Finanzminister Ueli Maurer greift in die Service-public-Debatte ein
«Dass der SBB-Chef doppelt so viel verdient wie ich, ist gerecht»

Bundesrat Ueli Maurer warnt vor der Service-public-Initiative. Dass die Manager von SBB, Post und Co. mehr verdienen als ein Bundesrat, stört ihn überhaupt nicht. Er wolle keine billigen Chefs, die nichts leisten.
Publiziert: 22.05.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:17 Uhr
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«Uns würde mindestens eine Milliarde Franken pro Jahr fehlen», sagt Ueli Maurer.
Foto: Ex-Press
Marcel Odermatt und Simon Marti

Ein Gespenst geht um in Bern. Es heisst Service-public-Initiative. Es herrscht die Befürchtung, dass das Volk am 5. Juni Ja sagt. Am Freitagnachmittag versammelten sich in einer improvisierten Hauruck-Übung sechs (!) Parteipräsidenten auf dem Bundesplatz, um gegen das Anliegen anzutreten. Die Angst der Parteichefs hat einen guten Grund: Das Begehren kommt beim Volk an. Ein guter Service public gehört zur schweizerischen DNA. Laut aktuellen Umfragen stimmt eine Mehrheit der Initiaitve zu, obwohl das ganze Polit-Establishment von SVP bis Grüne diese ablehnt. Sie verlangt einen Lohndeckel für bundesnahe Betriebe von 475000 Franken – das Jahresgehalt eines Bundesrats – sowie ein Gewinnverbot für den Bereich der Grundversorgung.

Jetzt geht auch Finanzminister Ueli Maurer (65) in die Offensive. Im Gespräch mit SonntagsBlick warnt der SVP-Bundesrat vor dem Loch, das ein Ja in die Bundeskasse reissen würde. Und er glaubt, dass die Ruag innert weniger Jahre vor dem Aus stünde, falls das Volk dem Anliegen von Konsumentenschützern zustimmt. Was Maurer dagegen wenig stört: Dass die Topmanager der staatsnahen Betriebe viel mehr kassieren als er selber.

Herr Bundesrat, SBB-Chef Andreas Meyer verdient doppelt so viel wie Sie – zu Recht?

Ueli Maurer: Der Markt ist ein anderer. Viele wollen Bundesrat werden, also muss man da weniger zahlen. Gute Chefs für gute Betriebe dagegen sind knapp.

Also ist der Einkommensunterschied gerecht?

Ja, der ist gerecht.

Der ehemalige Chef der Bundesbahnen, Benedikt Weibel, machte denselben Job, aber für deutlich weniger Lohn.

Leider ist es heute so, dass man diese hohen Gehälter zahlen muss. In der Privatwirtschaft würde Andreas Meyer in einem vergleichbaren Betrieb deutlich mehr verdienen. Ich engagiere lieber einen guten Chef, der eine Million kostet, als einen schlechten für die Hälfte, der dann nichts leistet. Tüchtige Leute haben ihren Preis. Aber der Grundsatz, dass diese Gehälter nicht uferlos wachsen dürfen, ist sicher richtig.

SP-Präsident Christian Levrat lehnt die Service-public-Initiative ab wie Sie, will aber gegen Lohnauswüchse vorgehen. Einverstanden?

Was ist ein Auswuchs? Natürlich sind diese Löhne hoch. Im Vergleich sind sie aber gerechtfertigt. Was die Initia­tive bewirkt, sind schlechtere Löhne. Für die bekommen wir dann auch schlechtere Leute. Die Gefahr besteht, dass wir nach unten nivellieren.

Zum Vergleich: Ein Bundesrat verdient 445'000 Franken pro Jahr. Hinzu kommt eine Spesenpauschale von jährlich 30'000 Fr.

Welche Betriebe wären überhaupt betroffen? Die Initianten sprechen immer von Post, SBB und Swisscom. Was ist mit Unternehmen wie Skyguide, Finma, Ruag oder beispielsweise dem Hotel Bellevue, das ja ebenfalls dem Bund gehört?

Die Initianten sprechen von etwas anderem, als sie im Text geschrieben haben. Für mich ist der Initiativtext klar: Betroffen sind alle Unternehmen, die einen Grundversorgungsauftrag haben oder an denen der Bund direkt oder indirekt beteiligt ist. Dazu gehören die Ruag, Skyguide und sogar das von Ihnen erwähnte Hotel Bellevue. Wir sind uns gewohnt, Initiativen nah am Text umzusetzen und können nicht einfach drei Betriebe rauspicken. Die Gesetzgebung müsste komplett geändert werden, für jedes dieser Unternehmen. Auf jeden Fall müssten alle ihre Löhne an die der Bundesverwaltung angepasst werden und sie dürften nicht mehr profitorientiert arbeiten. Stellen Sie sich vor, was das bedeuten würde! Die Schweiz stünde plötzlich vor einem riesigen Reformstau. Eigentlich ist das nicht zu lösen.

Als Finanzminister kümmern Sie sich um den Staatshaushalt. Was wären die Folgen für die Bundeskasse, wenn die bundesnahen Betriebe nicht mehr gewinnorientiert wirtschaften dürften?

Uns würde mindestens eine Milliarde Franken pro Jahr in der Bundeskasse fehlen, wenn diese Betriebe nichts mehr ablieferten. Diese Mil­liarde brauchen wir aber – und müssten sie durch neue Steuern wieder eintreiben. Letztlich würden somit die Bürger mehr bezahlen.

Dafür würden die staatsnahen Betriebe wieder mehr in ihre Dienstleistungen investieren.

