BLICK: Herr Maurer, Sie müssen sich wie die Comicfigur Dagobert Duck vorkommen. Er schwimmt auch in Milliarden.
Ueli Maurer: Bei Comics kenne ich mich nicht aus. Im Gegensatz zu Dagobert Duck schwimme ich aber in Milliarden Schulden.
Als Finanzminister produzieren Sie aber Milliardenüberschüsse.
Drei Milliarden Franken Überschuss sind nichts, wenn sich der Schuldenberg auf 100 Milliarden beläuft. Das ist nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
Trotzdem verteilen Sie munter Geschenke – wie jetzt bei der Steuervorlage 17 eine Milliarde Franken mehr an die Kantone.
Das ist kein Geschenk, sondern eine Investition! Wer jetzt von Steuerausfällen spricht, hat die Zusammenhänge nicht richtig verstanden. Langfristig führt die Steuervorlage 17 zu Mehreinnahmen.
Das ist Wunschdenken.
Nein, das zeigen unsere Berechnungen. Und der Internationale Währungsfonds, der IWF, teilt diese Meinung. Bei den bisherigen Reformen sind wir damit richtig gelegen. Auch diesmal werden wir richtig liegen. Wenn wir auf ewige Zeit Geld verlieren würden, würden wir diese Steuervorlage 17 nicht machen.
Ein 1,2 Milliarden schweres Steuergeschenk machen Sie aber gutbetuchten Verheirateten mit der neuen Ehepaarbesteuerung.
Nicht der Staat schenkt dem Bürger Steuern, sondern umgekehrt. Gut 80'000 Zweiverdienerehepaare bezahlen heute zehn Prozent oder noch mehr Bundessteuern als Konkubinatspaare. Das ist unfair. Mit der Vorlage schaffen wir mehr Gerechtigkeit. Dass Besserverdienende dabei stärker entlastet werden, liegt daran, dass sie auch grundsätzlich mehr Steuern bezahlen.
Wenn Steuern wegfallen, braucht es andernorts neue Einnahmequellen. Die EU plant eine Digitalsteuer für Internetfirmen. Ist das die richtige Lösung?
Um neue Ansätze bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft kommen wir in der Schweiz nicht herum. Die EU denkt dabei an eine Umsatzsteuer auf bestimmten Digitalleistungen, von der die Staaten aufgrund ihrer Grösse anteilig profitierten. Die OECD hingegen diskutiert die Festlegung eines Steuersitzes dort, wo ein Unternehmen digital präsent ist und Mehrwert geschaffen wird. Es wird wohl auf eine dieser beiden Lösungen hinauslaufen.
Welche bevorzugen Sie?
Das EU-Modell benachteiligt die kleineren Länder. Die Schweiz generiert allein von ihrer Grösse her viel weniger Umsatz als zum Beispiel Deutschland. Darum bin ich am OECD-Modell interessiert, also an der Besteuerung nach physischer Präsenz.
Werden Sie die Besteuerung von Digitalleistungen noch als Finanzminister selbst einführen?
Auf jeden Fall. Das kommt sicher in den nächsten zwölf Jahren (lacht). Ernsthaft, es kann rasch gehen. Die OECD hat dieses Jahr einen ersten Bericht vorgelegt und möchte etwa 2020 konkrete Vorschläge unterbreiten. Daran kann sich auch die Schweiz orientieren.
Wie sieht es eigentlich umgekehrt aus: Ab wann können wir unsere Steuern mit einer digitalen Währung bei Ihnen begleichen?
Das wird noch sehr lange dauern – falls es überhaupt je kommt. Man sollte den normalen Bürger eher davor warnen, in Kryptowährungen wie Bitcoin einzusteigen. Das ist eine Spekulationsblase. Wenn man nicht wirklich etwas davon versteht, kann man eher Geld verlieren als gewinnen. Bei mir können Sie die Steuern weiterhin in Schweizer Franken bezahlen. Ein Dankeschön allen, die das so machen!
Was halten Sie als Finanzminister von einem Finanzreferendum? Aktuell steht ein solches ja bei der Olympia-Milliarde zur Debatte.
Ich befürworte zusätzliche demokratische Elemente. Die Gefahr ist aber, dass das Referendum nur eingesetzt wird, um politische Interessen durchzusetzen. Man tritt damit gegen die Armee oder die Entwicklungshilfe an, ohne dass es primär um die Ausgaben geht. Das ist problematisch.
Das Instrument hält aber die Ausgaben im Zaum.
