10.23 Uhr: SVP-Übervater schultert die Treicheln
Kaum angekommen, regt sich Magdalena Martullo-Blocher (50) schon auf. Ihr Vater Christoph Blocher (78) schultert gerade zwei schwere Kuhglocken – genau so, wie er 1992 gegen den EWR mobil gemacht hatte. Doch heute, 27 Jahre später, ist er dafür definitiv zu alt, findet Martullo-Blocher. Ihr Vater, im Mundwinkel einen Stumpe, sieht das freilich anders: «Ich bin zwar alt, aber so huere schwach auch wieder nicht!», stellt er klar. Herzlich willkommen am Wahlfest der SVP.
Über 800 Parteimitglieder sind nach Sattel SZ gepilgert, um sich im Festzelt – bei einem kühlen Bier oder einem SVP-Kafi (Kirsch und Träsch, 6 Franken) – von der Parteispitze auf die Wahlen einstimmen zu lassen. Der Ort ist, natürlich, kein Zufall. Ganz in der Nähe fand vor über 700 Jahren die Schlacht am Morgarten statt. «Eine Freiheitsschlacht», wie Blocher später sagen wird. Nun ziehe man erneut in den Kampf für die Freiheit. «Liebe Froue und Manne, wir tun es nicht für uns, wir tun es nicht für die Ämter, wir tun es nicht für die SVP – wir müssen es für die Schweiz tun», krächzt Parteipräsident Albert Rösti (52) mit heiserer Stimme ins Mikrofon. Bernhardiner Quirin (2) nebendran sabbert derweil den Boden voll.
10.28 Uhr: Bei der FDP ist alles so positiv
Ja, in Sattel SZ ist es schöner. Aarau hat seinen Charme, doch mit der Landschaft am Morgarten kann die Umgebung der Schachenhalle, in die die FDP gleichzeitig zum Wahlkampfest geladen hat, nicht mithalten. Vorne die Durchgangsstrasse, hinten Wohnblöcke und ein Sportplatz. Aber egal.
Auf dem Gang in die Halle springt einen das Positive förmlich an: Alles ist Aufbruch, Hoffnung, Chance. «Machen wir es möglich», prangt in grossen blauen Buchstaben auf dem Vorplatz. Später kann man sich von einer Knipsbox fotografieren lassen, zum Beispiel mit dem Spruch «Konsequent positiv statt Angst und Neid.» Alle sind gut gelaunt, zuversichtlich für die Wahlen. Auch Ständeratskandidat Thierry Burkart (44) strahlt Gelassenheit aus. Schafft er es am 20. Oktober im ersten Wahlgang oder muss er in den zweiten? «Ich nehme es, wie es kommt», sagt er und lächelt sein Zahnpasta-Werbungs-Lächeln.
10.34 Uhr: Beim Schweizerpsalm dürfen die SVP-ler spicken
Bei der SVP wird derweil erst einmal gesungen – der Schweizerpsalm natürlich. Bei der ersten Strophe sind die SVP-ler noch mit Inbrunst dabei, schliesslich ist der Text aufs Tischset gedruckt. Bei der zweiten Strophe allerdings müssen selbst viele der Partei-Granden auf der Bühne passen. SVP-Vize Céline Amaudruz (40) scheint gar nicht gewusst zu haben, dass es nach der ersten Strophe noch weitergeht. Martullo-Blocher bewegt immerhin die Lippen.
Einfacher der Text beim «Sünneli-Song», der kurz darauf durch die Lautsprecher wummert: «D'Volkspartei isch für alli für üs da». Auch die Choreographie der SVP-Sünneli ist nicht allzu komplex. Die armen SVP-ler, die man in die Plüsch-Kostüme gesteckt hat, kommen angesichts der Temperaturen im Zelt wohl dennoch ganz schön ins Schwitzen.
11.25 Uhr: Die Schweiz will, das FDP-WLAN nicht
«Die Schweiz will» heisst der offizielle Wahl-Slogan der Freisinnigen 2019. «Die Schweiz will» ist auch der Name des WLAN, das die FDP in der Schachenhalle eingerichtet hat. Was die FDP hingegen nicht will, ist das Passwort dafür an die Journalisten rausrücken (gut, Pressesprecher Martin Stucki bemüht sich, aber leider erfolglos). Von den Steckdosen funktioniert auch nur die Hälfte. Strom wird also schon rationiert. Da sieht man mal, wohin der neue grüne Kurs des Freisinns führt.
