Frank A. Meyer – die Kolumne
Die Entmachtung

Publiziert: 03.09.2023 um 00:11 Uhr
Foto: Antje Berghaeuser
Frank A. Meyer

Wer soll denn nun die Nachfolge von Alain Berset im Bundesrat antreten? Ein Roter? Eine Grüne? Der «Tages-Anzeiger» bat die Vorsitzenden beider Parteien, Mattea Meyer und Balthasar Glättli, über diese Frage zum Gespräch. 


Wie diskutieren zwei, die einander nichts zu sagen haben, weil sie ohnehin gleicher Meinung sind – Rot wie Grün, Grün wie Rot. Balthasar Glättli sagt es für beide: «Wir wollen die Schweiz zukunftsfähiger, nachhaltiger, rücksichtsvoller machen.»

Wer hätte das gedacht!

Mattea Meyer setzt noch einen drauf: «Das gemeinsame Ziel ist, dass wir beim Klimaschutz und bei der Gleichstellung vorwärtskommen und den Menschen helfen, denen es nicht so gut geht.»

Und weil auch dies niemand gedacht hätte, vollendet die Co-Präsidentin der SP die fatale Vorstellung mit der Phrase: «Konkurrenz auf Augenhöhe.»

Auch darauf wäre sonst niemand gekommen!

Das linke Denker-Duo beteuert sicherheitshalber noch, Politik «für alle statt für wenige» zu machen. «Alle» heisst 30 Prozent Stimmbürger, die konkret rot-grün wählen. Laut Umfragen könnten sich allerdings 40 Prozent eine solche Wahl vorstellen. Diese missliche Differenz entlockt Mattea Meyer den Stossseufzer: «Wir haben noch sehr viel Luft nach oben.»

In der Tat, Luft – warme überdies. Wie das Gerede der Genossen.

Was wäre da zu tun für eine Politikerin und einen Politiker, die mit dem Anspruch auftreten, das linke Lager der Gesellschaft zu vertreten? Es wäre wahrlich Revolutionäres zu tun. Zum Beispiel wäre die Entmachtung der akademischen Führungsschicht einzuleiten, die sich erfolgreich der linken Parteien bemächtigt hat, wie der Turbo-Durchmarsch der Juso in die ersten Ränge der Bundespolitik belegt.

Zwar fordern Volksvertreter von Links-Grün beflissen die politische «Teilhabe» möglichst diverser Gruppen und Grüppchen – von den Genderfeministinnen über Migrationshintergründler bis zu Transmenschen.

Doch wo finden sich in den Reihen der Genossen noch die Fachkräfte, die der Wirtschaft täglich die so dringend nötige Kraft verleihen? Wo die Elektrotechniker*innen, die Pfleger*innen, die Solarinstalla-teur*innen, die Gebäudeinformatiker*innen, wo die Schreiner*innen, die Maurer*innen, die Schneider*innen? 

Wo in dieser Welt der Politologen und Psychologen und Studienabbrecher kommt denn die Welt der Arbeit vor? Haben Arbeitnehmer mit Lebensschule statt Hochschule dort überhaupt etwas zu bestimmen? Besetzen sie die Führungsgremien der SPS, die doch von sich behauptet, die Partei der Arbeit zu sein? Bilden sie die Mehrheit in den linken Reihen des Bundesparlaments?

Rudolf Strahm, einst Generalsekretär der Sozialdemokratie und bis heute herausragender Wirtschaftsdenker der Schweizer Politik, formuliert das Fehlen der real existierenden Arbeiterschaft in der links-grünen Lust- und Lebenswelt mit folgenden Worten: «Festgestellt wird eine wachsende Kluft der Arbeitskulturen zwischen den gesuchten praxisorientierten Fachkräften mit Berufs- und Weiterbildungsabschlüssen einerseits und den teilweise abgehobenen und isolierten akademischen Berufen andererseits.»

Bevor er Volkswirtschaft studierte, lernte Rudolf Strahm das Handwerk des Chemielaboranten.

Ja, die politische Kultur der Arbeiterbewegung ist auf Abwege geraten: in die Hände verspielter, verwöhnter Kids einer Wohlstandsgesellschaft, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Sie wurde von Arbeitern erkämpft – von stolzen Berufsleuten, von Handwerkern, von Fachkräften, wie sie heute genannt werden.

Wie sie heute gebraucht werden!

Doch die Bewegung der Grossväter und Urgrossväter gehört nicht mehr ihren berufsständischen Nachkommen. Die Arbeiter entscheiden nicht mehr über ihren sozialen Status, vom Mindestlohn übers Pensionsalter bis zur Krankenversicherung. Auch die Klimapakete werden ohne sie geschnürt, vom Kampf gegen das Auto über das Vergällen des Fleischkonsums bis zur Heizkontrolle. Zu nichts, was sie existenziell betrifft, haben die Werktätigen in der links-grünen Galaxis etwas zu sagen. Ihre Partei hört auf andere, gehört anderen.

Sie wurde ihnen geklaut.

Doch, doch, Mattea Meyer und Balthasar Glättli meinen es gut. Ihre politische Fürsorge gilt den sozial Schwachen. Die fortschrittsbeseelte Akademiker-Elite ist voller Wohlwollen für die anvertrauten Werktätigen.

Der Paternalismus ersetzt die politische Selbstbestimmung. Und der Maternalismus macht aus einst Mächtigen Ohnmächtige.

So ist sie, die links-grüne Linke.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?