Experte sieht keine Alternative zum Mobility Pricing
«Das GA setzt falsche Anreize»

Dichtestress im Zug, Stau auf der Autobahn: Die Verkehrskapazitäten kommen an ihre Grenzen. Mit Mobility Pricing kann das Problem entschärft werden, ist Daniel Müller-Jentsch, Projektleiter beim liberalen Think Tank Avenir Suisse, überzeugt.
Publiziert: 01.07.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 17:07 Uhr
Mobility Pricing kann aus Sicht von Avenir-Suisse-Projektleiter Daniel Müller-Jentsch zu einer Entlastung in Stosszeiten beitragen.
Foto: Keystone
Interview: Lea Hartmann

Herr Müller-Jentsch, Verkehrsministerin Doris Leuthard will mit Mobility Pricing mehr Gerechtigkeit bei der Verkehrsfinanzierung schaffen. Auto- und Zugfahrer sollen nicht mehr, sondern anders bezahlen, betont sie. Ist das realistisch?
Daniel Müller-Jentsch:
Ja, denn teuer wird es künftig vor allem ohne Mobility Pricing: Wir befinden uns in einer Situation, in der die Gesamtkosten im Verkehr immer mehr aus dem Ruder laufen. Nun gibt es zwei Alternativen: Entweder wir investieren Milliarden in neue Verkehrskapazitäten oder wir nutzen bestehende Kapazitäten besser aus, indem wir die Verkehrsspitzen glätten. Dafür brauchen wir variable Tarife, also Mobility Pricing. Ein System, das bei Flugtickets oder Hotels bereits selbstverständlich ist. Weshalb soll es deshalb nicht auch im Strassen- und Schienenverkehr funktionieren? 

Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse.
Foto: ZVG

Mit der Vignette und Abonnements wie dem GA ist dann Schluss.
Das ist die logische Konsequenz. Das Ideal besteht darin, möglichst wenig Fixgebühren zu haben, denn sie sind unfair. Das Generalabo ist eine Flatrate, die den Überkonsum von Mobilität fördert und damit falsche Anreize setzt. Ein Beispiel für Fehlanreize sind zudem auch Seniorenrabatte. Sie sind sozialpolitisch fragwürdig, denn Senioren sind in der Schweiz keine soziale Gruppe, die besonders von Armut betroffen wäre. Zudem sind Senioren zeitlich flexibler. Viel sinnvoller wäre es, wenn die SBB einen Rabatt einführen würden für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ausserhalb der Stosszeiten. Dieser Rabatt sollte man dann allerdings allen zugestehen, nicht nur den Senioren. 

Aber kann Mobility Pricing das Problem überhaupt lösen? Viele Menschen können nicht erst um neun Uhr ins Büro fahren.
Das ist richtig. Damit die Leute auf die Preisanreize reagieren können, ist es nötig, dass auch die Arbeitszeiten flexibilisiert und Unterrichtszeiten unterschiedlich gestaltet werden. Grosse Firmen und Bildungsinstitutionen müssen deshalb in die Pilotprojekte miteinbezogen werden. 

Stellt sich die technische Frage: Ein schweizweites System für Strasse und Schiene – wie geht das?
Am sinnvollsten wäre je ein separates System für den Strassenverkehr und den ÖV. Was letzteren betrifft, besteht mit dem SwissPass bereits eine Gundlage. Er könnte zum E-Ticket umgerüstet werden, das per Chip erfasst, welche Strecken man wann fährt. Dasselbe ist auch für Autos möglich: Ein satellitenfähiges Gerät im Fahrzeug zeichnet die gefahrene Strecke und die Zeit auf und übermittelt die Daten an ein zentrales System. Wir würden dann einmal im Monat eine Abrechnung bekommen – wie bei der Handyrechnung. 

Der Staat, der immer weiss, wann wir wo unterwegs sind. Ist das im Hinblick auf den Datenschutz nicht ziemlich bedenklich?
Über jeden, der ein Smartphone besitzt, werden schon jetzt Unmengen an Daten gesammelt. Mir wäre es lieber, wenn das der Staat tut als irgendwelche kommerziellen Anbieter, die nicht Schweizer Recht unterstehen. Denn so wäre es zumindest demokratisch kontrollierbar. Zudem gibt es durchaus Möglichkeiten, die Daten zu entpersonalisieren. In den Niederlanden etwa werden in der zentralen Datenbank nur die berechneten Kosten, nicht aber die Bewegunsgprofile gespeichert. Es gibt also bereits jetzt technische Möglichkeiten. Und die Technologie wird sich in den nächsten Jahren noch wesentlich weiterentwickeln.

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