Wer den guten Zweck auf seiner Seite weiss, kann sich allerhand erlauben. Der beste Zweck unserer Zeit heisst Klima. Er beinhaltet Zukunft und Schutz – und scheint ganz Sache der jungen Generation zu sein, sogar der Kinder, die sich unter der Parole «Fridays for Future» zum Schulstreik entschlossen haben.
Die Klimajugend!
Vorausschauend, wie junge Menschen nun mal sind, planen die Klimabewegten für die Zeit nach Corona. Zu erwarten ist nach Recherchen des BLICK zum Beispiel das Blockieren von Strassen, Gebäuden und Firmen. Ein Aktivist nennt es: «Zürich stilllegen». Natürlich zählen auch Streiks zum Arsenal der Bewegung, zunächst ein Testlauf am 21. Mai unter dem Motto «Strike for Future», abgestimmt mit den Gewerkschaften öffentlicher Dienste wie Unia, VPOD und SEV – Solidarität durch Angestellte, deren Löhne nicht in der freien und oft klimaschädigenden Wirtschaft erarbeitet werden, sondern über Steuern gesichert ins Portemonnaie fliessen.
Die Klimabewegung umfasst auch die extremistische Fraktion der Extinction Rebellion, die sich darauf spezialisiert hat, hart am Rande der Legalität zu operieren, gern auch darüber hinaus. Blockaden, Störaktionen und Sachbeschädigung wie Farbattacken gegen Firmen und Grossbanken, die klimaschädlich tätig sind oder investieren, könnten künftig zur Taktik der Klimakämpfer gehören.
Wer für Kinder auf die Barrikaden steigt, der handelt im Geiste der Wahrheit, sind Kinder doch immer die Wahrheit. Schliesslich sind sie die Zukunft. Daher gibt es wahrhaftig kaum etwas moralisch Zwingenderes als den Kampf von Kindern für Kinder – den Kampf von Fridays for Future.
Die Religion kehrt zurück.
Das Bekenntnis zur Klimawahrheit, zur Klimagerechtigkeit, zum Klimakampf ist zwar säkular. Doch was der liebe Gott nicht liefert, das liefert die Wissenschaft: die absolute Gewissheit, das Wahre, das Gerechte zu tun. Was soll da ein spiessig beschränktes Beharren auf demokratischen Regeln und rechtlichen Grenzen?
Das liebste Szenario der Gläubigen ist die Apokalypse: die Klimakatastrophe. Mit diesem Schreckensbild sollen all die Ungläubigen gefügig gemacht werden, die nicht erkennen wollen, was die Stunde geschlagen hat.
Ein grosser Grossvater eilt dem Kinderkreuzzug zu Hilfe: Franz Hohler. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» entfuhr dem verdienstvollen Schriftsteller der Satz: «Für einen richtigen Wandel braucht es richtige Katastrophen.»
Es muss also schlimmer kommen, am besten sogar ganz schlimm: Eine Katastrophe muss her – damit schliesslich alles gut wird. Hohlers Schulbeispiel ist die Corona-Katastrophe: «Die Pandemie erzeugt unglaubliche Nebeneffekte. Das vorübergehende Verschwinden des Individual- und Flugverkehrs, Kreuzfahrtschiffe, die nicht mehr anlegen dürfen. Plötzlich wurde das Wasser wieder klarer und die Luft besser. Anliegen der Klimajugend, die zuvor als unmöglich zurückgewiesen wurden, erfüllten sich mit einem Schlag.»
Der einst als Cellobarde beliebte Hohler erblickt in der Pandemie-Katastrophe folgende Botschaft: «Sie besteht darin, dass wir Konsequenzen ziehen und uns Gedanken über die Art unseres Weiterlebens machen.»
Wie lebten die ganz gewöhnlichen, die begriffsstutzigen, die zu erziehenden Menschen vor Corona? Sie fuhren im Auto zur Arbeit, zum Einkaufen und ins Grüne, sie flogen nach Mallorca und Amerika, sie kreuzten auf Vergnügungsdampfern über die Weltmeere. Sie genossen die Mobilität: den Ausbruch aus der Enge von Arbeitswelt und Dreizimmerwohnung – sie erfreuten sich ihrer Freiheit.Sie lebten in Sünde.
Eine Katastrophe soll sie dafür strafen und belehren, auf dass sie endlich bekennen und erkennen – wahrlich ein biblisches Bild. Der Corona-Lockdown wird zur Prophezeiung des Klima-Lockdowns. Des Weltklimagerichts.
Wer mit der Katastrophe spielt, wer sie heraufbeschwört zur Besserung der Bürger, der sollte wenigstens über deren Konsequenzen nachdenken: über die Opfer, die katastrophales Geschehen mit sich bringt. Wer soll da zum Opfer werden? Die anderen?
Grosse Worte hallen nach. Schlagworte machen Schlagzeilen. Nur wer den Ausnahmezustand verkündet, ist souverän, meinte zu finsterster Zeit der reaktionäre Staatsdenker Carl Schmitt. Müssen wir mehr Carl Schmitt wagen?
Odo Marquard, Philosoph der Bürgerlichkeit, setzte dieser «Permanenz des Ausserordentlichkeitsbedarfs» den Pragmatismus der Vernunft entgegen, indem er schrieb:
«Die liberale Bürgerwelt bevorzugt – gut aristotelisch – das Mittlere gegenüber dem Extremen, die kleinen Verbesserungen gegenüber der grossen Infragestellung, das Alltägliche gegenüber dem Moratorium des Alltags, das Geregelte gegenüber dem Erhabenen, die Ironie gegenüber dem Radikalismus, die Geschäftsordnung gegenüber dem Charisma, das Normale gegenüber dem Enormen, kurzum: die Bürgerlichkeit gegenüber ihrer Verweigerung.»
Gewiss, damit kann man den jungen Verweigerern in ihrer Begeisterung für das GuteBesteAllerbeste und das EinzigWahre nicht kommen. Aber man kann sich selbst danach richten und entsprechend handeln: Man kann die erhoffte Katastrophe in bürgerlich-geordnete Bahnen lenken – im eigenen Kopf wie im politischen Alltag.
Vor allem sollte man auf fahrlässiges Gerede verzichten.