Um 11.31 Uhr wird es auch beim Freisinn patriotisch. Wie bei der SVP wird auch an der Aare die Nationalhymne intoniert, auf der Videowand auf der Bühne flattert eine Schweizerfahne dramatisch im Wind. Allerdings erklingt hier nur die erste Strophe, am Mikrophon angeführt vom Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni (39), der eine schöne, kräftige Stimme hat. Kein Wunder, bricht am Ende der Hymne frenetischer Jubel aus.
11.52 Uhr: Rahmenabkommen zum Einschlafen
Gut, dauert der offizielle Teil – die FDP nennt es Festakt – nur 90 Minuten. Denn er ist ein bisschen dröge. Bis Ignazio Cassis (58) auftritt. Wenn sich der Aussenminister zu Wort meldet, ist besondere Aufmerksamkeit gefragt: Wird er etwas zu Philip Morris sagen? Oder den Lohnschutz für zweitrangig erklären?
Ausser Bundespräsident Ueli Maurer (68) versteht es niemand in der Landesregierung so gut, Debatten anzustossen. Hier in Aarau sorgt Cassis für Unterhaltung. Etwa, wenn er freimütig gesteht, dass er im Aussendepartement gelandet ist, «weil es niemand anders wollte», oder das Rahmenabkommen zur Bettlektüre empfiehlt – «vor allem, wenn Sie Schlafstörungen haben».
11.58 Uhr: SVP schwört sich auf den Feind ein
Zurück zur SVP. Nach Standing Ovations und einer Welle für Blocher bringt nun ein weiterer Redner die angereisten Seniorinnen und Senioren (und die wenigen anderen Gäste) in Wallungen: der Zürcher Nationalrat und Weltwoche-Verleger Roger Köppel (54). Er schiesst gegen alle Parteien, die nicht mit S beginnen und mit VP enden und schwört die Schäfchen auf den bevorstehenden Kampf ein. «Die SVP ist die letzte politische Verteidigungslinie der Schweiz in Bern», ruft er ins Zelt. Den Erfolg, die Freiheit, den Wohlstand: das alles gelte es gegen den Feind zu verteidigen. Während die FDP Euphorie zelebriert, zeichnen die Redner in Sattel bei strahlend blauem Himmel das Untergangsszenario.
12.27 Uhr: Die freisinnige Schweiz ist ein Schiff
Die vielen Kinder – ja, die FDP ist eine Familienpartei geworden – im Saal werden langsam unruhig. Caroni kündigt jetzt die «Generalin der freisinnigen Flotte, den Schrecken der politischen Konkurrenz an»: Chefin Petra Gössi (43). Die Metapher wird sich erst später erklären. Gössi – ganz in FDP-Blau – tut, was sie besonders gut kann – vermeintlich Nähe zulassen und dem Gegenüber so das Gefühl von Vertrautheit zu geben. Sie eröffnet ihre Rede mit einem Bergerlebnis auf dem Mythen. Das Bild des anstrengenden Aufstiegs gilt ihr als Brücke, um die Schweiz als Chancenland zu zeigen. «Alles ist möglich, wenn man nur will.» Die Schweiz als Willensnation. Beschwört die SVP in Schwyz die ständige Bedrohung des Landes, sieht man hier die Zukunft als Chance.
Die Schweiz sei auch keine Insel, wie andere immer behaupten würden (abgehakt: Seitenhieb in Richtung SVP). Nein: «Die Schweiz ist ein Schiff. In den Ozeanen dieser Welt, wo es Stürmen trotzt und dennoch seinen Kurs hält.» Für dieses Kurshalten brauche es die Staatsgründerpartei FDP. Denn sonst drohe das Gespenst des «neuerdings wieder hochgelobten Sozialismus» (abgehakt: Seitenhieb Richtung SP), warnt Gössi. Es ist eine kämpferische Rede, ungewohnt für die FPD-Chefin. So ganz traut sie sich selbst und dem Szenenapplaus nicht.
