Zwei Monate vor den Eidgenössischen Wahlen klären sich die Fronten: Die Freisinnigen positionieren sich als Verfechter des Rahmenabkommens mit der EU und einer wirtschaftsliberalen Öko-Politik. Im Gespräch mit SonntagsBlick bricht FDP-Präsidentin Petra Gössi (43) mit ihren rechtsbürgerlichen und christsozialen Bündnispartnern. Mit Aktionen wie dem Maden-Plakat würde die SVP Listenverbindungen künftig erschweren, warnt Gössi. Sie plädiert stattdessen für eine neue «Willensgeneration».
Frau Gössi, mit SVP-Präsident Albert Rösti und CVP- Präsident Gerhard Pfister verkündeten Sie zu Beginn der Legislatur den «bürgerlichen Schulterschluss». Wie lautet Ihr Fazit heute, dreieinhalb Jahre nach dieser Ankündigung?
Es ist leider nicht immer alles machbar, was wünschbar ist. Aber wir suchen Mehrheiten, wo wir sie finden können, egal mit welcher Partei, solange es unseren politischen Zielen entspricht. Einseitiges Blockdenken ist heute längst überholt.
Mit der SVP verfügen Sie über eine Mehrheit im Nationalrat. Freund und Feind sind sich jedoch einig, dass sich diese Übermacht in Bundesbern nicht durchsetzen konnte.
101 von 200 Stimmen, ein Sitz über dem absoluten Mehr ist nun wirklich keine komfortable Mehrheit. Und im Ständerat hat es eine solche nie gegeben. Kommt hinzu, dass sich die SVP leider oft aus der konstruktiven Politik verabschiedet. Es ist halt einfacher, laut gegen alles zu lärmen.
Was folgt aus dieser Feststellung?
Wenn sich eine rechte Partei aus der konstruktiven Diskussion im Parlament abmeldet, verändert sich das Spektrum, in welchem die Mehrheiten zu liegen kommen. Die Linke gewinnt dadurch an politischer Durchsetzungskraft. Das ist unsere Herausforderung.
Den bürgerlichen Schulterschluss gibt es demnach nicht?
Nein, und den hat es nie gegeben. Aber Politik kann und darf nie Selbstzweck sein, sondern muss sich nach den Bedürfnissen der Bevölkerung richten.
Wie meinen Sie das?
Es gibt in der Schweiz viele Menschen, unabhängig von sozialer Herkunft, Bildungsniveau, Geschlecht oder Alter, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen. Sie haben Ideen und sehen die Zukunft als Chance und nicht als Gefahr. Sie wollen eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder schaffen und übernehmen Verantwortung. Ich nenne das die Willensgeneration. Diese Leute fühlen sich von der Politik zu wenig abgeholt oder sogar missverstanden.
Auch hier wären wir für eine Erklärung dankbar.
Die SP will die Menschen umerziehen und ihnen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Da müssen wir dagegenhalten. Die Politik muss den Menschen Steine aus dem Weg räumen, sie befähigen und fördern, damit sie mit den heutigen Herausforderungen umgehen können.
Können Sie konkret werden?
Nehmen Sie die Generationenfrage: Da müssen die politischen Weichen endlich so gestellt werden, dass alle älteren Arbeitskräfte, die wollen, im Arbeitsprozess verbleiben können. Es kann doch nicht sein, dass die Altersvorsorge über Gebühr auf dem
Rücken der Jungen lastet! Hier spielen auch die Schwierigkeiten von älteren Arbeitssuchenden hinein: Wir müssen sie befähigen und fördern, statt sie zu entmündigen und unter wirkungslosen Schutz zu stellen. Ich kann gerne noch weitere konkrete Beispiele nennen.
Bitte!
