Die Gutachten der Invalidenversicherung sorgen immer wieder für Ärger. So heuert die IV windige Ärzte als Gutachter an, um abzuklären, ob jemand Anspruch auf eine IV-Rente hat. Für viel Geld stempeln diese Mediziner kranke Menschen zu Simulanten. BLICK hat mehrere solcher Fälle publik gemacht – und damit Bundesbern aufgerüttelt.
Gleich vier Nationalräte sind am Montag in der Fragestunde beim zuständigen Sozialminister Alain Berset (47) vorstellig geworden. Viel Unmut, der da auf Berset einprasselt.
Doch Berset macht deutlich: Er nimmt die Problematik ernst. So hat er bereits im November entschieden, «eine externe Untersuchung durchführen zu lassen, die den Bereich der Gutachten detailliert überprüft und allfälligen Handlungsbedarf aufzeigen soll».
Goldene Nase verdient?
Zu den einzelnen Vorwürfen nimmt Berset ebenfalls Stellung. So wollte die GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy (40, BE) wissen, ob sich IV-Gutachter eine goldene Nase verdienen. Denn offenbar würden IV-Gutachter bis zu fünfmal mehr verdienen, als wenn sie therapeutisch arbeiten würden.
Berset betont, dass die Abgeltung für Gutachten nach Tarmed-Tarif erfolgt. Je nach Aufwand und Komplexität würden verschiedene Positionen beziehungsweise Pauschalabgeltungen berechnet.
Doch die Thematik brennt auch dem SP-Magistraten unter den Nägeln. Demnach hat die IV «schon Massnahmen eingeleitet, um die Anzahl der Gutachten zu reduzieren und auch gleichmässiger unter den Gutachtern zu verteilen».
Kopierte Gutachten?
CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (43) enervierte sich über einen Fall, bei dem ein Gutachter zu einfach zu seinem Lohn kam. Der Arzt habe in Bern in 16 Gutachten – entgegen der Einschätzung der behandelnden Ärzte – eine 100-prozentige Arbeitsfähigkeit attestiert und dabei «eine wörtlich identische Beurteilung abgegeben», betont der Solothurner.
«Entspricht Kopieren gängigen Qualitätskriterien?», fragte er deshalb Berset spitz. «Schreiben sich die IV-Gutachter beliebig oft selber ab – und kassieren dafür?»
Dazu macht Berset deutlich: Eine Begutachtung einer versicherten Person sei eine sehr individuelle Angelegenheit. Umso wichtiger seien allgemeine Qualiätskriterien. «Erst mit der Überprüfung der Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit erfüllt das Gutachten die Anforderungen an die Verwertbarkeit.»
Und: «Das blosse Kopieren aus früheren Gutachten könnte von der IV nicht akzeptiert werden.» Ein solches Vorgehen habe «in jedem Fall den vorsorglichen Ausschluss von der Vergabe weiterer Gutachten zur Folge». Allerdings sei dem Bundesamt für Sozialversicherungen kein solcher Fall bekannt.
Umstrittene Rückfragen
CVP-Nationalrat Benjamin Roduit (57) wiederum verwies auf die Aussage eines Chefarztes, wonach die IV nur dann genauere Informationen anfordere, wenn er jemandem eine Arbeitsunfähigkeit mit Rentenanspruch attestiere. Im gegenteiligen Fall hingegen gebe es nie Rückfragen. Roduit wollte von Berset daher wissen, ob es sich dabei um eine systematische Vorgehensweise handle.
Die IV-Stellen würden alle Gutachten einer Qualitätskontrolle unterziehen, so Berset. Allerdings würde das Bundesamt für Sozialversicherungen bei der von Roduit beschriebenen Praxis einschreiten und sicherstellen, dass alle Richtlinien eingehalten würden.
Widersprüchliche Gutachten
Schliesslich verlangte SP-Nationalrätin Nadine Masshardt (35) Auskunft zu einem Fall, bei welchem die IV einer arbeitswilligen Frau berufliche Massnahmen aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands verweigerte, ein umstrittenes Gutachten ihr aber eine volle Arbeitsfähigkeit attestierte – worauf die Betroffene keine IV-Rente erhielt.
Zum Einzelfall wollte sich Berset nicht äussern. Allgemein hielt er fest: «Grundsätzlich ist es möglich, dass berufliche Massnahmen erst zugesprochen werden, wenn Klarheit über die Stabilität des Gesundheitszustandes besteht.» Ebenso könne die Rentenprüfung aufgeschoben werden, falls durch medizinische Massnahmen der Gesundheitszustand verbessert werden könne. Im Verlauf eines Verfahrens könnten sich die Einschätzungen zudem ändern.
Parlament greift ein
Während Berset eine externe Untersuchung eingeleitet hat, macht das Parlament bereits Nägel mit Köpfen. So sollen künftig Interviews zwischen Versicherten und Gutachtern immer aufgezeichnet werden müssen, damit man im Streitfall auf diese zurückgreifen kann.
Zudem müssen die IV-Stellen künftig eine öffentliche Liste führen, auf der ersichtlich ist, welche Gutachter wie entscheiden. Schliesslich soll neu eine Kommission mit Vertretern der betroffenen Kreise die Begutachtungen überwachen.
Damit will das Parlament parteiische Gutachter und schwarze Schafe in die Schranken weisen. Die Gutachter kommen also an die kurze Leine. Und die wird noch kürzer, wenn Berset weiter durchgreift.