Die Schweizer Entwicklungshilfe ist ein Milliardengeschäft. Die staatliche Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) dominiert als grösster Schweizer Geber die Branche.
SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Die Schweizer Entwicklungshilfe krankt. Insider äussern harte Kritik. Offen will sich aber fast niemand äussern. Zu gross sei die Gefahr, «kaltgestellt» zu werden.
Agronom Jan Stiefel (64) ist ein klarer Befürworter von Entwicklungshilfe: «Wir haben eine Verantwortung. Uns kann es langfristig nur gut gehen, wenn es auch den Ärmeren besser geht.»
Stiefel arbeitete bei der Deza, bei Hilfswerken und als selbständiger Berater. Er kennt die Branche seit den 70ern. Als einer der wenigen spricht er Klartext.
Herr Stiefel, wie beurteilen Sie die Schweizer Entwicklungshilfe?
Jan Stiefel: «Es läuft vieles schief. Wenn ich es hart formuliere: In der Schweizer Entwicklungshilfe wird Geld verschleudert. Es geht in erster Linie darum, unter Freunden Geld zu verteilen: innerhalb der Deza, an Hilfswerke und an Forscher, die sich gegenseitig wohlgesinnt sind. Die Branche ist eine intransparente, geschlossene Gesellschaft.»
Vetterliwirtschaft
Das führe dazu, dass es in der «geschlossenen Gesellschaft» Deza nur zweitrangig darum gehe, welche Probleme vor Ort wirklich gelöst werden müssten und wie das nachhaltig gemacht werden könne. Ein Vorwurf, den auch andere Beobachter und Insider äussern.
Stiefel: «Das Deza-System funktioniert mit Seilschaften und Vetterliwirtschaft. Innerhalb der Gesellschaft werden Posten und Geld geschachert. Das funktioniert gut. Geld ist sehr viel vorhanden, die Vorgänge sind nicht durchschaubar.»
Stiefels Sorge gilt den Menschen vor Ort, denen die Schweiz potenziell schade, und dem Bild, das die Entwicklungshilfe vermittle.
Stiefel: «Korruption ist nicht nur das Couvert mit Geld, das die Hand wechselt. Wenn Menschen in der Dritten Welt die Vetterliwirtschaft und den Klientelismus sehen, den wir pflegen, fragen sie sich zu Recht, wieso sie das anders machen sollen.»
Intransparenz
Das Geld fliesst; aber wohin und nach welchen Kriterien? Niemand ausser die laut Kritikern «selbstgefällige, geschlossene Gesellschaft» wisse, was genau laufe.
1,5 Milliarden an Steuergeldern fliessen durch die Deza in die Entwicklungshilfe. Nach welchen Kriterien das Geld verteilt wird, ist für Aussenstehende nur schlecht nachvollziehbar.
Die Anforderungen an Offerten enthalten ganze 114 Wörter. Die Kriterien: «Gutes Verständnis des Projekts und seines Umfelds», «Qualifikationen und zugesicherte Verfügbarkeit des Schlüsselpersonals» und «marktgerechtes Angebot».
Stiefel: «Die Verantwortlichen finden immer einen Grund, jemandem das Projekt zu geben oder eben nicht. Wichtig ist vor allem, dass es keine «Lämpe» gibt und dass es nach aussen gut aussieht.»
SonntagsBlick hat die Deza-Aufträge 2012 ausgewertet. Die Deza vergab 70 Prozent der Aufträge über 230000 Franken unter der Hand. Das sind 216 Millionen Franken, gut zwei Drittel des Volumens. Dabei gilt für die Bundesverwaltung: Ab 230000 Franken muss sie öffentlich ausschreiben, um den Wettbewerb sicherzustellen.
Mangelnde Kontrolle
Wer Projekte und Mitteleinsatz kritisiere, werde abgestraft. Weil eine wirksame Kontrolle wie in anderen Ländern fehle, greife niemand ein. Von 2010 bis 2013 unterstützte die Deza ein Lese-Projekt im westafrikanischen Benin.
Das Ziel: Die Analphabetismus-Rate in zwei Regionen auf 60 respektive 50 Prozent zu reduzieren. Das Ziel konnte aber nicht überprüft werden, weil es keine entsprechende Statistik gibt. Obwohl laut Gutachten der Erfolg des Projekts nicht messbar ist, plant die Deza mit weiteren 18 Millionen in den nächsten zwölf Jahren.
Durch die geschlossene Gesellschaft werde Kritik an Projekten oder am System nicht geäussert, sagt Stiefel. So würden auch offensichtliche Flops weiterfinanziert, die mitunter Schaden anrichten können. «Bei Evaluationen klopft man sich gegenseitig auf die Schulter.» Er selbst sei abgestraft worden, weil er mehrfach vor Ort Projekte kritisierte, die nachweislich nicht funktionierten.
Von 1999 bis 2014 investierte die Deza 45 Millionen in neue Strassen in ländlichen Gebieten Nepals. Gut gemeint. Aber: Die Bezirke können sich den Unterhalt der teuren Strassen gar nicht leisten. Und von den Strassen profitieren nicht in erster Linie die Armen, sondern jene, die schon vorher ein gutes Einkommen hatten.
Das Deza hat mit der Strasse auch mitgeholfen, die Abholzung von zuvor unerschlossenen Gebieten voranzutreiben. Eine «unvorhersehbare Folge», heisst es im entsprechenden Gutachten.
Es brauche eine unabhängige Kontrolle, fordert Stiefel. Grossbritannien und Deutschland haben eigene Entwicklungshilfe-Kontrollgremien, vergleichbar mit einer Finanzkontrolle. Das alleine reiche aber nicht.
Stiefel: «Wir müssen das System ändern. Wir haben Hunderte Hilfswerke in der Schweiz, die engagiert und fähig sind. Ein von der Deza unabhängiges, breit abgestütztes Entwicklungshilfe-Gremium, könnte Projekte ausschreiben und Vorschläge prüfen, die Private einreichen.»
Die Deza müsste dabei Macht abgeben. Zu viel sei in den letzten 40 Jahren schiefgelaufen.
Stiefel: «Wir brauchen einen Neuanfang in der Entwicklungshilfe. Die Deza ist eine Bundesbehörde. Sie müsste zurückgestutzt und neu organisiert werden. Sie sollte das machen, was eine Verwaltung machen sollte: Regeln und Grundsätze vorgeben und Abläufe kontrollieren.»
Die Deza sagt, sie lege transparent Rechenschaft über die eingesetzten Finanzmittel und die Wirkung ihrer Arbeit ab. Die Mittel würden nach professionellen Standards verwaltet.
Die Wirkung werde mit externen Evaluationen zu Themen, Landesprogrammen und institutionellen Fragestellungen belegt, ergänzt durch Wirkungsberichte sowie Jahresberichte. Kontrolle erfolge auf mehreren Ebenen.
Die verschiedenen Kontrollen wiesen insgesamt auf einen positives Bild hin, so die Deza. Bei der Vergabe von Aufträgen und Subventionen halte das Amt die gesetzlichen Vorgaben ein.
Aufträge über dem Schwellenwert würden ausgeschrieben, Ausnahmen im Einzelfall begründet. Bei institutionellen Beiträgen an Hilfswerke richte es sich nach konkreten Kriterien.