Welche Schweiz feiern wir heute? Die tapfere Eidgenossenschaft und die moderne, bundesstaatliche Demokratie, die aus ihr hervorgegangen ist? Die globale Klasse-Schweiz? Die heimattümelnde Kitsch-Schweiz? Also die Schweiz, die wir am 1. August schon immer gefeiert haben?
Oder feiern wir die Schweiz eines Enzo Caputo, dessen Job es ist, reichen Ausländern ein Leben in der Schweiz zu ermöglichen? Der Rechtsanwalt verriet der Deutschen Presse-Agentur kürzlich, wie dieses Geschäft funktioniert: «Ich mache eine Art Kuhhandel mit dem Kanton, ich handle Verträge aus über eine Pauschalbesteuerung.»
Kuhhandel trifft die Sache: Kuh und Handel – zwei Schlüsselwörter für die Schweiz.
So ist es, die Schweiz wird gehandelt: Sie wird Oligarchen, Scheichs, Tycoons und globalem Geld-Gesocks aller Art angeboten – von Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen, für die das Land, das heute Geburtstag hat, ein Produkt ist, das sie feilbieten, inklusive der Kühe, deren Glocken den Käufern aus allen Kontinenten künftig heimatlich in den Ohren klingen sollen.
Die Schweiz wird verkauft.
Die «Neue Zürcher Zeitung», das Blatt, dem alle Weltfremdheit fremd ist, meldete im Juni zuoberst auf Seite eins: «Millionäre strömen in die Schweiz.» Der Autor des Berichts zitierte Christian Kälin, Präsident der führenden Beratungsfirma zur Vermittlung von Aufenthaltsbewilligungen und Staatsbürgerschaften in dreissig Ländern: «Wir registrieren, dass die Anfragen für eine Niederlassung in der Schweiz innert Jahresfrist um 30 bis 40 Prozent zugenommen haben.»
Das Produkt Schweiz ist gefragt.
Und damit seine wundervollsten Wohngegenden – von den Gestaden des Genfersees über die Weiden der Walliser und Berner Alpen bis an die Zürcher Gold- und Silberküste. Wo die Schweiz am schönsten ist, bietet sie reichen und reichsten Ausländern fürstliche Heimstätten – sichere Ufer und stolze Trutzburgen für Flüchtlinge vor fremden Steuervögten und Staatsanwälten.
Wilhelm Tell, Eidgenosse aller Eidgenossen, verweigerte sich dem fremden Herrn Gessler. Die fremden Herren von heute bewundern unseren sagenhaften Nationalhelden. Die Schweizer von heute bewundern die fremden Herren, ja sie ziehen den Hut vor ihnen – vor ihrem Geld.
Ist das die Schweiz, die wir heute feiern?
Unser Land, über Generationen und Generationen errungen, erstritten und erlitten, bis es zu seiner heutigen Glanzform fand – nichts weiter als ein Fluchtpunkt für Profiteure, die ihrer Heimatnation Steuern vorenthalten und bei uns dafür mit Pauschalsteuern belohnt werden, dem Fiskus also auch hier nicht abliefern, was Schweizer Bürgerinnen und Bürger abzuliefern verpflichtet sind?
Die Schweiz – ein Luxusresort für Luxuspeople?
Die passende Schlagzeile dazu lieferte der Zürcher «Tages-Anzeiger»: «Reiche Chinesen kaufen Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz». Das Papier soll, wie der Blick berichtete, schon für 102 000 Franken zu haben sein. Was wiederum dem «Tages-Anzeiger» den Seufzer entlockte: «Die Schweiz sollte nicht käuflich sein.»
Sollte nicht. Ist sie das nicht?
Allerdings ist das Adjektiv «käuflich» zu präzisieren, unterstellt es doch illegale Geldflüsse in private Taschen. So aber funktioniert das tüchtigste Staatswesen der freien Welt nicht. Wer sich einkauft, zahlt lediglich die dafür vorgesehene legale Gebühr – nachdem er seinen Reichtum ausgewiesen hat. Portemonnaie öffnen und Geld zeigen genügt.
In der Schweiz gibt es keine Korruption, denn sie ist gratis.
Ist wenigstens der feiernden Bürgerschaft die Schweiz noch teuer? Oder bestimmt die Nachfrage den Preis? Wie Verkäufer von Schweizer Papieren zu rühmen wissen, ist das Kaufinteresse zu Zeiten von Corona gerade ausserordentlich hoch.
Soll die Schweiz an die Börse? Es wäre ein Fest für die Händler!