Was wäre, was ist, was wird sie sein: die Neuauflage der Grossen Koalition von SPD und CDU/CSU? «Eine Grabplatte», unter der «alternativlos weiter gemerkelt wird bis in alle Ewigkeit».
Dieses Menetekel malt «Spiegel Online» an die Wand. Zugespitzt, wie Journalisten es nun mal zu tun pflegen. Aber eben auch präzise auf den Punkt gebracht, was doch der Sinn jeder Zuspitzung ist.
Seit zwölf Jahren amtet Angela Merkel als Bundeskanzlerin – es waren zwölf graue Jahre, die letzten vier sogar bleierne Jahre, politisch ohne Farbe und Fröhlichkeit, und das mitten im wirtschaftlichen Wohlergehen.
Ja, Angela Merkel hat die Politik abgeschafft: die Debatte der Parteien, den Streit der Politiker, die Leidenschaft der Meinungsführer – kurzum all das, was dem Bürger Anlass sein könnte, selbst zu politisieren.
Deutschland als ruhiggestellte Demokratie. Die Deutschen als sediertes Volk. War das nicht einmal anders? Damals, als Strauss und Wehner und Brandt und Genscher und Kohl und Schröder und Fischer sich rauften um die richtige Richtung der deutschen Politik!
Unter Angela Merkel, der überzeugten Kopf-Demokratin, der geistreichen Gesprächspartnerin, der unbeirrbaren Machtpolitikerin, wurde die politische Kultur kastriert: Statt Debatte im Parlament neben CDU/CSU drei Blockpar-teien, die der Kanzlerin zudienten, als Koalitionspartner, als Gesinnungsgenossen oder als loyale Opposition Ihrer Majestät.
Eine Konfiguration, nicht ganz unähnlich derjenigen in der DDR-Volkskammer, wenngleich bestückt mit lauter Demokraten.
Angela Merkel erhob den Begriff «alternativlos» zum Schlüsselbegriff ihrer Entscheidungen – und entwand ihr Regieren damit jedem Richtungsstreit.
Angela locuta, causa finita – die Kanzlerin hat gesprochen, die Sache ist erledigt. Murrend, allenfalls mäkelnd, aber letztlich bewundernd folgten Politiker und Publizisten, natürlich auch Professoren und Pastoren dem päpstlichen Gebaren.
Was – weil alternativlos – politisch nicht zerpflückt und bestritten werden durfte, wurde moralisch überhöht. So auch die Grenzöffnung 2015 für mehr als eine Million Migranten, die als «Schutzsuchende», «Flüchtlinge», «Flüchtende» bezeichnet werden mussten – woher und mit welchen Absichten auch immer sie ins Land strömten.
Wer die Grenzöffnung zu kritisieren wagte, der gehörte zum dunklen Deutschland, ganz im Gegensatz zu Angelas hellem Deutschland.
Es war der Höhepunkt der autoritär zugerichteten Demokratie, in der nicht einmal mehr das Parlament etwas sagen durfte zum bewussten Grenz-Kontrollverzicht, den man anschliessend zum «Kontrollverlust» umdeutete – als wäre der Kanzlerin etwas widerfahren, was sie gar nicht beabsichtigte.
Es war die hohe Zeit der höchsten Töne, angestimmt unter anderem von Katrin Göring-Eckardt, grüne Politikerin mit DDR-Bio-grafie, wie Angela Merkel aus evangelisch-pastoralem Umfeld: «Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch, ich sag euch eins, ich freu mich darauf. Vielleicht auch, weil ich schon einmal eine friedliche Revolution erlebt habe. Diese hier könnte die sein, die unser Land besser macht.»
Für die grüne Gebenedeite waren die Millionen Migranten das revolutionäre Manna: «Man hat uns Menschen geschenkt.»
Der Mensch als Ding – im DDR-Sozialismus war so etwas durchaus denkbar.
Wenn jetzt erneut eine Regierung unter Angela Merkel gezimmert werden soll, hiesse das: weiter so. Und weiter so hiesse: weiterhin keine offene Sprache in der Politik, weiterhin keine Wörter und Worte und Sätze, die unter den Bürgern politische Debatten provozieren könnten, wie es in einer Demokratie nicht nur üblich wäre, sondern auch unverzichtbar.
Nichts soll sich ändern. Schon gar nicht die Sprache: Wer nichts sagt, kann nicht darauf behaftet werden; wer nichts sagt, hat Herrschaftswissen – das Machtinstrument par excellence, sorgsam kultiviert in der DDR. Merkels «Wir schaffen das» zur Migrationskrise ist die bisher berüchtigteste Formel des Neusprech.
Das Nein der FDP zur schwarz-grün-gelben Koalition gilt als
Anschlag auf die Berliner Elite. Denn die fühlt sich so wohl und so mächtig in ihren warmen Stuben rund um Reichstag und Kanzleramt, wo man wohltemperiert zu palavern pflegt unter Eingeweihten und Zugehörigen – ein Club, dem nichts fremder ist als «die Menschen draussen im Lande».
Statt politischer Analyse gilt jetzt moralische Pflicht: Merkel bleibt – politische Leibdiener sind gesucht, am liebsten die Genossen von der SPD.
Beflissen erheben die Medien die Kanzlerin zur Chefin. Wer sich ihr verweigert, wird einbestellt: vom Bundespräsidenten. «Zum Rapport», wie der Berliner «Tagesspiegel» titelt.
Die Formulierung wirft ein grelles Licht auf die Verwirrung, die nach drei Regierungen unter Merkels Szepter in der deutschen
Demokratie herrscht: Parlamentarier, also Repräsentanten der höchsten demokratischen Instanz, müssen zum Rapport – weil sie der Königin im Kanzleramt den Koali-tionskotau verweigern.
In Berlin ist es höchste Zeit für die Wiederbelebung der Demokratie. Wie einst – vor Merkel.