Blick: Sie müssen guter Laune sein in diesen Tagen.
Philipp Müller: Ich habe selten schlechte Laune. Aber klar: Das Ergebnis der letzten drei kantonalen Wahlen in Baselland, Luzern und Zürich ist ein Motivationsschub. Sie können sich aber darauf verlassen, dass wir deshalb nicht abheben oder uns zurücklehnen, sondern die Sache noch intensiver angehen.
Wie meinen Sie das?
Unsere Anstrengungen haben sich ausgezahlt. «Leistung lohnt sich», ist ja auch unser Motto. Wir wollen noch mehr mobilisieren, unsere Wählerinnen und Wähler pflegen, wiedergewinnen.
Das wollen alle Parteien.
Stimmt. Aber wir tun es auch (lacht).
Und wie?
Wir müssen näher zu den Menschen: raus, bis ins hinterste Eck unseres Landes. Wir wollen authentisch sein und so reden, dass die Leute uns verstehen.
Fällt Ihnen das als Generalbauunternehmer leichter, weil Sie hemdsärmeliger argumentieren als andere Freisinnige?
Wir gehen es grundsätzlich lockerer an als auch schon. Früher hat die FDP Lösungen aufgetischt und gleich noch eine Dissertation als Begründung nachgeschoben. Diese Zeiten sind vorbei. Die Leute wollen, dass wir die Dinge beim Namen nennen und auch unangenehme Themen auf den Tisch bringen.
Zum Beispiel?
Wir hatten früher sogenannte Pfui-Themen. Sicherheit, Kriminalität, Migration, Asyl. Heute gibt es für die FDP keine Pfui-Themen mehr. Wir nehmen alle Sorgen der Menschen in diesem Land ernst.
Am Sonntag nach Ihrem Wahlerfolg fragten wir uns: Was macht Philipp Müller wohl, wenn er sich so richtig freut?
Was macht Philipp Müller, wenn er sich freut? Er rennt sicher nicht herum und schreit laut Judihui!
Kommen Sie, ein bisschen mehr könnten Sie schon preisgeben.
Also gut, ich habe mich mit meiner Partnerin in ein Restaurant zurückgezogen und – es war noch lustig – als ich nach der Rechnung verlangte, war die erstaunlich tief.
War eine Null drauf?
Es war keine Null drauf. Die Rechnung war halbiert. Da hat sich ein Unbekannter offenbar sehr gefreut über unseren Erfolg. Ein gutes Zeichen.
War auch ein wenig Freude dabei, weil Sie es all jenen gezeigt haben, die Sie bis anhin vielleicht unterschätzten?
Ach wissen Sie, als Parteipräsident wird man hochgejubelt und schnell wieder fallengelassen. Das gehört zum Geschäft.
Warum so pragmatisch?
Ich will es einfach gelassener angehen.
Ein neuer Philipp Müller? Der alte sorgte auch mit verbalen Ausrutschern für Aufsehen ...
Ich habe aus meinen Erfahrungen gelernt. Anfangs war ich oft mimosenhaft, auch gegenüber den Medien. Ich nahm alles viel zu persönlich.
Sie strahlen. Es muss Spass machen, Parteipräsident zu sein.
Ja. Und wenn Sie jetzt wissen wollen, weshalb, frage ich Sie: Warum macht Bungee Jumping Spass?
Was haben das Amt des FDP-Präsidenten und Bungee Jumping miteinander zu tun?
Nun, beim Bungee Jumping weiss man sofort, ob das Seil hält. Wir werden das erst im Oktober sehen (schmunzelt).
Wir begegnen uns hier in der historischen Altstadt von Lenzburg. Um die Geschichte der Schweiz, um Mythen und Legenden wird im Moment heftig gestritten. SP-Präsident Christian Levrat hat gesagt, Sie interessieren sich nicht für Geschichte. Hat er recht?
Nein, hat er nicht. Wenn Christian Levrat zu diesem Schluss kommt, sollte er dies nicht in den Medien verbreiten, sondern mich persönlich fragen.
Levrat ist der Meinung ...
... entschuldigen Sie, dass ich unterbreche. Aber wir bekommen bald jede Woche in der Sonntagspresse Ratschläge von anderen Parteien. Angefangen bei Listenverbindungen mit der SVP: Wenn es nach Monsieur Levrat geht, dürfen wir die nicht machen. Ich höre von Kollege Darbellay, wie er uns die Bilateralen um die Ohren haut. Der gleiche Darbellay, der vor nicht allzu langer Zeit den EWR propagiert und die bilateralen Verträge geistig begraben hatte. Aber eigentlich verstehen wir uns ja gut. Zu Levrat habe ich einmal gesagt: Lieber Christian, ich liebe die Sozialdemokraten, aber bitte vermehrt euch nicht.
Verständlich, schliesslich wollen Sie im Herbst die SP überholen.
Die Erfahrung aus dem Aargau zeigt: Es ist möglich!
Für einen harten Wahlkampf braucht es eine Stange Geld. Wie viel haben Sie zur Verfügung?
Ich weiss es nicht, das ist der Job des Wahlkampfleiters.
Das ist schwer zu glauben.
Müssen Sie aber. Das exakte Wahlkampfbudget kenne ich aktuell nicht. Und über die Parteienfinanzierung geben wir keine Auskunft.
Ein vieldiskutiertes Ärgernis in der Schweiz.
