kiew ist die nächste grössere Stadt bei Tschernobyl. Stimmt eine Mehrheit dem Schweizer Atomausstieg zu, werde ich in Richtung Tschernobyl winken und rufen: Wir haben von euch gelernt!
Erinnern Sie sich an den 26. April 1986, den Tag des Reaktorunglücks von Tschernobyl?
Ja, wir drehten den Film «Dünki-Schott». Ich spielte einen Ritter in Anlehnung an Don Quijote, der aber nicht gegen Windmühlen, sondern gegen die Atommeiler anreitet. Als ich von der Katastrophe erfuhr, war mein Galopp umso empörter.
Damals war Ihre Haltung kaum mehrheitsfähig.
In der Tat. Die grüne Bewegung war erst im Entstehen begriffen. Wir wurden schlicht nicht ernst genommen.
Die Atomkraft scheint in der Schweiz keine Zukunft mehr zu haben. Empfinden Sie eine gewisse Genugtuung?
Wenn man erlebt, wie eine krasse Minderheitsposition mehrheitsfähig wird, zu einer anerkannten Einsicht, gar zur Haltung der Regierung, dann freut es mich natürlich (lacht).
Das trifft nicht nur auf die Atomkraft zu.
Das Bankgeheimnis ist ein weiteres Beispiel. Ebenso das Frauenstimmrecht, auch wenn ich von diesem Kampf nur die Endmoräne miterlebt habe. Und natürlich die Armee. 1989 wollten 36 Prozent der Schweizer die Armee abschaffen. Wir feierten dieses Ergebnis wie einen Sieg!
Wann kippte in der Schweiz die Stimmung gegen die Kernenergie?
Mit dem GAU in Fukushima kam es 2011 zum entscheidenden Bruch. Die hoch entwickelten Japaner konnten diese Technologie nicht kontrollieren. Das machte viele nachdenklich.
Sind Sie mit Ihren politischen Ansichten im Mainstream angekommen?
Ich fühlte mich komischerweise nie als Teil des Mainstreams. Und die Schweiz bleibt eine gespaltene Gesellschaft mit einem starken Gegengewicht zu den fortschrittlichen Kräften. Aber es stimmt: Die Enge ist heute weniger drückend.
Ist das der Grund dafür, dass sich Intellektuelle heute weniger öffentlich einbringen: weil viele ihrer Forderungen inzwischen erfüllt sind?
Da bin ich nicht sicher. Proteste sind heute eher breiter gestreut. Unterschriften für Aufrufe werden sehr schnell digital gesammelt. Aber man stösst auch heute noch rasch auf Mauern. Etwa in der Flüchtlingspolitik. Der Mythos der Heidi-Schweiz, die autochthon lebt, bleibt wirkungsmächtig. Die Energiedebatte ist ein gutes Beispiel hierfür: Die vermeintliche Unabhängigkeit vom Ausland ist für mich ein grosser Mythos. Selbst wenn wir an den AKW festhalten würden: In der Schweiz bauen wir ja kein Uran ab, und die atomaren Abfälle schicken wir zur Aufbereitung ins Ausland.
Aber das Umgekehrte – raus aus der Atomkraft und dafür importieren wir aus Deutschland Kohlestrom – ist doch aus ökologischer Sicht, gelinde gesagt, ein Widerspruch.
Natürlich. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass wir unser enormes Energiebedürfnis immer stillen müssen. Warum eigentlich? Ich kann mir ganz gut vorstellen, wieder einmal in einer Krisensituation zu leben, in der wir die fehlende Bedarfsmenge nicht einfach mit ausländischen Importen decken können. Ja, eine Krise täte uns gut, glaube ich.
Was war damals in den 1970er-Jahren eigentlich das schlimmere Stigma: «Armeegegner» oder «Atomkraftkritiker»?
(Lacht) Beides zusammen, wie ich es war.
Gibt es etwas, was Sie aus dieser Zeit vermissen? Damals, als die Schweiz stockbürgerlich, unverrückbar und unveränderlich schien?
Besser war nichts. Aber es war anders. Damals erschien mir die Regierung weit weg vom Volk. Das hat sich geändert. Meine 68er-Generation und unsere Ideen haben den Marsch durch die Institutionen angetreten. Heute fällt mir immer wieder auf, dass ich mit etlichen Personen aus der hohen Politik befreundet bin – etwas, was ich mir früher nie vorstellen konnte. Die Regierung, das war unser Gegner. Nun sind wir ein Teil davon, ein Teil des Establishments.
Die Satiriker von heute posieren stolz mit Bundesrat Alain Berset – wie jüngst Hazel Brugger, als sie den Salzburger Stier gewann.
Ja, dass einen die Obrigkeit heute manchmal fast umarmt, hat mich auch schon skeptisch gestimmt. Lasse ich mich bereits vereinnahmen? Hier ist tatsächlich Vorsicht geboten.
Zum Schluss: Leben Sie eigentlich ökologisch?
Ich habe kein Auto. Ich fliege nur, wenn es nicht anders geht, und dann zahle ich bei Myclimate CO2-Kompensation. Mein Laptop ist übrigens ausgeschaltet, wenn ich ihn nicht brauche. Hoffentlich stimmts ... (Steht auf und geht zum Laptop) Oh nein, er läuft noch. So eine Sauerei!