Weitere Herausforderungen sind die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Aufbauen eines Start-ups oder der bröckelnde bilaterale Weg, wo die Diskussion stillsteht, weil die SP alles blockiert! Damit legen sie künftigen Generationen grosse Steine in den Weg. Die Schweiz kann sich selbstverständlich von den Bilateralen verabschieden, wie die SVP das mit der Kündigungs-Initiative anstrebt. Dann aber müssen wir mit den Freihandelsabkommen vorwärtsmachen und auf einen Teil unseres Wohlstandes und auf Arbeitsplätze verzichten.
Im Februar lagen Sie bei Umfragen ein Prozent im Plus. Jetzt rutschen Sie wieder ins Minus. Wie konnten Sie diese Ausgangslage verspielen?
Das kann ich Ihnen sagen: Es waren überwiegend äussere Faktoren. Die unerwartet rasch überschwappende grüne Welle spielt klar den Grünen und der GLP in die Hände.
Ihr Wahlziel, die SP zu überholen, werden Sie kaum erreichen.
Im Februar 2019 hätten wir sie gehabt. Leider waren damals keine Wahlen (lacht). Wir schauen jetzt zuversichtlich, was am 20. Oktober herauskommt.
War Ihre grüne Kurskorrektur im Nachhinein vernünftig?
Wir haben uns auf unsere Wurzeln besonnen. Das war sehr wichtig. Für uns ist «Umwelt und Klima» nicht einfach eine Welle, die vorüberzieht, sondern ein längerfristiges Projekt. Dabei ist mir wichtig, dass die FDP nicht eine Politik der Verbote macht. Da müssen wir einen Kontrapunkt setzen zu den Grünen und Linken und unsere liberalen Überzeugungen einbringen.
Dabei trat zunächst vor allem die Divergenz zwischen der Basis und Ihrer Bundeshausfraktion zutage.
Die Positionierung haben wir über Monate in unseren Gremien diskutieren können. Für unsere Fraktionsmitglieder ist das auch ein Prozess. Es hilft zu sehen, was die Anliegen der Basis sind. Zudem werden Sie leicht feststellen, dass unsere Kandidatinnen in diesem Jahr deutlich umweltbewusster sind als noch vor vier Jahren.
Frau Gössi, wenn es nach der SVP geht, präsidieren Sie einen Mehlwurm …
Die SVP zeichnet sich offenbar dadurch aus, dass sie keine Inhalte mehr hat und nur noch auf plumpen Angriff setzt. Wir setzen aufs Gegenteil: Wir politisieren mit Inhalt und Stil.
Jetzt sind Sie aber sehr nett mit der SVP. Mit dem Ungeziefer-Vergleich wurde im Dritten Reich gegen Juden gehetzt. Da können Sie doch nicht einfach weitermachen wie bisher.
Am Schluss muss die Bevölkerung ihr eigenes Urteil fällen und ihre Schlüsse daraus ziehen. Die SVP hat mit dieser stillosen Kampagne offengelegt, in welchem Umfeld und mit welchen Werten sie politisiert. Sie hat sich eines Zeichens bedient, bei dem sie haargenau weiss, woher es historisch kommt. Sie bewegt sich damit in einer braunen Ecke.
Freisinnige Wähler erinnern sich an frühere Ausfälle der SVP, gegen die «Weichsinnigen» zum Beispiel. Hat eine Partnerschaft mit diesen Kräften noch Zukunft?
Die meisten Listenverbindungen wurden schon vor längerer Zeit beschlossen. Neue Rückmeldungen zeigen aber: Ungeachtet eines allfälligen Nutzens wollen viele keine Listenverbindungen mehr.
Was heisst das in der Konsequenz?
Die SVP vergrault mit solchen Kampagnen ihre möglichen Partner. Man kann nicht miteinander in die Wahlen, wo es nützt, und wenn es nicht klappt, einander ans Bein pinkeln.
Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Wer bei den Worten panaschieren, CSP oder Proporz-System nur Bahnhof versteht, sollte sich über das ABC des wichtigen Urnengangs hier schlau machen.
Am 20. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Wer bei den Worten panaschieren, CSP oder Proporz-System nur Bahnhof versteht, sollte sich über das ABC des wichtigen Urnengangs hier schlau machen.