Dafür haben wir die Schuldenbremse, die sich in den letzten 15 Jahren bewährt hat. Und das Parlament hat die Budgethoheit und kann alles über das Budget regeln. Es braucht kein zusätzliches Instrument – es sei denn, man traut dem Parlament nicht.
Teilen Sie das Misstrauen etwa nicht?
Nein, überhaupt nicht. Aber ich teile auch nicht jeden Entschluss des Parlaments.
Bei der Olympia-Milliarde verlangt der Nationalrat eine Volksabstimmung. Hoffen Sie, dass der Ständerat den Entscheid korrigiert?
Dem sehe ich gelassen entgegen. Es wäre aber ein schlechter Testlauf für ein Finanzreferendum. Erstens ist der Betrag auf zehn Jahre verteilt nicht entscheidend. Und zweitens wäre nur ein kleiner Teil der Schweiz direkt von Winterspielen betroffen.
Wenn wir an Graubünden zurückdenken, sind Sie doch ein Olympia-Freund!
Ich wäre für ein gutes Projekt, ja.
Ist Sion 2026 denn kein gutes Projekt?
Ich habe es zu wenig gut angeschaut (lacht).
Als früherer Sportminister sassen Sie bei sportlichen Grossanlässen auf der Tribüne. Vermissen Sie das?
Ich bin schon noch öppe auf der Tribüne, nur nicht mehr auf der Ehrentribüne. Ich brauche den Sport, aber die Grossanlässe vermisse ich nicht. Man muss sich da immer vom Buffet loskämpfen, damit man etwas mitbekommt von den Spielen.
Ist für Sie die Fussball-WM in Russland ein Thema?
Nein, ich gehe davon aus, dass hier andere hinreisen. Der Bundesrat hat das aber noch nicht behandelt.
In anderen Staaten gibt es Überlegungen, die WM wegen der Giftattacke auf zwei Spione zu boykottieren. Sollte sich die Schweiz dem anschliessen?
Man darf den Sport nicht verpolitisieren. Wenn sich die Situation nicht massgeblich verändert, soll die Schweizer Nati in Russland spielen. Und die Bundesräte gehen ja an eine WM, um die Nationalmannschaft zu unterstützen, nicht den russischen Staat. Wir müssen schon aufpassen: So viele Länder stehen im Konflikt mit anderen, da könnte man bald nirgendwo mehr teilnehmen. Irgendwann können Sie nur noch in der Schweiz bleiben – oder nicht einmal mehr in einen anderen Kanton reisen.
Hat die Schweiz als neutraler Staat eine andere Rolle als andere Länder?
Auch wir müssen prüfen, ob wir die Massnahmen gegen Russland mittragen. Aber bevor die Schweiz allfällige Schlussfolgerungen zieht in Bezug auf die Hintergründe und Urheberschaft dieser Tat, müssen die Ergebnisse der laufenden Untersuchungen abgewartet werden. Aber ganz grundsätzlich: Manchmal müssen Länder einfach Konsequenzen ziehen. Doch bedenken Sie: Irgendwann muss man die Konfliktparteien auch wieder zusammenbringen. Da braucht es eine dritte Partei, zu der beide Seiten genügend Vertrauen haben, um sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen.
Und diese Partei wäre die Schweiz?
Ja. Die Schweiz sollte sich diese Vermittlerrolle bewahren. Eine Ausgrenzung Russlands führt zu Instabilität. Wir müssen deshalb alles Interesse daran haben, Russland zurück nach Europa zu holen. Das heisst nicht, dass man akzeptiert, was Russland gemacht hat – falls es gemacht hat, was ihm vorgeworfen wird. Wenn die Vorwürfe dereinst bewiesen sein sollten, muss auch die Schweiz das verurteilen und Massnahmen prüfen. Die Frage ist aber, wie weit ein neutraler Staat gehen kann und soll.
Russische Diplomaten auszuweisen, halten Sie für falsch?
Ich will das noch nicht abschliessend beurteilen. Ich mahne aber zur Vorsicht. Derzeit handelt man aufgrund von Vermutungen. Ein Rechtsstaat sollte sich aber an Fakten halten.
Kommen wir zu Ihrer Partei, die soeben in Bern eine Wahlschlappe eingefahren hat. Was muss die SVP anders machen?
Vor allem braucht die SVP derzeit kein Beruhigungsmittel.
Sie meinen also, gerade hyperaktiv sei Ihre Partei derzeit nicht. Glauben Sie, dass die SVP bei den Nationalratswahlen 2019 verliert, wenn sie so passiv bleibt?
