BLICK: Frau Funiciello, Ihre Partei wählt im April ein neues Präsidium. Cédric Wermuth und Mattea Meyer treten gegen Priska Seiler Graf und Mathias Reynard an. Für welches Duo sind Sie?
Tamara Funiciello: Ich unterstütze Mattea und Cédric! Die beiden bringen vieles mit, was ich mir von einem Präsidium wünsche: eine Strategie, einen Plan zur Umsetzung der Ideen und viel Herzblut.
Sie sind radikale Feministin. Hätten Sie sich nicht ein reines Frauenticket gewünscht?
Es gab viele Frauen, die in Frage gekommen wären, die sich aber aus nachvollziehbaren Gründen gegen eine Kandidatur entschieden haben – etwa Flavia Wasserfallen oder Nadine Masshardt. Ich glaube, man muss den Frauen auch die Freiheit lassen, im Team anzutreten.
Glauben Sie, dass ein Co-Präsidium funktioniert?
Ich denke, es ist wichtig, dass die beiden sich blind vertrauen können. Bei Cédric und Mattea ist das der Fall. Denn ein Präsidium muss innert kürzester Zeit Entscheidungen fällen können. Wenn man jedes Mal noch lange Diskussionen führen muss oder beide in eine andere Richtung ziehen, wird es schwierig.
Für Sie kam eine Kandidatur als SP-Präsidentin nicht in Frage?
Ich frage mich immer, wo kann ich am meisten bewirken? Ich bin zum Schluss gekommen: Ich will die SP-Frauen mitführen!
Was gab den Ausschlag für Ihre Kandidatur?
Der Frauenstreik vom 14. Juni natürlich und meine Erfahrung als Juso-Präsidentin. Ich habe in dieser Zeit viel erlebt, ich wurde zum Teil heftigst angegriffen. Doch die Frauen haben mich immer dann aufgefangen, wenn ich es brauchte. Ich stehe heute auf den Schultern dieser Frauen. Nun will ich, dass auf meinen Schultern die nächste Generation stehen kann.
Angenommen das Duo Wermuth/Meyer wird an die SP-Spitze gewählt und Sie übernehmen die Führung der Frauen. Dann ist die «Jusofizierung» der SP bald komplett.
Ich muss über das «Jusofizierungs»-Gerede immer lachen. Einer U21-Nationalmannschaft würde man auch nie vorwerfen, dass sie den Nachwuchs für die Nati ausbildet.
Sie vergleichen die SP mit der Nati?
Ja. Denn die Rolle der Juso ist dieselbe wie die der U21: Sie stellt den Nachwuchs für die SP. Rund ein Viertel der SP-Fraktionsmitglieder hat eine gemeinsame Juso-Vergangenheit. Nadine Masshardt, Jon Pult, Baptiste Hurni, Mathias Reynard – sie alle waren auch in der Juso.
Fakt ist doch: Wenn die Alt-Jusos übernehmen, driftet die SP weiter nach links.
Was Cédric, Mattea und mich verbindet, ist, dass die Leute wissen, was sie von uns kriegen. Wir vertreten klar linke Positionen. Beispiel Altersvorsorge: Wir sind dezidiert gegen den aktuellen Vorschlag von Bundesrat Berset, der das Frauenrentenalter ohne wirkliche Kompensation erhöhen will. Priska Seiler Graf nicht.
Welche Politik möchten Sie als Frauenpräsidentin verfolgen?
Wir müssen es schaffen, den Feminismus in die Mitte der SP zu stellen. Mein Ziel ist es, dass die Frauen nach mir mehr Rechte, mehr Möglichkeiten und mehr Gleichberechtigung haben als heute. Es kommt in nächster Zeit noch einiges auf uns zu. Ich denke hier an die Arbeitszeit, die Renten oder das Sexualstrafrecht. Wir brauchen die Frauenbewegung so aktiv wie im letzten Jahr!
Tamara Funiciello (29) ist die Tochter einer Detailhandelsangestellten und eines Fabrikarbeiters. Sie wurde in Bern geboren, wuchs jedoch auf Sardinien auf. Von 2016 bis 2019 war sie Präsidentin der Juso Schweiz. Funiciello ist überzeugte Feministin. Vor mehr als einem halben Jahr outete sich die Bernerin als bisexuell.
Tamara Funiciello (29) ist die Tochter einer Detailhandelsangestellten und eines Fabrikarbeiters. Sie wurde in Bern geboren, wuchs jedoch auf Sardinien auf. Von 2016 bis 2019 war sie Präsidentin der Juso Schweiz. Funiciello ist überzeugte Feministin. Vor mehr als einem halben Jahr outete sich die Bernerin als bisexuell.