Nein, die Dienstleistungen würden dann auch nicht besser. Im Gegenteil: Der Druck, gute Leistung zu bringen, wäre weg. Richten sich die Löhne nach dem Bund, werden die Leistungen automatisch schlechter. Denn das Lohnsystem des Bundes ist kein gutes: Die guten Leute werden zu schlecht bezahlt, die schlechteren zu gut. Dabei ist unser Service public heute doch hervorragend: Stundentakt bei der Bahn im ganzen Land, ein Poststellennetz bis ins letzte Kaff, eines der besten Telekommunikationsnetze der Welt. Diesen Standard halten wir auch ohne die Initiative, niemand in der Politik will einfach Leistungen abbauen.

Nehmen wir etwa die Ruag: Deren Chef erhielte künftig so viel wie ein Bundesrat. Warum sollten dadurch seine Leistungen schlechter werden?

Ich kenne Herrn Breitmeier gut. Er findet in der Wirtschaft locker einen besser bezahlten Job. Ein Ja zur Ini­tiative und die Ruag ist innert weniger Jahre am Ende. Sie gehört zu hundert Prozent dem Bund, doch nur ein Drittel ihres Umsatzes erzielt sie mit dem Verkauf von Material an den Staat, den Rest muss sie im freien Markt verdienen. Zu den Löhnen des Bundes aber findet sie nicht die Ingenieure und Informatiker, die sie braucht, um konkurrenzfähig zu bleiben. Abgesehen davon: Ich finde es immer schön, wenn jemand gut verdient. Das ist doch herrlich! Diese Leute geben Geld aus und zahlen hohe Steuern.

Sie nannten die Ruag, wie sieht es bei der Finma aus?

Da geht es auch nicht. Die Finma-Leute sind in der Bankbranche beliebt. Viele junge Leute gehen zur Finma – und sobald sie das Know-how haben, wandern sie zu den Banken ab und verdienen wesentlich mehr. Oder nehmen Sie die Swisscom: Die muss sich jeden Tag am Markt beweisen. Schaut man sich die massiven Informatikprobleme des Bundes an, macht es schlicht keinen Sinn, diese Schwierigkeiten auch noch in ein Unternehmen zu exportieren, das sich hervorragend bewährt hat.

Eine Milliarde Franken würde bei einem Ja fehlen, sagen Sie. Mit Verlaub, bei einem Bundeshaushalt von 67 Milliarden ist das doch zu verkraften – auch ohne Steuererhöhung!

Genau gerechnet, sind es sogar 1,3 Milliarden Franken. Der grösste Teil entfällt übrigens auf die Swisscom. Eine Milliarde wäre zu verkraften, aber wir haben noch die Emissionsabgabe, die 2,2 Milliarden kosten würde, die Heiratsstrafe kostet auch eine Milliarde und bei einem Ja zur Milchkuh-Initiative folgen 1,5 Milliarden, die Unternehmenssteuerreform III kostet eine Milliarde, eine weitere Milliarde fliesst zusätzlich ins Asylwesen, 600 Millionen in die AHV, 300 Millionen in die Armee: Alles in allem haben wir zurzeit Einnahmenausfälle und Mehrausgaben von rund zehn Milliarden Franken auf dem Tisch. Wenn es nur eine Milliarde wäre, würden wir das hinkriegen. Zehn sind nicht zu schaffen.

Warum sind die Ausfälle bei der Unternehmenssteuer gerechtfertigt und beim Service public nicht?

Die Unternehmenssteuerreform dürfte uns etwa drei bis vier Milliarden Steuern sichern. Das ist eine langfristige Investition. Ohne die Reform wandern die Firmen ins Ausland ab.

Allen Warnungen zum Trotz geniesst die Service-public-Initiative im Volk grossen Rückhalt. Warum werden auch Ihre Argumente nicht gehört, Herr Maurer?

Niemand ist gegen den Service public, und er ist in der Schweiz hervorragend. Die Initiative gefährdet ihn aber. Zum Beispiel im Bahnverkehr: Die Befürworter wollen Quersubventionierungen verbieten. Mit der Linie Bern–Zürich finanzieren wir heute aber unrentable Verbindungen in den Randgebieten.

Wenn alle mit dem Service public zufrieden wären, hätte die Vorlage keine Chance ...

Ja, das ist so. Jeder hat mal auf ­einen Zug gewartet oder vor dem geschlossenen Postschalter. Aber die Betriebe haben Lösungen gefunden: Vielerorts ist die Post heute im Dorfladen. Da profitieren dann beide. Das Unbehagen entsteht durch aufgebauschte Einzelbeispiele. Ich pendle ja auch. Kommt der Zug eine Minute zu spät, geht das Gerede auf dem Perron schon los. Wir jammern auf hohem Niveau. Ich bezweifele auch, ob es Aufgabe des Staates ist, für jeden Einzelfall eine Lösung zu bieten. Das Beispiel der alten Leute etwa, die in ihrem Dorf keine Poststelle mehr haben: Die 85-jährige Grossmutter wird sich auch beim Einkaufen helfen lassen. Das ist doch kein Problem für die alten Leute, sie verstehen und lösen das.

Ihr Parteikollege Roger Köppel sagt, es sei unfair, wenn Firmen die Gewinne, die sie dank staatlicher Privilegien erzielen, frei investieren können – wiederum zur Gewinnvermehrung!

Das stimmt so nicht! Alle diese Unternehmen haben einen Leistungsauftrag. Die Ruag würde viele Dienstleistungen für die Armee nicht erbringen, weil sie unrentabel sind. Die Post könnte ohne Leistungsauftrag zig Zweigstellen schliessen, wäre sie nicht an die strategischen Ziele mit dem Bund gebunden. Diese Betriebe sind nicht einfach frei. Wir haben sie durchaus im Griff. 

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