Schweizer Unternehmen sollen in der Schweiz für Umwelt- und Menschenrechtsverstösse in anderen Ländern haftbar gemacht werden können. In diesen Tagen entscheidet der Ständerat über die sogenannte Konzernverantwortungs-Initiative und deren Gegenvorschlag. SonntagsBlick hat den Co-Präsidenten des Komitees, alt Ständerat Dick Marty, getroffen.
Warum müssen Sie mit 74 noch die Welt retten?
Dick Marty: Die Initiative ist kohärent mit dem, was ich immer gemacht habe: Es geht um Justiz im Sinne von Gerechtigkeit.
Dafür kann man sich überall einsetzen. Wieso der Dritte-Welt-Ansatz?
Das hat auch mit einer Afrikareise zu tun. Ich war zu Besuch im Kongo, in der Region Kivu. Die Gegend dort ist voller Bodenschätze, ohne die bei uns nichts läuft. Unsere Handys zum Beispiel enthalten Coltan und andere Mineralien von dort. Aber die ansässige Bevölkerung hat davon nichts. Die Leute leben in einer Misere aus Gewalt, Mangel und Krankheiten. Ich habe hungrige Kinder ohne Augenlicht gesehen. Ich glaube deshalb, dass es auch unser Interesse ist, dass wir gerechter mit diesen Menschen sind.
Das sollen Schweizer Firmen ändern? Ihre Gegner warnen vor einem Schweizer Alleingang.
In unseren Nachbarländern gibt es bereits ähnliche Regelungen. Alleingang wäre, wenn die Schweiz nichts machen würde! Schliesslich ist sie Sitz von vielen multinationalen Konzernen. Pro Kopf sind wir die Leader auf der Welt. Das verpflichtet uns, dafür geradezustehen für das, was man tut. Wenn mein Hund jemanden beisst, bin ich dafür verantwortlich. Der Mechanismus ist genau derselbe.
Es gibt die Angst bei Unternehmen, dass Ihr Ansinnen Tür und Tor für Missbrauch öffnet.
Ich kann die Angst verstehen, wenn Leute die gerichtliche Praxis und das Recht in der Schweiz nicht kennen. Aber was riskieren sie? Die Hürden sind so hoch für eine Person, die Schadenersatz will. Erstens muss eine Menschenrechts- oder Umweltverletzung auch in der Schweiz als Verletzung betrachtet werden. Zweitens weiss jeder Jurist, wie schwierig und teuer eine Schadenersatzklage in der Schweiz ist. Und unsere Richter sind keine Rambos.
Sie haben diese Woche jedem Ständeratsmitglied brieflich zugesichert, die Initiative zurückzuziehen, wenn das Parlament den Gegenvorschlag beschliesst.
Wir haben wichtige Zugeständnisse gemacht: Die Zahl der Unternehmen wurde beschränkt. Die Klagemöglichkeit eingeschränkt. Und wir haben akzeptiert, dass es vorher ein Schlichtungsverfahren gibt. Wir haben das Maximum gemacht. Wir sind keine Dogmatiker. Wir kennen das Schweizer System. Wenn man eine Lösung schnell haben will, muss man Kompromisse machen. Es gibt für die Kritiker praktisch keine Gründe mehr, gegen diesen Gegenvorschlag zu sein.
Dennoch bekämpfen sie den Kompromiss.
Ich vermute, dass es jetzt einen Versuch geben wird, die Sache auf die lange Bank zu schieben. Manche Leute wollen sich vor den Wahlen nicht exponieren. Das wäre sehr, sehr schlecht für die Glaubwürdigkeit der Politik.
Auch Traditionsunternehmen wie Nestlé – keine finsteren Mächte – machen nicht mit.
Dass Nestlé nicht mitmacht, enttäuscht mich. Denn unser Anliegen ist auch im Interesse von Nestlé und der vielen Unternehmen, die sich korrekt verhalten. Nestlé kann doch nichts daran liegen, dass die «bad guys» profitieren und sich so einen Konkurrenzvorteil verschaffen! Umso froher bin ich, dass Migros und Coop – typisch schweizerische Firmen, die täglich im Kontakt mit den Bürgern sind – mitmachen, aber auch die Rohstoffhändler und das Groupement des Entreprises Multinationales in Genf. Die grosse Enttäuschung ist für mich aber der Bundesrat.
Die Landesregierung lehnt Ihre Initiative und den Gegenvorschlag ab. Gab es mal direkte Gespräche?