Was schwebt Ihnen konkret vor?
Wir brauchen dringend eine Arbeitszeitverkürzung. Sanna Marin, die neue Ministerpräsidentin Finnlands, schlägt ja vier Arbeitstage à sechs Stunden vor. Also eine 24-Stunden-Woche. Das kann ich mir auch vorstellen.
Ein klassisches Juso-Anliegen. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden fünf Initiativen zur Arbeitszeitverkürzung abgelehnt. Die Schweizer wollen das nicht.
Es gibt heute Personen, die ein Burnout haben und andere – vor allem über 50-Jährige – die keinen Job mehr finden. Gleichzeitig werden die Reichen immer reicher. Wir müssen uns doch überlegen, wie wir die Arbeit und den Reichtum am besten verteilen können. Das ist ein feministisches Anliegen.
Kommen wir zur Änderung des Sexualstrafrechts. Es geht um die Frage: Was ist eine Vergewaltigung? Was meinen Sie?
Heute spricht man nur dann von einer Vergewaltigung, wenn eine Frau zum Sex genötigt wird und sich aktiv wehrt. Das ist absurd! In der Schweiz gibt es 800'000 Frauen, die schon sexuelle Handlungen gegen ihren Willen erfahren haben. Zu einer Anzeige – und geschweige denn zu einer Verurteilung – kommt es aber nur in den allerwenigsten Fällen. Da muss doch etwas geschehen!
Was müsste sich denn ändern?
Ich bin für die sogenannte «Ja heisst Ja»-Regel, die in Schweden bereits angewandt wird. Das heisst, dass beide Partner dem Sex zustimmen müssen.
Ist das praktikabel?
Man tut jetzt so, als wäre das absurd. Aber eigentlich ist es selbstverständlich. Die Frage ist doch: Auf welcher Basis wollen wir Sex haben? Reicht es, wenn die Partnerin sich nicht wehrt? Ist es okay, wenn niemand Nein sagt? Oder wollen wir, dass beide Partner einverstanden sind? So schwierig scheint mir das nicht.
Wo liegt denn das Problem?
Die alten Herren im Ständerat sind sich nicht gewohnt, über Sex zu sprechen, und in ihren Köpfen sind Mythen über Vergewaltigungen verankert. Das sieht man beispielsweise auch bei SP-Ständerat Daniel Jositsch. Er behauptete im «SRF-Club», Penetrationen gegen den Willen einer Person seien bloss eine «ungewollte Belästigung».
Ein Thema ist auch die Ehe für alle. Der Bundesrat sagt zwar Ja zur Ehe für alle, will aber lesbischen und bisexuellen Frauen den Zugang zu Samenspenden weiterhin verweigern.
Was der Bundesrat vorschlägt, ist eine Partnerschaft plus. Von einer Ehe für alle kann keine Rede sein, solange nicht alle die gleichen Rechte erhalten. Wenn der Bundesrat schon das Regenbogenfähnchen schwenken will, dann muss er auch die Samenspende erlauben – und die Frauen nicht, wie so oft, auf die lange Bank schieben.
Sie haben eine Freundin. Möchten Sie heiraten?
Heiraten gehört nicht unbedingt zu meinem Lebensplan. Aber wir sind eine bunte Community. Es gibt viele Lesben und Schwule, die gerne heiraten möchten – und diese sollten dieselben Rechte haben wie alle anderen auch.
Nach dem Rücktritt von Co-Präsidentin Natascha Wey (38), suchen die SP Frauen eine neue starke Frau für die Spitze. Nebst Tamara Funiciello (29) hat auch die Solothurner SP-Nationalrätin Franziska Roth (52, Bild) ihr Interesse am Amt angemeldet. Die Kampfwahl zwischen den beiden findet am 29. Februar in Bern statt. Die andere Frau im Team, Martine Ducourt, wird ihr Amt wie bisher weiterführen.
Nach dem Rücktritt von Co-Präsidentin Natascha Wey (38), suchen die SP Frauen eine neue starke Frau für die Spitze. Nebst Tamara Funiciello (29) hat auch die Solothurner SP-Nationalrätin Franziska Roth (52, Bild) ihr Interesse am Amt angemeldet. Die Kampfwahl zwischen den beiden findet am 29. Februar in Bern statt. Die andere Frau im Team, Martine Ducourt, wird ihr Amt wie bisher weiterführen.