In Bundesbern gingen die Sommerferien gestern mit einem Paukenschlag zu Ende. Der Gewerkschaftsbund (SGB) gab bekannt, die Gespräche mit Johann Schneider-Ammann über die flankierenden Massnahmen zu boykottieren. Ein Schlag ins Gesicht für den freisinnigen Bundesrat. Und wohl das faktische Ende des Rahmenabkommens, über das die Schweiz und die EU seit Jahren verhandeln.
Nicht nur der Bundesrat war überrascht über die Gesprächsverweigerung der Gewerkschaften. Auch für Michael Hahn, Direktor des Instituts für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht an der Uni Bern, kam der Entscheid unerwartet. Im Interview mit BLICK beurteilt Hahn die Argumente des SGB für eine Abfuhr. Und er sagt, was diese nun für Konsequenzen hat.
Herr Hahn, für die Gewerkschaften ist der Fall klar: Bekommen EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof (EuGH) bei den Flankierenden ein Mitspracherecht, ist es vorbei mit dem Lohnschutz in der Schweiz. Darum weigern sie sich, mit dem Bundesrat zu verhandeln. Wie sehen Sie das?
Michael Hahn: Ich bin ein bisschen erstaunt über die Reaktion des Gewerkschaftsbundes. Soweit ich das sehe, unterscheiden sich die Positionen der Schweiz und der EU gerade beim Thema Lohnschutz nur in Nuancen. Selbst im Verhältnis Schweiz-EU gibt es mittlerweile eine grosse Parallelität. Das Ziel ist dasselbe: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Natürlich: Der Teufel steckt auch hier im Detail. Aber genau dafür sind Gespräche ja da.
Eine Schwächung des Lohnschutzes ist also nicht zu befürchten?
Eher im Gegenteil: Anders als die Gewerkschaften zu glauben scheinen, würde das Aufnehmen der flankierenden Massnahmen in das Rahmenabkommen eine Stärkung des Arbeitnehmerschutzes bedeuten. Denn indem man die flankierenden Massnahmen in das Abkommen aufnimmt, macht man sie juristisch sicherer. Momentan besteht die Gefahr, dass sowohl das Schweizer Bundesgericht als auch der Europäische Gerichtshof daran Anstoss nehmen könnten. Sind sie aber Teil des Rahmenvertrags – wenn auch vielleicht in etwas anderer Form als jetzt –, sind sie für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre sozusagen unangreifbar durch die EU. Ein guter Kompromiss dient den Gewerkschaften meines Erachtens deshalb mehr, als wenn man an den jetzigen flankierenden Massnahmen festhält und dafür kein Abkommen schliesst.
Gewerkschaftsbund-Präsident Paul Rechsteiner argumentiert, dass aber bloss die Bereitschaft zur Diskussion ein falsches Signal an die EU sendet.
Das kann ich nicht nachvollziehen. Der Bundesrat betont, dass er am Niveau des Lohnschutzes festhalten will. Weshalb dann ein Gespräch darüber, wie man die Kuh vom Eis bringt, ein Sündenfall sein soll, ist mir unverständlich.
Mit dem Gesprächsboykott des SGB steht das Rahmenabkommen am Abgrund. Wie geht es nun weiter?
Totgesagte leben bekanntlich länger, deshalb habe ich noch nicht alle Hoffnung verloren. Was wir hier haben, ist eine Irritation zwischen den FDP-Bundesräten und dem Gewerkschaftsbund. Eine Irritation, die man eigentlich müsste aus dem Weg räumen können angesichts der sachlichen Nähe der beiden Parteien. Da musste man sich schon sehr verstockt anstellen, damit man nicht bald wieder mit einer Stimme nach aussen sprechen kann.
Doch die Zeit drängt. Nächstes Jahr sind in der EU wie auch in der Schweiz Wahlen, zudem ist die EU mit dem Brexit beschäftigt. Das macht die Verhandlungsposition der Schweiz nicht besser.
Wenn das Abkommen nicht bis Spätherbst abgeschlossen werden kann, ist das tatsächlich schlecht für unsere Verhandlungssituation. Die EU wird sich dann mit Brexit, Migration und Trump und anderen Dossiers beschäftigen. Das Ende der Welt bedeutet das sicher nicht. Aber es ist schlecht für den Werkplatz Schweiz und damit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.