Der gejagte Jäger
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Biografie von Hunter Biden:Die Lebensgeschichte des Sohns von US-Präsident Joe Biden

Exklusiver Vorabdruck aus Hunter Bidens «Beautiful Things – Meine wahre Geschichte»
Der gejagte Jäger

Er verlor als Zweijähriger die Mutter, 2015 den geliebten Bruder, versank im Drogensumpf – und ist der Sohn des mächtigsten Mannes der Welt, des US-Präsidenten Joe Biden (78): Hunter Biden (51) veröffentlicht nun seine ungeschminkte Biografie. Ein exklusiver Vorabdruck.
Publiziert: 06.04.2021 um 05:15 Uhr
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Aktualisiert: 06.04.2021 um 06:27 Uhr
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Joe Biden schneidet am 20. November 1972 seine Geburtstagstorte an. Links Sohn Beau, rechts Hunter mit Mutter Neilia.
Foto: Bettmann Archive
Daniel Arnet

«Wo ist Hunter?» T-Shirts mit dieser Aufschrift verkaufte das Trump-Wahlkampfteam 2020 für 25 Dollar. Hunter, der Jäger, wurde zum Gejagten. Und Hunter, der Sohn von Joe Biden (78), wurde für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten zur Hypothek. Denn der Rechtsanwalt und Wirtschaftslobbyist Hunter Biden (51) nahm 2014 Einsitz im Verwaltungsrat des grössten ukrainischen Gasproduzenten. Das Trump-Team witterte einen Skandal und wollte Joe Biden daraus einen Strick drehen.

Skandalträchtig ist das Leben von Hunter Biden durchaus. So sorgte er mit seinen Drogenexzessen immer wieder für Schlagzeilen. 2014 entlässt ihn die US-Marine wegen Kokainsucht aus ihren Diensten. 2016 hat er eine Beziehung mit seiner Schwägerin Hallie Biden (46), der Witwe seines kurz zuvor an einem Hirntumor verstorbenen Bruders Beau Biden (1969–2015). Und 2018 wird er Vater einer Tochter – nach einer Affäre mit einer Stripperin.

Ungeschönt und schonungslos gegenüber sich selbst erzählt Hunter Biden in «Beautiful Things» von seinem Leben am Abgrund, während sein Vater aufbricht, der 46. Präsident der USA zu werden. Angefangen mit dem tragischen Autounfall 1972, bei dem die Mutter ums Leben kam, bis zum Happy End in Kalifornien: Dort lebt Hunter Biden jetzt mit seiner zweiten Ehefrau, Melissa Cohen (33), und dem gemeinsamen Sohn Beau (1), benannt nach dem geliebten Bruder.

BLICK veröffentlicht hier Schlüsselstellen aus dem Buch «Beautiful Things» von Hunter Biden, das am 13. April auf Deutsch bei Hoffmann und Campe erscheint.

Hunter Biden über den Tod seiner Mutter

«Ich sitze auf dem Rücksitz unseres geräumigen weissen Chevy-Kombi, hinter meiner Mutter. Beau ist auch da, hinter Naomi, die wir beide Caspy nennen – ein blasses, pummeliges Baby, das dreizehn Monate zuvor wie aus dem Nichts in unserer Familie aufgetaucht ist, weshalb ihr Spitzname von einer unserer Lieblingscomicfiguren abgeleitet ist: Casper, das freundliche Gespenst. Sie schläft tief und fest in einem Babykorb auf dem Vordersitz.

Plötzlich sehe ich, wie sich der Kopf meiner Mutter nach rechts dreht, ich sehe ihr Profil, aber ich erinnere mich weder an den Blick noch an den Gesichtsausdruck. Ihr Kopf schwingt einfach herum. Im selben Moment stürzt oder schleudert mein Bruder auf mich zu.

Das ist alles. Es geht schnell, wie ein Zucken, ein chaotischer Augenblick: Meine Mutter ist langsam auf eine Kreuzung gefahren, ein mit Maiskolben beladener Lastwagen hat uns seitlich getroffen.

Meine Mutter und meine kleine Schwester waren auf der Stelle tot. Beau wurde mit einem gebrochenen Bein und zahllosen weiteren Verletzungen aus dem Autowrack gezogen. Ich erlitt einen schweren Schädelbruch.

Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich im Krankenhaus aufwachte. Beau lag im Bett neben mir, verbunden und geschient, er sah aus, als wäre er auf einem Spielplatz verprügelt worden. Er flüstert immer wieder dieselben drei Wörter in meine Richtung:

‹Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.›»

… über den Tod seines Bruders Beau

«Am Vormittag des 29. Mai 2015 liessen wir die Geräte abschalten, die Beau am Leben hielten. Er war nicht ansprechbar, seine Atmung war schwach. Die Ärzte auf der Intensivstation des Walter-Reed-Militärkrankenhauses in Bethesda, Maryland, erklärten, dass er innerhalb weniger Stunden, nachdem sie die Tracheostomiekanüle gezogen hätten, von uns gehen würde. Ich wusste, dass es länger dauern würde – denn so war Beau. Also sass ich am Bett meines grossen Bruders und hielt seine Hand.

Eine ganze Schar von Verwandten war ebenfalls da – vierundzwanzig Bidens, die hereinschauten und wieder verschwanden, die durch die Krankenhauskorridore liefen, ihren Erinnerungen nachhingen, warteten. Ich blieb bei Beau, die ganze Zeit.

Der Vormittag ging schleichend in den Nachmittag über, in den Abend, dann in die Nacht. Die Sonne ging noch einmal auf, ihre Strahlen brachen nur an wenigen Stellen durch die zugezogenen Vorhänge. Es war ein wirres, quälendes Warten: In ein und demselben Gebet hoffte ich auf ein Wunder und wünschte mir, dass das Leiden meines Bruders ein Ende nähme.

Weitere zähe Stunden. Ich redete auf Beau ein, ununterbrochen. Ich flüsterte ihm ins Ohr, wie sehr ich ihn liebte. Ich sagte ihm, dass ich wüsste, wie sehr er mich liebte. Ich sagte ihm, dass wir immer zusammen sein würden, dass es nichts gebe, was uns trennen könne. Ich erklärte ihm, wie stolz ich auf ihn war, wie mutig er gekämpft hatte, durch die Operationen hindurch, die Bestrahlungen und die letzte, experimentelle Behandlung, bei der ein verändertes Virus in seinen Tumor gespritzt worden war – direkt in sein Gehirn.

Er hatte nie eine Chance.

Er war sechsundvierzig.»

… über seine Tätigkeit in der Ukraine

«Habe ich einen Fehler gemacht, als ich einen Sitz im Verwaltungsrat eines ukrainischen Gaskonzerns annahm?

Nein.

Habe ich mangelndes Urteilsvermögen an den Tag gelegt?

Nein.

Würde ich es noch einmal tun?

Nein.

Ich habe nichts Unmoralisches getan und ich bin nie wegen Fehlverhaltens angeklagt worden. Ich glaube, in unserer aktuellen politischen Situation würde es keinen Unterschied machen, ob ich diesen Sitz angenommen hätte oder nicht. Ich wäre so oder so angegriffen worden. Ich glaube, im aktuellen Klima ist es völlig egal, was ich getan oder nicht getan habe. Die Angriffe richteten sich nicht direkt gegen mich. Sie sollten meinem Vater schaden.

Natürlich begreift er das sehr viel besser als ich. Immer wenn ich mich bei ihm dafür entschuldigte, seine Kampagne unter derartigen Druck gebracht zu haben, gab er zurück, es täte vielmehr ihm leid, dass ich derart im Rampenlicht stünde und so viel Druck abbekäme, und das zu einem Zeitpunkt, an dem ich so entschlossen sei, gesund zu werden.

Das war die grösste politische Debatte, die mein Vater und ich über Monate führten: Wer hatte sich bei wem zu entschuldigen?

Meine einzige Fehleinschätzung war, 2014 nicht in Betracht gezogen zu haben, dass drei Jahre später Trump im Weissen Haus sitzen würde, wo er jede ihm zur Verfügung stehende Taktik der verbrannten Erde anwenden würde, um dort auch zu bleiben.

Und weil ich es heute eben besser weiss, würde ich es eben nicht noch einmal tun. Ich würde den Sitz im Verwaltungsrat von Burisma nicht mehr annehmen. Trump müsste sich anderweitig umsehen, um geeignete Ablenkungsmanöver von seinem eigenen anfechtbaren Verhalten aufzutun.»

… über seine Alkoholsucht

«Ich merkte nicht, dass Tage und Wochen vergingen. Aus jedem Tag wurde schnell der nächste, zugleich kroch die Zeit mit Gletschergeschwindigkeit dahin. Es dauerte nicht lang, bis ich anfing, mit lähmenden Entzugserscheinungen aufzuwachen. Schon den Kopf vom Kissen zu heben, wurde zur lästigen Pflicht. Wenn kein Schluck mehr in der Flasche war, kostete es mich Herkuleskräfte, um Schuhe und Jacke anzuziehen und wieder zum Schnapsgeschäft zu stolpern. Bald kam mir der kurze Gang vor wie ein Marathon, und nur wenig später fühlte es sich an, als kröche ich auf allen vieren über Glasscherben dorthin.