Die Gefahr besteht effektiv, dass die SVP 2019 verliert. Ich bin ja nicht mehr Parteipräsident und will mich nicht einmischen. Aber angesichts der Informationsflut, die täglich auf die Leute einschwemmt, muss sich eine Partei auf drei Themen beschränken. Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Sonst geht man unter in dieser Flut.
Hat die SVP also ihre Kernthemen aus dem Fokus verloren?
Mit dem Grösserwerden ist die Partei thematisch auch weniger fassbar geworden. Das ist so. Ja. Die Führung müsste die Partei tatsächlich wieder mehr auf ihre Kernthemen fokussieren.
Das Problem ist doch: Die SVP-Kernthemen haben im Moment keine Konjunktur. Die Asylzahlen sind rückläufig, die Zuwanderung nimmt ab und das EU-Thema wabert vor sich.
Das ist herrlich! Es freut mich, dass Sie mein Parteiprogramm, das ich zwölf Jahre lang vertreten hatte, zehn Jahre nach meinem Rücktritt als SVP-Präsident noch im Kopf haben. Das ist mein Aufsteller des Tages! Das belegt: Jede politische Botschaft muss sich fokussieren. Sie können höchstens drei Themen bringen.
Danke für die Blumen, Sie sind geschickt ausgewichen. Muss die SVP nun hoffen, dass FDP-Aussenminister Cassis das Rahmenabkommen unter Dach und Fach bringt, damit sie damit Wahlkampf betreiben kann?
Vor den Wahlen ist das EU-Geschäft wohl nicht reif. Der Bundesrat hofft, dass der Rahmenvertrag bis Ende dieses Jahres vorliegt. Aber unter Dach und Fach kommt er bis Herbst 2019 kaum. Und Sie vergessen eines: Je nachdem, wie der Rahmenvertrag aussieht, hilft er nicht der SVP, sondern dem Bundesra (lacht).
In der SVP ist ja eben die alte Garde durch junge Kräfte ersetzt worden. Sie gehören mit 67 ja auch eher zur alten Garde ...
Hey, hey! (Lacht)
Sie hängen im Bundesrat noch mindestens eine Legislatur an. Hier hätte man auf die Wahlen hin ja auch mit einer neuen Kraft für frischen Wind sorgen können.
Ich würde höchstens früher zurücktreten, wenn es für mich einen attraktiven EU-Posten in Brüssel geben würde (lacht).
Sie halten also lieber den Sitz für Magdalena Martullo warm?
Sie konzentrieren sich zu sehr auf Frau Martullo. Das ist eine tolle Frau, die einen riesigen Laden führt. Ich glaube, sie bewegt mehr, wenn sie in der Privatwirtschaft bleibt. Aber wenn sie will, können wir natürlich gern darüber reden, dass sie mich ersetzt. Sie wäre dereinst eine gute Nachfolgerin.
Am Montag wurde der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation zum Einsatz des Spions Daniel Moser veröffentlicht. Sie kommen darin als damals zuständiger Bundesrat nicht gut weg.
Der Bundesrat wird zum GPDel-Bericht Stellung nehmen. Wir überlassen ihm das. Persönlich habe ich aber grosse Vorbehalte zum Bericht.
Der 67-jährige Hinwiler Ueli Maurer hat eine kaufmännische Lehre absolviert und das eidgenössische Buchhalterdiplom erworben. Der Vater von vier Söhnen und zwei Töchtern war von 1996 bis 2008 Präsident der SVP Schweiz.
Nach dem Rücktritt von Bundesrat Samuel Schmid (71, BDP) war Maurer 2008 neben Parteivordenker Christoph Blocher (77) offizieller SVP-Bundesratskandidat. Am 10. Dezember wurde er mit nur einer Stimme Vorsprung auf Sprengkandidat Hansjörg Walter (67, SVP) in die Regierung gewählt. Bis 2015 stand Maurer dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) vor. Per 2016 wechselte er an die Spitze des Finanzdepartements.
Der 67-jährige Hinwiler Ueli Maurer hat eine kaufmännische Lehre absolviert und das eidgenössische Buchhalterdiplom erworben. Der Vater von vier Söhnen und zwei Töchtern war von 1996 bis 2008 Präsident der SVP Schweiz.
Nach dem Rücktritt von Bundesrat Samuel Schmid (71, BDP) war Maurer 2008 neben Parteivordenker Christoph Blocher (77) offizieller SVP-Bundesratskandidat. Am 10. Dezember wurde er mit nur einer Stimme Vorsprung auf Sprengkandidat Hansjörg Walter (67, SVP) in die Regierung gewählt. Bis 2015 stand Maurer dem Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) vor. Per 2016 wechselte er an die Spitze des Finanzdepartements.