Eigentlich ist sie schon Präsidentin, als sie kurz vor 10 Uhr das Hotel «National» in Bern betritt und von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann wie eine enge Vertraute mit zwei Küsschen begrüsst wird. Dass viele Delegierte ihr «Alles Gute» zurufen und ihr aufmunternd die Hände drücken, ist mehr den Umgangsformen geschuldet als Ausdruck von Zittern und Bangen. Petra Gössis Wahl an die FDP-Spitze ist reine Formsache, es gibt keine Gegenkandidaten, gab nie welche. Aussenminister Didier Burkhalter nennt sie in seiner Rede am Morgen denn auch «Bald-Präsidentin».
Sie hält hier ein Schwätzchen, lächelt dort, bemüht sich, den Anschein von Normalität zu wahren. Und doch ist Petra Gössi angespannt. Als Schneider-Ammann gegen Mittag dem abtretenden Philipp Müller dankt, sitzt sie auf ihrem Stuhl in der ersten Reihe und blickt ins Leere. Sie geht nochmals das Manuskript ihrer Ansprache durch, nimmt hier und da eine Korrektur vor. Schneider-Ammanns Witze – er hält eine bemerkenswert gute, humorvolle Rede und das auch sehr flüssig – bekommt sie kaum mit. Stattdessen mahlen ihre Kiefermuskeln. Später, nach ihrer einstimmigen Wahl zur Parteipräsidentin, wird sie lockerer und die Anspannung fällt von ihr ab. Vielleicht hilft dabei auch das Gläschen Eierkirsch, das ihr ein Mitglied der extra angereisten Maskengruppe Rigilüüt aus ihrem Heimatort Küssnacht reicht.
Philipp Müller rechnet ab
Am Ende des Parteitages wird sie der Star sein – Königin Petra, von den Rigitlüüt auf einer Sänfte durch den Saal getragen. Der Vormittag aber gehört Philipp Müller, dem Präsidenten, der die FDP Schweiz wieder zu einer Siegerpartei gemacht hat. Solange er auf der Bühne steht, gibt er den Gute-Laune-Bär, den hemdsärmeligen Motivator. Dabei ist er froh, das Amt abzugeben, das an sichtbar an seinen Kräften gezehrt hat.
Während seiner Abschiedsrede lacht der Saal, obwohl Müller wenig schmeichelhafte Dinge über seine Parteifreunde in Witze verpackt. Die Romands sind locker-leichte Bonvivants, seine Vizepräsidentin Carla Speziali nennt er «die Sonne aus dem Tessin», den Berner Nationalrat Christian Wasserfallen beschreibt er, in lustigen Worten zwar, aber doch als beratungsresistent. Bei der Verabschiedung von Vize-Parteipräsidentin Isabelle Moret gehen dann die Hormone mit ihm durch: «Isa-BELLE» nennt er die Waadtländer Nationalrätin mehrmals bewundernd. Für den Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger, der auch diese Delegiertenversammlung moderiert, ist es «eine der besten Reden, die es in den letzten elf, zwölf Jahren gegeben hat in der FDP». Dabei sagt Müller Sätze wie: «Wenn irgendwo auf der Welt ein Krieg ausbricht, steht Didier Burkhalter bereit, ihn zu beenden.» Und Schneider-Ammann, «der Schutzpatron der Sozialpartnerschaft», habe im Bundeshaus feststellen müssen, dass Demokratie mühsam ist. Müller bekommt am Schluss stehende Ovationen, eine volle Minute lang. Offenkundig schätzt der Freisinn treffenden Humor.
18 Prozent für den 18-Prozent-Müller
Dann gibt es Geschenke: Von Schneider-Ammann erhält Müller einen Caipirinha-Likör mit 18 Volumenprozent, die Müller selbstverständlich an seine 18%-Initiative erinnern sollen. Obwohl er heute lieber vergessen würde, dass er Ende de Neunzigerjahre die nationale Politikbühne mit der Forderung nach einer Begrenzung des Ausländeranteils betrat. Schneider-Ammann überreicht Müller zudem ein Lucky-Luke-Comic, für seine rhetorischen Schnellschüsse aus der Hüfte, die beim vornehmen Wirtschaftsfreisinn ja nie so richtig gut ankamen. Müller hat die FDP wieder auf die Siegerstrasse geführt, aber sind einige wohl ganz froh, dass er mit seiner direkten Art den Freisinn nicht mehr präsidiert.
«Stumpfsinn» statt «Chabis»
Gössi schlägt andere Töne an, obwohl auch sie in ihrer Rede Worte wie «Stumpfsinn» benutzt. Doch das tönt immer noch anders als «Chabis» oder «Seich». Die Zeit der markigen Worte ist vorbei, mit Gössi zieht in die FDP wieder mehr Korrektheit ein. Im öffentlichen Auftritt ähnelt sie darin der Ex-Fraktionschefin Gabi Huber. Doch spröde, wie die Medien sie gern bezeichnen, ist Gössi nicht. Als mehrere Kameras und Mikrofone auf sie gerichtet sind, die Journalisten sie umringen, muss sie erst einmal lachen. Sie wird sich schnell an den Journalistenpulk gewöhnen, der politischen Führungskräften manchmal kaum genug Luft zum Atmen lässt. Im persönlichen Gespräch ist sie ohnehin zugänglich, offen, locker.
Nach Müller könne Gössi eigentlich nur verlieren, heisst es bei Politbeobachtern. Vielleicht weiss sie das auch. Doch wie um das Gegenteil zu beweisen, gibt sie der versammelten Presse dann ein ambitioniertes Ziel durch: Bei den nächsten Wahlen will sie die SP überholen und zweitstärkste Kraft unter der Bundeshauskuppel werden. Na dann, Frau Gössi – viel Erfolg.