Schauen Sie, wir haben einen internen Kodex, der von einer Revisionsstelle überprüft wird. In der FDP darf eine Einzelspende nicht höher sein als ein Fünfzehntel des gesamten Budgets. Damit vermeiden wir, dass wir von einzelnen grossen Spendern abhängig sind. Und nur der Parteipräsident und der Generalsekretär wissen, wer die Spender sind. Das garantiert eine unabhängige Politik.
Stimmt es, was Freisinnige uns sagen: Die Wirtschaft unterstützt die FDP stärker als auch schon.
Die Unternehmen haben gemerkt: Die FDP ist die Wirtschaftspartei und setzt sich zuverlässig für das Erfolgsmodell Schweiz ein. Aber nicht nur die Wirtschaft: Seit dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative ist zudem die Zahl der «Freunde der FDP» gestiegen und wir erhalten auch viele kleine Einzelspenden.
Am 14. Juni stimmen wir über die Erbschaftssteuer ab, die Sie bekämpfen. Warum tun Sie das? Ist Gerechtigkeit nicht ein Wert, den die FDP vertritt?
Frau Maier, ich sehe, Sie wollen die Erbschafts- und Schenkungssteuer.
Das würde ich nicht unterschreiben. Aber warum sollen die, die haben, noch mehr bekommen?
Lassen Sie mich eines klarstellen: Man preist die Erbschaftssteuer als ein Instrument an, um die ungleiche Vermögensverteilung in der Schweiz zu korrigieren. Dabei haben wir – mit Ausnahme des Kantons Schwyz – bereits in allen Kantonen eine Erbschaftssteuer.
Aber nicht für direkte Nachkommen. Nennen Sie uns konkret drei Gründe, aus denen Sie die nationale Erbschaftssteuer ablehnen.
Erstens: Alle entsprechenden kantonalen Erlasse würden nach Inkrafttreten der Bundeserbschaftssteuer ausser Kraft gesetzt. Mit der absurden Konsequenz, dass entfernte Verwandte, die erben können, entlastet werden und direkte Nachkommen neu belastet werden. Das ist ein massiver Eingriff in die kantonale Steuerhoheit.
Und zweitens?
Zweitens gefährdet die Initiative Arbeitsplätze, weil die Nachfolgeregelung in Familienbetrieben erschwert oder gar verunmöglicht wird. Direkte Nachkommen könnten gezwungen sein, Teile der Firma zu verkaufen, um die liquiden Mittel für die Erbschaftssteuer zu erhalten.
Drittens?
Drittens soll – zusätzlich zur Einkommens- und Vermögenssteuer – mit der Bundeserbschaftssteuer derselbe Franken noch ein drittes Mal vom Fiskus belastet werden. Wobei Schenkungen rückwirkend auf den 1. Januar 2012 dem Nachlass zugerechnet werden, was rechtsstaatlich bedenklich ist.
Wir werden diese Fragen auch noch mit den Initianten diskutieren, die da ganz anderer Meinung sind. Interessant ist aber, was aus SP- und EVP-Kreisen zu hören ist: Die Initiative habe nur geringe Chancen. Entspannt Sie das?
Ich bin da vorsichtig. Die Vorlage kommt so nett daher, man will vermeintlich etwas Gutes für die AHV tun. Aber die Finanzierungslöcher sind um ein Mehrfaches grösser, als die Erbschaftssteuer sie jemals decken könnte.
Sind Sie eigentlich zufrieden mit Ihren Bundesräten?
Didier Burkhalter ist für uns ein Aushängeschild, dazu muss ich nichts weiter sagen. Der oft gescholtene Johann Schneider-Ammann hat Erfolge gehabt, die man manchmal vergisst. Beispielsweise das China-Abkommen, die Reform der Agrarpolitik. Den Umgang mit den Sozialpartnern pflegt er vorbildlich, das attestieren selbst Gewerkschaftsbosse.
Wie stehen Sie zu Frauenquoten in Parteien?
Oh je, davon halte ich gar nichts! Schauen Sie mal Carmen Walker-Späh an: Die Frau ist unglaublich. X-mal ist sie gefallen, wieder aufgestanden und hat weitergekämpft. Jetzt hat sie in Zürich einen Sitz in der Regierung erobert. Unsere Frauen sind stark und kämpferisch und brauchen keine Quoten.
So wie Sie?
An Carmen kann man sich diesbezüglich ein Vorbild nehmen. Auch ich. Wer hätte gedacht, dass ich einmal Präsident der FDP werde?
Was ist daran so bemerkenswert?
Eine Partei wie die FDP, mit dieser langen, akademischen Tradition, wählt einen Gipser und stellt ihn als Parteipräsidenten ins Schaufenster – das war schon sehr speziell. Da gab es ja auch viele, die die Nase rümpften. Ich kann das schon verstehen.
Sie können das verstehen?
Ja, weil oft nur Akademikern etwas zugetraut wird. Ich sehe das bei meinen drei Töchtern. Die eine macht dieses Jahr einen Master in Sydney. Die anderen sind ähnlich unterwegs. Heute sind Zeugnisse, Diplome, Master-Abschlüsse alles. Ich habe davon nichts vorzuweisen, ausser einem Ausweis. Vorne steht ganz simpel «Fähigkeitsausweis». Damit bescheinigt mir der Staat, dass ich fähig bin (lacht)!