Nein. Wir hatten ganz am Anfang um ein Gespräch mit dem Aussendepartement EDA gebeten. Das wurde abgelehnt. Man weiss, dass das EDA in Kontakt mit Economie- suisse steht – was legitim ist – und wir mehr als 130 NGOs vertreten. Der Bundesrat hätte auch mit uns reden sollen.
Dick Marty (74) wurde 1975 Tessiner Staatsanwalt – und machte sich einen Namen im Kampf gegen die Drogenmafia. 1989 wurde er Regierungsrat, 1995 bis 2011 Ständerat für den Kanton Tessin. Er arbeitete an der Bundesverfassung von 1999 mit und ermittelte für den Europarat zu geheimen CIA-Gefängnissen. 2010 publizierte er seinen weltweit beachteten Bericht über den Organhandel der kosovarischen UÇK. Marty wurde mit diversen Preisen geehrt.
Dick Marty (74) wurde 1975 Tessiner Staatsanwalt – und machte sich einen Namen im Kampf gegen die Drogenmafia. 1989 wurde er Regierungsrat, 1995 bis 2011 Ständerat für den Kanton Tessin. Er arbeitete an der Bundesverfassung von 1999 mit und ermittelte für den Europarat zu geheimen CIA-Gefängnissen. 2010 publizierte er seinen weltweit beachteten Bericht über den Organhandel der kosovarischen UÇK. Marty wurde mit diversen Preisen geehrt.
EDA-Vorsteher Ignazio Cassis ist wie Sie Tessiner und Freisinniger.
Er hat ein klares Signal gesendet: Er ist nach Sambia geflogen, wo es keine Schweizer Botschaft und kein Deza-Büro gibt, und hat medienwirksam eine Glencore-Mine besucht.
Haben Sie mal miteinander geredet?
Nein. Mit vielen anderen Politikern war ein Gespräch möglich. Ich finde es ziemlich unanständig, dass ein Bundesrat ausgerechnet während des parlamentarischen Verfahrens mit grossem Pomp eine Mine von einer der umstrittensten Firmen der Welt besucht.
Ihre andere Parteikollegin im Bundesrat, Justizministerin Karin Keller-Sutter, wollte mit einem eigenen Ansatz Ihre Initiative aufweichen.
Es ist äusserst merkwürdig, wenn ein Bundesrat gegen Ende eines parlamentarischen Prozesses so in die Diskussion interveniert. In 16 Jahren im Ständerat habe ich das nie erlebt.
Die beiden FDP-Magistraten torpedieren Ihre Initiative, die Partei ist dagegen. Fühlen Sie sich beim Freisinn eigentlich noch wohl?
Ich habe die Arroganz, zu sagen: Ich habe mich nicht verändert, aber die Partei. Leider. Ich bin innerhalb der Freisinnigen jedoch sicher nicht allein. Die Entwicklung ist schade, weil Liberalismus immer aktuell ist. Aber ein richtiger Liberalismus braucht auch ein Korsett, damit die freie Konkurrenz richtig spielen kann. Heute gibt es riesige Firmenkonglomerate, die mächtiger als Staaten geworden sind und die politische Agenda diktieren. Man spricht von Freiheit der Information, aber die Medien sind immer mehr unter ökonomischem Druck. Das wären auch freisinnige Themen!
Dachten Sie schon an einen Parteiaustritt?
Wir wollten jetzt ja über die Konzern-Initiative reden. Und ich behaupte, dass die Schweiz mit dieser Initiative – oder dem Gegenvorschlag – gestärkt wird. Das ist mir wichtig. Und vielen anderen Bürgerlichen auch, die diese Woche soeben ein neues «Bürgerliches Komitee für Konzernverantwortung» lanciert haben.
Sind Sie zuversichtlich, wenn es zu einer Abstimmung kommt?
Ich glaube, unsere Gegner versuchen, Zeit zu gewinnen, weil sie wissen, dass wir nicht im Geld schwimmen. Wenn es zu einer Abstimmung kommt, werden unsere Gegner Millionen haben. Aber wir haben eine breite Zivilgesellschaft auf unserer Seite. Es engagieren sich schon 250 Lokalkomitees für die Initiative, es gibt ein Wirtschaftskomitee aus Unternehmerinnen und -unternehmern, und die Landeskirchen unterstützen uns ebenfalls. Und in Umfragen sind konstant 75 Prozent für unsere Initiative.