In der Schweiz tobt eine hitzige Debatte um den Umgang mit der Türkei. Auslöser ist der geplante Besuch des türkischen Aussenministers. Mevlüt Cavusoglu wollte am letzten Sonntag in Opfikon ZH vor Auslandtürken für ein Ja zur Verfassungsreform weibeln.
Mit dieser will sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan noch mehr Macht zuschanzen. Sagt das türkische Volk am 16. April Ja zur Verfassungsänderung, entwickelt sich die Türkei noch mehr in Richtung Diktatur.
Einmischen oder zurückhalten?
Wie soll sich die offizielle Schweiz in diesem explosiven Gemisch verhalten? Soll sie sich als neutrales Land nicht einmischen? Auch der Wirtschaft zuliebe, die mit dem Land am Bosporus regen Handel treibt? Oder soll sie scharfe Kritik an Erdogan äussern und alles unternehmen, um den Abbau der Demokratie zu verhindern?
BLICK wollte dies von den Schweizerinnen und Schweizern wissen und beauftragte das Meinungsforschungsinstitut Opinion Plus mit einer repräsentativen Umfrage. Diese fand im Rahmen des Online-Panels zwischen dem 15. und 17. März bei 1000 stimmberechtigten Personen statt.
Die Ergebnisse sind eindeutig: 64 Prozent der Befragten verlangen vom Bundesrat, klarer Stellung zu beziehen. 27 Prozent sind der Meinung, der Bundesrat solle weiterhin zurückhaltend sein.
Erdogan droht mit Flüchtlingsschwemme
Diese Meinung ändern die Schweizer auch dann nicht, wenn die Kritik zu einer Flüchtlingskrise führen würde. Soeben hat die Türkei ihre Drohung wiederholt, aus Rache das Flüchtlingsabkommen zu kündigen und Migranten über die Balkanroute nach Europa zu schicken. «Wenn ihr wollt, schicken wir euch die 15'000 Flüchtlinge, die wir jeden Monat zurückhalten», sagte der türkische Innenminister Süleyman Soylu am Donnerstagabend.
Solche Drohungen beeindrucken die Schweizer gemäss Umfrage nicht: 76 Prozent finden, dass Politiker und auch die Medien klar Stellung beziehen sollen, auch wenn sie damit Erdogan verärgern. Nur 17 Prozent empfehlen Zurückhaltung. Die Romands sind um einiges vorsichtiger als die Deutschschweizer.
Mehr Courage gefordert
Mehr Mut, Herr Aussenminister Burkhalter! So lassen sich die Umfrage-Ergebnisse zusammenfassen. Aussenpolitiker schliessen sich diesem Fazit an. «Direkt nach dem Putsch in der Türkei hat Burkhalter zu schnell eine nette Medienmitteilung verschickt und sich so mit Erdogan solidarisiert», sagt Kathy Riklin (CVP). Wenn sich die Gelegenheit dazu biete, sollte die offizielle Schweiz klar Stellung beziehen.
Dies verlangt auch Andreas Aebi (SVP): Die Politik des Bundesrats sei sehr zurückhaltend. «Burkhalter dürfte sich öffentlich durchaus etwas pointierter äussern.» Sibel Arslan, Grünen-Nationalrätin mit türkisch-kurdischen Wurzeln, verlangt von der Schweiz als Hüterin der Genfer Konvention mehr Klarheit: «Der Bundesrat muss fordern, dass die eingesperrten Oppositionellen freigelassen und die Menschenrechte gewährleistet werden.»
Burkhalter kritisiert Menschenrechtsverletzungen
Das Aussendepartement verteidigt sich: Man habe eine «klare Haltung gegenüber Entwicklungen in der Türkei und äussert diese auch», so Jean-Marc Crevoisier, Burkhalters Medienchef. Es gebe keine Tabus, und das EDA spreche neben vielen anderen auch Themen wie Menschenrechte und Todesstrafe an.
Crevoisier verweist auf den Besuch von Cavusoglu im letzten November. Burkhalter äusserte damals seine «Besorgnis über die zahlreichen Entlassungen und Verhaftungen nach dem Putschversuch und erinnerte daran, dass die Verhängung des Ausnahmezustands die Türkei nicht von internationalen Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich entbindet», wie es im Communiqué heisst.
Was läuft hinter den Kulissen?
FDP-Ständerat Philipp Müller gibt zu bedenken, dass man ja nicht wisse, was hinter den Kulissen genau ablaufe. «Was öffentlich gesagt oder nicht gesagt wird, ist nur eine Seite der Medaille.»
Auch Christian Levrat, Präsident der aussenpolitischen Kommission des Ständerats, lobt die Arbeit des FDP-Aussenministers: Die offizielle Schweiz spreche Kritik klar an. Aber im Ton so, dass es auch einen Einfluss auf die türkische Regierung habe. «Wir brauchen schliesslich Ergebnisse und keine Polemik», so der SP-Chef.