US-Präsident Joe Biden formulierte in seiner Rede zur Lage der Nation den Satz: «Sogar die Schweiz fügt Russland Schmerzen zu und unterstützt die Menschen in der Ukraine.»
Was für ein Lob vor aller Weltöffentlichkeit! Die Schweiz fügt Russland Schmerzen zu; die Schweiz unterstützt die Menschen in der Ukraine. Doch was für eine eigenartige Feststellung:
Sogar die Schweiz …
Ja, das Wort «sogar» verrät, was die Schutzmacht der freien Welt von der Schweiz denkt – und was sie nicht erwartet hat:
Solidarität mit der freien Welt.
Also Verzicht auf Solidarität mit einer ganz bestimmten Sorte von Russen, die Genf und Zürich und Zug zum sicheren Hort für ihre Milliardenvermögen erwählt haben, hofiert von Regierungsräten, beraten von Treuhändern und Anwaltskanzleien, bedient von Banken, bewundert von den Spitzen der heimischen Wirtschaft.
Das Oligarchen-Paradies Schweiz.
Wer sind sie, diese Oligarchen? Sie sind Profiteure des Zerfalls von Sowjetrussland, Plünderer der eigenen Nation. Ihre Yachten, die sie jetzt auf den Malediven vor Beschlagnahmung in Sicherheit zu bringen versuchen, sind Sinnbild für die Verhältnisse in Putins Reich: Zig Millionen, gar hundert Millionen teuer ist ein solches Schiff; bitterste Armut ist das Schicksal von Abermillionen Russen; Verwahrlosung der russischen Wirtschaft ist der Grund für dieses perverse Paradox.
Und was ist der tiefere Grund für die schweizerische Willkommenskultur im Umgang mit Russlands Feudalherren des Geldes? Sind die Schweizer käuflich? Nein, die helvetische bürgerliche Kultur ist nüchtern, bescheiden, nie auftrumpfend: das pure Gegenteil der russischen Protz-Elite. Reiche Schweizer mit Prunk-Yachten – undenkbar, weil unanständig.
Dennoch ist Geld ein Faszinosum für die persönlich so bescheidenen Schweizer. Zwar greift kein Beamter unter dem Tisch nach einem Couvert, das ihm ein Moskauer Mafioso zusteckt. Es gibt nur die ordentlichen Dienste. Und die ordentlichen Tarife. Und die ordentlichen Prozeduren. Alles und immer und grundsätzlich korrekt.
Darum müssen Oligarchen, woher sie auch stammen, lediglich die Brieftasche öffnen, ihr Geld zeigen, die Brieftasche wieder schliessen – und schon öffnen sich ihnen alle Türen.
Nein, die Schweiz ist nicht käuflich. Ihre Liebesdienste sind gratis.
Das Geld des globalen Gesindels ist der Gesslerhut, den die Schweizer ehrerbietig grüssen.
Muss noch von den Banken die Rede sein? Etwa von Credit Suisse, deren Affären der vergangenen Jahrzehnte gerade öffentlich gemacht wurden? Vom Geldinstitut CS, das gerade peinliche Papiere durch Schreddern verschwinden lassen wollte? Von dieser Bank, die gerade schleunigst unter Vormundschaft zu stellen wäre?
Ja, es muss, denn die Banken sind nicht nur Banken. Sie tragen den Begriff Schweiz im Namen. Ihr Auftritt und Erfolg ist Auftritt und Erfolg mit der Marke Schweiz. Die tüchtige, die ehrliche, die fleissige Schweiz, in der ganzen Welt als Industrienation allererster Qualität respektiert, ist das Erfolgsgeheimnis des Finanzplatzes.
Die Schweizer Banken sind immer auch die Schweiz.
Und damit ist ihr Fehlverhalten immer auch das Fehlverhalten der Schweiz. So nämlich wird es international wahrgenommen. Deshalb werden die Bankgeschäfte mit Putins Plünderern und Protzern heute auch der Schweiz angelastet.
Die Banken haben durch ihre ebenso unselige wie skrupellose Liaison mit Russlands Oligarchen die Schweiz in der freien Welt in Misskredit gebracht – um den Kredit gebracht.
Das Wort «sogar» des amerikanischen Präsidenten Joe Biden – bitterbös.