12.50 Uhr: SVP haut die Linken – und serviert Pastetli
Seitenhiebe gegen die anderen? Die SVP tut nichts lieber. Wobei es eher harte Schläge denn sanfte Hiebe sind. So kann man während der Mittagspause vor dem Festzelt den Chilbi-Klassiker «Hau den Lukas» spielen – oder eher: «Hau die Linken». Je schwächer der Schlag, desto linker ist man laut Skala.
Das Zmittag wird um 12.50 Uhr mit 35 Minuten Verspätung aufgetischt. Pastetli mit Erbsli und Rüebli gibts – ja sogar inklusive Vegi-Option mit Pilzli statt Kalbfleisch.
12.51 Uhr: Das FDP-Netz will nicht
Die freisinnigen Knirpse lassen ihrem Bewegungsdrang ungehindert freien Lauf in der Schachenhalle. Gössi kommt zum Höhepunkt ihrer Rede: «Die Schweiz will – packen wir es an, überholen wir die SP!» Jetzt sollten sich die beiden grossen Netze an der Hallendecke öffnen und weiss-blaue Luftballons regnen lassen. Nur leider klappt das nur zur Hälfte. Ein Netz will einfach nicht, egal, wie stark die FDP-Praktikanten an der Schnur ziehen. Als Omen will das hier aber niemand sehen – das mit dem Überholen der SP wird schon klappen.
Immerhin: Das Volksfest im Schatten der Platanen beginnt pünktlich – mit Bratwurst (sehr gefragt, das Solothurner Wysüppli hat es schwer dagegen), Hüpfburg und guter Stimmung. Ausser alkoholischen Getränken alles offeriert von der FDP Schweiz. Man mag sich nicht ausdenken, was das gekostet hat. Eine Dixie-Band wird aufspielen, es wird sein wie an einem Samstagnachmittag in einem Biergarten. Dann wird es nicht mehr um Politik gehen, sondern um die Ferien, die Familien, das Leben eben. Nur die Nationalratskandidaten werden tapfer Wahlkampf machen. Und Aussenminister Cassis unermüdlich für Selfies bereitstehen. Justizministerin Karin Keller-Sutter (55) wird nicht mehr zu sehen sein. Aber zuerst hallt noch die Durchsage durch den Saal: «Wir verwenden wiederverwendbares Geschirr. Bitte werfen Sie es nicht weg, sondern bringen Sie es zur Geschirrrückgabestelle. Vielen Dank!»
14.01 Uhr: Bei der SVP bebt die Hütte
Verdauungspäuschen bei der SVP? Von wegen! Nach dem Zmittag bebt in Sattel die Hütte. Die «Partyhelden» (zwei Männer, ein Keyboard und viel Playback) heizen ein – als ob es nicht bereits heiss genug wäre. «En rechte Schwyzermaa, de brucht en Cervelat», schmettern die Partymacher. Parteipräsident Albert Rösti (52) schwingt das Tanzbein.
Anschliessend wirds wieder ernst. Ueli Maurer (68) tritt ans Rednerpult. Während durch die geöffneten Seitenwände Stallgeruch ins Festzelt wabert, packt der Bundespräsident die Holzkuh aus, «Symbol für unsere Wurzeln und unsere Werte». Auch er schwört die versammelte SVP-Gemeinde auf den gemeinsamen Kampf fürs Vaterland ein – mit irritierenden Schlussworten: «Ich wünsche, dass Sie irgendwann als Helden sterben. Als Helden für die Schweiz!» Und vorher, frei nach Albert Rösti, esst doch noch eine Bratwurst.
Bald geht die heisse Phase der Wahlschlacht so richtig los. BLICK erklärt im Formtest, wo die Parteien im Moment stehen und womit sie zu punkten versuchen.
Bald geht die heisse Phase der Wahlschlacht so richtig los. BLICK erklärt im Formtest, wo die Parteien im Moment stehen und womit sie zu punkten versuchen.
Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Wer bei den Worten panaschieren, CSP oder Proporz-System nur Bahnhof versteht, sollte sich über das ABC des wichtigen Urnengangs hier schlau machen.
Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Wer bei den Worten panaschieren, CSP oder Proporz-System nur Bahnhof versteht, sollte sich über das ABC des wichtigen Urnengangs hier schlau machen.