FDP-Präsidentin Petra Gössi über den Inländervorrang
«Ich verstehe, dass die Leute sichere Jobs wollen»

Die Wirtschaft habe Philipp Müllers Vorschlag zum Inländervorrang noch nicht richtig begriffen. FDP-Chefin Petra Gössi verteidigt im BLICK-Interview die Pflicht zu Bewerbungsgesprächen.
Publiziert: 11.11.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:55 Uhr
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Für Petra Gössi die entscheidende Frage: Will man die Bilateralen oder nicht?
Foto: Daniel Kellenberger

Zwei Ihrer Parteikollegen prägen die Debatte zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. Wen mögen Sie lieber, Kurt Fluri oder Philipp Müller?
Beide sind starke Persönlichkeiten, die ihre Aufgabe in der Fraktion wahrnehmen. Es geht hier aber um die Sache. Wir müssten eine Lösung finden, die für die Menschen in der Schweiz vorteilhaft ist.

Fluri hat den Inländervorrang light geschaffen, und der Ständerat will diesen nun mit Müllers Lösung etwas verschärfen. Ist die geplante Pflicht zum Bewerbungsgespräch sinnvoll?
Es ist wichtig, dass eine Verschärfung auf dem Tisch ist. Die Fraktion muss dies jetzt gut prüfen.

Warum ist Müllers Modell attraktiv?
Weil es Vorteile für die Stellensuchenden in der Schweiz hat, in der Praxis umsetzbar ist und die verlangte Verschärfung bringt.

Die Arbeitgeber befürchten einen «nicht zu bewältigenden bürokratischen Aufwand».
Ich bezweifle, dass sie Müllers Vorschlag schon im Detail begriffen haben. Dazu will ich Folgendes klarstellen: Nur bei jenen Berufsgruppen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit müssten Firmen begründen, warum sie keinen Inländer anstellen und dafür Ausländer in die Schweiz holen wollen. Es ist also keine flächendeckende Pflicht zu Bewerbungsgesprächen. Zudem: Wer Inländer anstellen will, hat keine Hürden.

Die Experten an der Front bei den RAV sagen: Die Hälfte der Stellensuchenden wäre betroffen, und es bräuchte wohl auch mehr Personal. Mit wie vielen betroffenen Stellen rechnen Sie?
Jetzt eine Zahl zu nennen, wäre unseriös, da die Verordnung dies regeln wird. Es ist aber sowieso eine Aufgabe der RAV, die Stellensuchenden zu unterstützen.

Gegen die Zuwanderung nützt dieses Modell aber herzlich wenig.
Es ist eine schweizerische Lösung, die vor allem den inländischen Arbeitslosen Vorteile bringt. Sie berücksichtigt den Zuwanderungsartikel in der Verfassung und gleichzeitig den Fortbestand der Bilateralen. Zudem wird die Migration aus Drittstaaten beim Familiennachzug beschränkt.

Warum waren Sie denn bisher gegen flankierende Massnahmen?
Weil diese den liberalen Arbeitsmarkt angreifen.

Das tut der Inländervorrang auch.
Ja. Der Inländervorrang steht aber in der Verfassung. Ich verstehe, dass ein Inländer eine Arbeitsplatzsicherheit will. Das ist wichtig für den sozialen Frieden im Land. Aber einer unserer grossen Standortvorteile ist der liberale Arbeitsmarkt.

Dennoch sind Sie mit dem Inländervorrang sehr gewerkschaftlich unterwegs.
Gegenfrage: Was sind denn Kontingente? Das ist auch ein Schutz des Arbeitsmarktes.

SVP-Bundesrat Ueli Maurer sagte, dieser Inländervorrang sei ein Papiertiger.
Der Bundesrat hat über zwei Jahre keine griffige Lösung präsentiert. Nun macht das Parlament vorwärts. Übrigens: Wenn man Kontingente einführt, wie es die SVP möchte, ist das viel bürokratischer. Es bräuchte Hunderte zusätzliche Beamte und würde die Schweizer Wirtschaft hart treffen.

Unter dem Strich ist der Inländervorrang eine schwache Umsetzung der Initiative. Damit drohen aber weitere Protestvoten an der Urne.
Die entscheidende Frage ist doch: Will man die Bilateralen oder nicht?

Soll die Frage mit einem Gegenvorschlag zur Rasa-Initiative geklärt werden?
Nein. Wenn die SVP aber eine Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit sammeln würde, hätten wir die Frage auf dem Tisch.

Auch die Rentenreform ist eine Baustelle: Das von der FDP eingebrachte Nationalratsmodell mögen nicht einmal die eigenen Ständeräte richtig mittragen.
Wir haben bewusst eine Differenz zwischen den beiden Kammern geschaffen, damit der Ständerat die Modelle weiterdiskutieren und neue Ideen entwickeln kann.

Wir haben eher das Gefühl, dass Ihre eigenen National- und Ständeräte nicht miteinander reden.
Da täuschen Sie sich. Unsere Ständeräte haben auf der Linie des Nationalratsbeschlusses weitergearbeitet, der eine Kompensation der Rentenverluste in der zweiten statt in der ersten Säule verlangt. Leider verweigerte die CVP/SP-Mehrheit einen Kompromiss mit dem Nationalrat.

In den USA wird Donald Trump neuer Präsident. Sind Sie enttäuscht, dass es Hillary Clinton nicht zur ersten US-Präsidentin geschafft hat?
Nein, ich fand keinen der beiden Kandidaten ideal.

Eine Frau im mächtigsten Amt der Welt wäre doch ein schönes Signal für alle Frauen gewesen.
Es ging bei dieser Wahl nicht um einen Kampf zwischen Mann und Frau, das wäre zu kurz gegriffen. Clintons Niederlage ist daher keine Absage an Frauen in der Politik.

Was erwarten Sie von Trump?
Ich erwarte von einem US-Präsidenten – unabhängig von der Person –, dass er klar kommuniziert, wofür er einsteht, damit sich die anderen Staaten darauf ausrichten können. Bei Trump sehe ich bisher nicht, wofür er steht. Ich hoffe, dass sich das rasch ändert. Es geht um Berechenbarkeit.

In den USA gewinnt ein unberechenbarer Rechtspopulist, in der Türkei regiert ein autoritärer Präsident, die Briten wollen die EU verlassen. Wie steht es um die Stabilität der Demokratie?
Das ist keine Frage der Demokratie. Aber: Viele Menschen haben Angst vor der Geschwindigkeit von Veränderungen und ziehen sich deshalb auf das Nationale, auf das Vertraute zurück.

Was heisst das für die Schweizer Politik?
Wir müssen rechtzeitig auf die Ängste, Bedürfnisse und Strömungen in der Bevölkerung eingehen, damit es nicht zu radikalen Lösungen kommt.

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