Ex-Botschafter Dominik Langenbacher
«Afrika geht es viel besser, als wir glauben»

Der Schwarze Kontinent ist in Bewegung: Millionen Menschen fliehen vor Armut, Hunger und Krieg. Viele Afrikaner sind auf dem Weg nach Europa. Der Afrika- und Migrationsexperte Dominik Langenbacher spricht Klartext: Den Afrikanern geht es besser, als wir meinen. Vielen in der Schweiz müsste der Flüchtlingsstatus aberkannt werden.
Publiziert: 07.10.2017 um 11:12 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2018 um 11:42 Uhr
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Lebt seit 20 Jahren in Afrika: Dominik Langenbacher.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Guido Felder

BLICK: Herr Langenbacher, Sie leben seit 20 Jahren in Afrika. Was fasziniert Sie an diesem Kontinent?
Dominik Langenbacher: Die Afrikaner sind geerdeter, stehen den grundsätzlichen Lebensfragen viel näher als wir. Bei uns steht oft die Selbstverwirklichung zuoberst. Mich faszinieren auch die Spiritualität, die Tradition und die mündlichen Überlieferungen: Der Grossvater erzählt, das Kind fragt. Bei uns wird alles aufgeschrieben, es gibt keine Rückfragen. 

Wie haben Sie Ihre Liebe zu Afrika entdeckt?
In den frühen 70er-Jahren verbrachte ich den Winter immer in Afrika, weil mein Vater Botschafter in Äthiopien war. Es passierte auf einer Reise mit dem alten Dschibuti-Bähnli, nachdem ich in der Schweiz Militärdienst geleistet hatte: Ich stand auf dem Trittbrett und betrachtete den stahlblauen Himmel und die Berge am Horizont. Einfach fantastisch. Da hat es klick gemacht.

Leider vernehmen wir mehr schlechte als gute Nachrichten aus Afrika. Wohin entwickelt sich der Kontinent?
Es sind verschiedene Entwicklungen im Gang. Wir hören meistens nur von Hungersnot, Armut und Konflikten. Aber in Afrika ist viel in Bewegung, es gibt grossen Fortschritt in Wirtschaft und Politik. Die meisten Staaten haben in den vergangenen zehn Jahren vom Wachstum profitiert. Die Armutsgrenze ist von einem auf zwei Dollar angestiegen.

Wo findet dieser Fortschritt statt?
Es gibt Musterländer wie Botswana im Süden, das sich demokratisch entwickelt hat und auf eine Weise mit Diamanten wirtschaftet, dass alle davon profitieren. Ghana ist heute eine ziemlich gefestigte Demokratie, die von Kakao, Gold und Erdöl lebt. In Somalia ist der Bürgerkrieg beendet, das Land stabilisiert sich ebenfalls. Von diesen Beispielen redet aber kaum jemand.

Warum haben wir denn immer noch Flüchtlinge aus solchen Ländern in der Schweiz?
Die Leute aus den meisten afrikanischen Ländern haben keinen Anspruch auf den Flüchtlingsstatus. Auch für Somalier wäre es angebracht, die Situation zu überprüfen. Nach meiner Ansicht könnte man die neu Ankommenden heute zurückschicken.

Was läuft schief?
Die Flüchtlingskrise in Europa ist eher eine Migrationskrise. Wir haben uns bei der Migration zu lange nur auf die humanitäre Asylschiene festgelegt. Das rächt sich nun. Wir haben es verpasst, neben der Freizügigkeit mit der EU eine Immigrationspolitik für den Rest der Welt zu entwickeln. 

Wie müsste die aussehen?
Vorbild könnten die USA sein. Amerika ist ein Immigrationsland, das die Zuwanderung mit der Greencard regelt. 

Sollte auch die Schweiz Greencards verteilen?
Warum nicht? Ich stelle mir ein Immigrationsvisum vor. Wer eines will, muss einen Betrag von - sagen wir - 20’000 Franken auftreiben und über diese Summe in der Schweiz verfügen. Dann hat er sechs Monate Zeit, eine Arbeit zu finden. In dieser Periode hat er keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Findet er einen Job, um sich durchzubringen, kann er bleiben, findet er nichts, muss er die Schweiz verlassen.

Ist das nicht unfair? Nur reiche Migrationswillige könnten davon profitieren.
Die meisten schaffen es, das Geld aufzubringen. Oft helfen die Familien, die Interesse daran haben, dass Angehörige auswandern und ihnen Geld heimschicken. Sie bringen ja auch Tausende von Franken für Schlepperdienste auf. 

Wie können sich Menschen aus völlig fremden Kulturen integrieren? 
Man könnte von ihnen verlangen, dass sie eine Landessprache beherrschen oder über eine gewisse Ausbildung verfügen. Das brächte uns den Vorteil, dass wir wüssten, wer kommt und ob es einer ernst meint mit Arbeiten. Auch der Einwanderer weiss: Ich kann nur bleiben, wenn ich mich einsetze. 

Welche Nationen sind migrationswillig?
Es gibt Staaten mit grosser Auswanderung, andere mit sehr kleiner. Guineer haben sicher Interesse, Burkina Faso hingegen hat kaum eine Diaspora. 