Noch nie in meinem Leben hatte ich derart getrunken. Ich hatte schon exzessiv getrunken, das ja, und war bereits 2003 und dann noch einmal 2010 an einen Punkt gelangt, an dem ich wusste, es wäre unklug, jetzt weiterzutrinken – und dann hatte ich jeweils beschlossen auszunüchtern. Aber solche Schmerzen, dass ich nicht mehr vor die Tür gehen und kaum noch weitermachen konnte, hatte ich noch nie gehabt. Ich nahm fast zehn Kilo ab. Ich ass eigentlich nur, was es in dem Spirituosengeschäft zu kaufen gab: Doritos, Schweineschwartenchips, Ramen-Nudeln. Irgendwann vertrug mein Magen nicht mal mehr die Nudeln.»

Ich ertränkte mich in Alkohol.

… über seine Crack-Abhängigkeit

«Im Oktober 2016 brach ich zu einer von Crack befeuerten Odyssee quer durchs Land auf. Geplant hatte ich das nicht. Geplant hatte ich, clean zu werden.

Erst Monate zuvor hatte ich meinen Crackkonsum auf eine Pfeife alle drei Tage reduziert. Ich glaubte, aus eigener Kraft damit aufhören zu können, wann immer ich wollte und ehe die Sucht mein Leben beherrschte. Ich pendelte zwischen Washington und Delaware hin und her, um Hallie und ihre Kinder zu sehen, unsere Beziehung war damals noch eine Oase geteilter Trauer; und ich gab mir Mühe, meine Sucht zu verheimlichen.

Aus Arbeitsgründen war ich allerdings ebenfalls ständig unterwegs, meist um neue Kunden anzuwerben oder um Stammkunden zu halten. Mit dem Stress steigerte sich der Drogenkonsum. Statt Crack nur alle drei Tage zu rauchen, nahm ich es bald alle zwei Tage, dann jeden Tag – dann zu jeder Stunde an jedem Tag. Obwohl es für mich noch neu war, Crack rund um die Uhr zu rauchen, obwohl ich noch lernte, trotz erhöhter Abhängigkeit ein funktionierender Junkie zu sein oder mich mitten in Konferenzen alle zwanzig, dreissig Minuten entschuldigen zu müssen, um auf der Toilette ein paar Züge zu nehmen, wusste ich: Sollte es nicht völlig ausser Kontrolle geraten, musste ich was tun.

Zumindest redete ich mir das ein.»

… über seinen Vater Joe Biden

«So war Dad. Immer erinnerte er mich daran, dass noch nicht alles verloren war. Er gab mich nie auf, er wies mich nie ab, er urteilte nie über mich, ganz egal, wie schlimm es um mich stand – und glauben Sie mir, es wurde von da an noch viel, viel schlimmer. Eine weitverbreitete Theorie besagt, dass ein Abhängiger erst ganz unten ankommen muss, bis man ihm oder ihr helfen kann. Die Abhängigen, von denen ich weiss, dass sie ganz unten angekommen sind, sind tot. Egal, wie viel Dad auch immer zu tun hatte: Aufgegeben hat er mich nie, nie, nie.

Ich glaube, Dad brauchte mich. Und mit «mich» meine ich nicht mich. In vielerlei Hinsicht war die Liebe, die er für Beau und mich hegte, der stärkste Ausdruck all seiner Liebe. Und ich war jetzt eben das, was davon übriggeblieben war. Ich will damit nicht sagen, dass er meine Schwester nicht ganz so sehr liebte oder dass er meine Mutter nicht von allen am meisten liebte. Aber Beau und ich haben immer geglaubt, dass Dad es so sah wie wir: Wir drei hatten eine ganz besondere, einzigartige Verbindung. Und deswegen hat er mir eben nicht erlaubt, mich gänzlich zum Verschwinden zu bringen. Er liess mich nicht entkommen, völlig egal, wie oft ich das während der folgenden dreieinhalb Jahre versucht habe. Es gab Momente, in denen mich seine Hartnäckigkeit wütend machte. Ich versuchte, mich mit Alkoholismus oder Drogen auszublenden, und dann kam er schon wieder mit seiner Laterne angestürmt, liess sein Licht leuchten und durchkreuzte meine Pläne zu verschwinden.

Zu verschwinden war der tiefgreifendste Verrat an der Liebe, die zwischen uns war. Ich habe es versucht. Anstatt mich umzubringen.»

Copyright © 2021, Hunter Biden. Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2021, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg

Hunter Biden, «Beautiful Things – Meine wahre Geschichte», Hoffmann und Campe Verlag, 2021. Das Buch kommt am 13. April in den Handel

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