Fachpersonal für Intensivstationen fehlt
Niemand möchte den Knochen-Job

Qualifizierte Kräfte sind knapp, die Spitäler laufen am Anschlag. So schnell wird die Schweiz den Engpass nicht überwinden, denn Ausbildungsplätze sind nicht sonderlich begehrt.
Publiziert: 05.12.2021 um 12:50 Uhr
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Aktualisiert: 06.12.2021 um 12:47 Uhr
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Entscheidend sind nicht allein die Intensivbetten, sondern das qualifizierte Personal.
Foto: Keystone
Tobias Marti und Sven Zaugg

Egal, auf welche Schweizer Intensivstation sich der Blick gerade richtet – es mangelt an Personal. Der Grund ist einfach: Es können nur so viele Betten auf Intensivstationen mit Patienten belegt werden, wie sich Fachpersonal finden lässt. Ein Bett allein, ohne spezialisierte Mediziner und Pfleger, kann kein Leben retten. Die Handlung dieses Dramas kreist im Grunde um zwei Zahlen: 1100 Intensivbetten hatte die Schweiz vor einem Jahr, heute sind es noch knapp 860. Dass heute weniger Plätze zur Verfügung stehen als beim bisherigen Höhepunkt der Pandemie, ist ein irritierender Umstand, den Corona-Skeptiker gern betonen.

In Wirklichkeit wurden keine zertifizierten Intensivbetten abgebaut. «Vor einem Jahr wurden die Spitäler gefragt, was das absolut leistbare Maximum sei, da ging es aber um Kriegsmedizin», sagt ein Sprecher des Unispitals Basel. Damit verbunden war eine deutliche Reduktion des Pflegeschlüssels, der Zahl von Personen, die für die Betreuung, Versorgung und Pflege zur Verfügung stehen, sowie der Behandlungsstandards. Nur Spitäler, die eine solche Verknappung in Kauf nahmen, konnten die Intensivpflegeplätze aufstocken.

Vermehrt Abgänge beim Personal

Die Zahl von lediglich 860 Intensivbetten ist die Achillesferse des nach den USA teuersten Gesundheitswesens der Welt. Zugleich ist das Personal extrem belastet. Ein Sprecher des Kantonsspitals St. Gallen sagt es so: «Die Mitarbeitenden auf den Intensivstationen werden nun schon seit fast zwei Jahren physisch und emotional gefordert. Es gibt deshalb auch vermehrt Abgänge.» Die Herausforderung liegt darin, diese hoch qualifizierten Kräfte über Jahre im Beruf zu halten.

Die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin schätzt, dass rund zehn bis 15 Prozent der Intensivpfleger seit Beginn der Pandemie gekündigt haben – und damit die Belastung für weiterhin dort Tätige noch verschärfen. Kommt hinzu: Es harzt bei der Rekrutierung von Spezialisten.

Weil Ausgebildete auf dem schweizerischen und europäischen Markt für Medizinpersonal praktisch nicht rekrutierbar sind, wird ein Zuwachs erst nach zeitlicher Verzögerung eintreten. Denn: Die Spezialisierung des Pflegepersonals für die Intensivpflege dauert 24 Monate.

«Es ist sehr schwierig, neue Mitarbeiter zu finden»
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Spitäler am Anschlag:«Es ist sehr schwierig, neue Mitarbeiter zu finden»

Niemand möchte den Job

Doch das Interesse ist gering, wie das Berner Inselspital auf Anfrage mitteilt: «Wir würden gerne alle Plätze besetzen, doch das liegt nicht ausschliesslich in unserer Hand, da dies von den eingegangenen Bewerbungen abhängt und es nicht so viele Interessenten gibt.»

Mit anderen Worten: Niemand will sich in der derzeitigen Situation einen solchen Job antun. Den Spitälern bleibt also nur, ihr Personal umzuschichten. Das Unispital Genf schaffte auf diese Art sogar einen Zuwachs von 30 auf 50 Intensivbetten. Vor allem von der Anästhesieabteilung seien Leute abgezogen worden, heisst es dort.

«Natürlich könnten wir auch noch mehr Betten betreiben, indem wir die Operationstätigkeit runterfahren und Anästhesiepersonal auf die IPS verlegen», schreibt das Basler Unispital. Dies aber nur als Überbrückungsmassnahme.

Das Problem, man ahnt es, ist damit nicht gelöst.

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