Warum diese Unterschiede?
Ein Grund ist die Sogwirkung. Das kann man vor allem bei den Eritreern beobachten. Jene in der Schweiz holen Landsleute nach, indem sie ihnen von der schönen Schweiz und den Sozialleistungen vorschwärmen. Sie sagen ihnen auch, welche Geschichten sie den Behörden erzählen müssen, um bleiben zu können. 

Sie kommen also, um zu profitieren?
Die meisten kommen nach meinen Erfahrungen nicht, um zu arbeiten. Vielmehr sind sie darüber informiert, dass sie hier Sozialleistungen erhalten, und die Somalier und Eritreer wissen, dass sie nicht zurückgeschickt werden. Wir schätzen die Afrikaner oft falsch ein, sie haben eine Überlebensstrategie und sind sehr kreativ.

Schmarotzer …
Für Afrikaner ist es weder profitieren noch schmarotzen. Aber wenn das Umfeld so lieb ist und etwas gibt, kann man es doch nehmen. 

Könnte man mit dem Ausbau der Entwicklungshilfe die Leute in Afrika zurückhalten?
Das ist ein Irrglaube. Nichts hält die Menschen zurück. Die Leute laufen los, weil sie bei uns bessere Bedingungen finden. Sie kommen, auch wenn wir Mauern und Auffanglager bauen. Der Mensch findet immer einen Weg, er ist da fast flexibler als Wasser. 

Wie kann man denn die wachsende Migration im Zaum halten?
Das ist nur mit Repression möglich. Indem man den Migranten zeigt: Du kannst kommen, aber du musst arbeiten. Eben, mit einem Arbeitsvisum zum Beispiel.

Wie wichtig ist denn die Entwicklungshilfe überhaupt?
Die humanitäre Hilfe ist die Wurzel der Entwicklungshilfe. Mit der humanitären Hilfe hat man – vor allem im Gesundheitsbereich – viel erreicht. Heute ist die Entwicklungshilfe eine Industrie mit einem riesigen Reibungsverlust. Viel Geld bleibt kleben: bei Konferenzen, bei den Experten, bei den Regierungen, bei den Hilfsorganisationen. 

Wie würden Sie diese Hilfe optimieren?
Man könnte die Beiträge zweiteilen. Eine Hälfte unterstützt die Menschen als humanitäre Hilfe in der Not. Die andere Hälfte würde für politische Arbeit eingesetzt. Wenn man sieht, dass eine Regierung nicht mitspielt, streicht man diesen Teil. Das hat die Schweiz in den 90er-Jahren mit Kenia gemacht: Als man bei einem Hotelfachschulprojekt Korruption feststellte, wurde die gesamte Entwicklungshilfe innert drei Jahren von 16 Millionen auf praktisch null Franken heruntergefahren. 

In Afrika herrscht Hunger, das Klima wird immer wärmer. Was kommt auf den Kontinent mit den 1,2 Milliarden Menschen zu?
Abgesehen von den wirklichen Krisengebieten sind Hungersnöte oft hausgemacht. In Entwicklungsländern versuchen die Regierungen oft, sich auch an den Bauern zu bereichern. So besteht für die Landwirte kein Anreiz, über die Selbstversorgung hinaus zu produzieren. Das führt in schlechten Zeiten zu Not. 

Sie meinen, es wäre genug Nahrung vorhanden?
Ja. Allein das Jubbatal in Somalia könnte das ganze Horn von Afrika ernähren. Man müsste es nur richtig bewirtschaften. Die Bauern wüssten wie. Sie haben Apps, auf denen sie sehen, wann für den Anbau der Regen kommt und auf welchem Markt sie für ihre Ernte den besten Preis erzielen können.

Der Afrika-Kenner

Dominik Langenbacher (66) ist als Diplomatensohn in Berlin, New York und Bangkok aufgewachsen. Nach dem Jus-Studium in Bern trat er in den diplomatischen Dienst ein.

Für die Uno arbeitete er als Koordinator für Somalia, dann war er schweizerischer Geschäftsträger in Madagaskar, wo der Dokumentarfilm «Der Diplomat. Dominik Langenbacher in Madagaskar» entstand.

Im Justizdepartement war er für die Migration zuständig. Zuletzt war er Botschafter für die Schweiz in Somalia, Äthiopien und der Elfenbeinküste.

Von diesen Orten aus war er jeweils für mehrere afrikanische Länder zuständig. Langenbacher ist seit 1990 mit der Kenianerin Bilha (57) verheiratet und lebt in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und in Ferenberg bei Bern.

Er ist pensioniert und wirkt heute als Berater bei Fragen über Afrika.

Dominik Langenbacher (66) ist als Diplomatensohn in Berlin, New York und Bangkok aufgewachsen. Nach dem Jus-Studium in Bern trat er in den diplomatischen Dienst ein.

Für die Uno arbeitete er als Koordinator für Somalia, dann war er schweizerischer Geschäftsträger in Madagaskar, wo der Dokumentarfilm «Der Diplomat. Dominik Langenbacher in Madagaskar» entstand.

Im Justizdepartement war er für die Migration zuständig. Zuletzt war er Botschafter für die Schweiz in Somalia, Äthiopien und der Elfenbeinküste.

Von diesen Orten aus war er jeweils für mehrere afrikanische Länder zuständig. Langenbacher ist seit 1990 mit der Kenianerin Bilha (57) verheiratet und lebt in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und in Ferenberg bei Bern.

Er ist pensioniert und wirkt heute als Berater bei Fragen über Afrika.

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