Die FDP rückt – oh Schreck! – nach rechts. So konstatierten es die Schlagzeilen. Was ist bloss in die Partei gefahren?
Freisinn.
Der künftige Parteipräsident Thierry Burkart verkörpert den Richtungswechsel: dorthin, wo der Freisinn im 20. Jahrhundert schon immer stand und auch im 21. Jahrhundert stehen sollte – rechts der Mitte.
Was aber heisst das? Es heisst: Führungspartei der Wirtschaft sein.
Was wiederum bedeutet das ganz konkret? Es bedeutet: ökonomische Interessen in die Politik zu integrieren – in die politische Kultur der Demokratie.
Das aber wäre das Gegenteil von Klientelismus und Lobbyismus. Und somit das Gegenteil dessen, was der als FDP-Chef ausersehene Thierry Burkart gerade zu bewerkstelligen versucht: einerseits den Freisinn in die richtige rechte Zukunft zu führen, andererseits aber Präsident des Lastwagenverbandes Astag zu bleiben – ein lukratives Amt, das zwangsläufig kollidiert mit glaubwürdiger Klimapolitik, wie sie rechts der Mitte als liberales Gegengewicht zur grün-roten Verbotspolitik dringend geboten ist.
Weit über diese aktuelle Thematik hinaus fehlt es auf der rechten Seite des politischen Spektrums an einer Kraft, die intellektuell und kulturell satisfaktionsfähig ist, die in der politischen Debatte sowohl liberal-konservative als auch liberal-progressive Lösungen zu lancieren weiss – und sich einerseits aus der unwürdigen Rolle als Rucksackpartei der Rechtspopulisten befreit, sich aber auch emanzipiert von der peinlichen Instrumentalisierung durch kleine und kleinste Vereinsinteressen.
Die Schweizer Wirtschaft ist das wohl wichtigste Thema der Schweizer Demokratie – existenziell für das Land, existenziell für jeden Bürger. Damit prägt die Wirtschaft die politische Kultur, was im Umkehrschluss bedeutet, dass auch die politische Kultur prägend ist – sein muss, sein sollte – für die Schweizer Wirtschaft.
In diesem Parallelogramm der Kräfte wurzelt der Freisinn, der als Befreiungsbewegung geboren wurde – als das, was die Linke heute gerne wäre, was zu sein die Sozialdemokraten noch im 20. Jahrhundert zu Recht von sich behaupten durften.
Ein unabhängiger, ein wirklich freisinniger Freisinn rechts der Mitte: Das wäre im Zusammenspiel mit einer unabhängigen, einer wirklich sozialdemokratischen Sozialdemokratie die Renaissance der politischen Konstellation, die den liberal verfassten Sozialstaat Schweiz geschaffen hat.
Weshalb sollte dieses historische Erfolgsrezept keine Zukunft haben?
Vielleicht weil beide dazu notwendigen Gegenspieler ihre kreative Kompetenz eingebüsst haben. Die Freisinnigen sind kulturell ausgelaugt, die Sozialdemokraten verfügen kaum mehr über gesellschaftlich relevante Intellektuelle.
Wer soll da miteinander über mehr reden als über Steuergesetze und Sozialleistungen?
Die geistige Ausdünnung der ehedem richtunggebenden Verantwortungsparteien ist deshalb viel mehr als ein Parteienproblem. Sie ist das Problem der ganzen Schweiz, ein gravierendes Manko, das auch durch eine christlich beseelte Mitte nicht ausgeglichen werden kann, deren Einwürfe zwar immer wieder klug sein mögen, aber bei weitem nicht – noch nicht oder nicht mehr – genügend Gewicht auf die politische Waage bringen.
Und die Grünen?
Ach Gott! Ach Klima-Gott! Ach Gender-Gott! Drei Stossseufzer, denen noch ein PS hinzuzufügen wäre: Die Grünlinken spielen Ersatz für einen Freisinn in freisinniger Not!
Ja, es braucht einen Freisinn rechts der Mitte.
Den Freisinn.