Erdogan hat im Streit mit Deutschland ein Ass im Ärmel
«Hans soll sich benehmen»

Im Streit mit Deutschland hat der türkische Präsident Erdogan ein Ass im Ärmel: Den Flüchtlingsdeal mit Europa.
Publiziert: 23.07.2017 um 15:07 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 07:45 Uhr
Abgekühlt: Das Verhältnis zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Erdogan.
Foto: Reuters
Johannes von Dohnanyi

Für Europa ist die Türkei ein Schlüsselstaat: Das Land hütet die Grenze zu den Kriegsländern Syrien und Irak, es ist ein wichtiger Nato-Stützpunkt – und die Türken halten die Flüchtlingsströme aus den Krisengebieten nach Europa zurück. Das kommt dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in diesen Wochen gerade äusserst gelegen.

Denn im Verhältnis mit dem europäischen Schwergewicht Deutschland rumort es gerade kräftig. Zwischen Ankara und Berlin verschärft sich die Stimmung von Tag zu Tag dramatisch.

Zwar versuchte sich Aussenminister Sigmar Gabriel Ende letzter Woche noch einmal in Deeskala­tion. Einerseits musste er nach der Verhaftung des deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner den Ton gegenüber der türkischen Re­gierung verschärfen.

700 deutsche Unternehmen stehen auf einer «Terrorliste»

Andererseits befindet sich Deutschland im Wahlkampf. Da will Berlin jede Provokation der etwa drei Millionen in Deutschland lebenden Türken unbedingt vermeiden.

Ministerpräsident Binali Yildirim erinnert zwar an die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft im Ersten Weltkrieg. Aber dem Präsidenten und seinen Anhängern ist «Hans» – damit meinen sie die Deutschen – kein Freund mehr. Auf einer «Terrorliste» aus Ankara stehen fast 700 deutsche Unternehmen. Darunter eine Dönerbude in der Eifel – aber auch Mercedes-Benz. «Hans» müsse sich «endlich benehmen», fordert der Präsident.

Nach dem gescheiterten Putschversuch vor einem Jahr erlaubte Berlin dem ehemaligen «Cumhuriyet»-Chefredaktor Can Dündar, seinen publizistischen Kampf gegen Erdogan von Deutschland aus fortzusetzen, und gewährte mehreren türkischen Offizieren politisches Asyl.

Im Gegenzug liess Erdogan den deutsch-türkischen Korrespondenten der «Welt», Deniz Yücel, und viele andere Journalisten wegen «Spionage» und «Terrorunterstützung» verhaften.
Weil Ankara deutschen Parlamentariern den Besuch bei deutschen Soldaten auf dem türkischen Stützpunkt Incirlik verweigerte, hat die Bundeswehr mit der Verlegung ihrer Aufklärungsflugzeuge von Incirlik auf einen jordanischen Stützpunkt begonnen. Erdogan antwortete mit weiteren Verhaftungen. Insgesamt hält der Türke jetzt neun Deutsche hinter Gittern. Als Geiseln.

Tourismusbranche fürchtet den Kollaps

Jede Provokation aus Ankara zwingt Berlin zu heftigeren Reaktionen. De facto haben deutsche Politiker die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei für gescheitert erklärt. Die türkische Tourismusbranche fürchtet den Kollaps, seit Sigmar Gabriel die Reisewarnungen für Erdoganland verschärft hat.

Die ökonomischen Beziehungen insgesamt stehen auf dem Prüfstand. Selbst ein Ende der Rüstungsgeschäfte mit dem Nato-Partner Türkei wird erwogen.

Doch so weit dürfte es vor den deutschen Wahlen nicht kommen. Die Bundesregierung fürchtet das Ende des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei und Hunderttausende syrischer Kriegsopfer vor den Toren zu Europa.

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