Der Freitag war kein guter Tag für die Landesregierung. Die Verteilung der Departemente scheiterte , und auch beim Europa-Dossier herrschte grosse Uneinigkeit im Bundesrat.
Als dieser erstmals das Verhandlungsergebnis mit Brüssel präsentierte, trat man gleich zu dritt vor die Medien: Bundespräsident Alain Berset (46, SP), Aussenminister Ignazio Cassis (57, FDP) und Finanzminister Ueli Maurer (68, SVP). Nicht einmal zu einer Bewertung des Vertrags konnten sich die Regierenden durchringen. Stattdessen sollen Parteien, Sozialpartner und Kantone nun bis zum Frühling Stellung beziehen – und dem Bundesrat sagen, was er zu tun hat. Führungsstärke sieht anders aus.
Warum tut sich der Bundesrat so schwer mit dem Vertrag? Weil er sich in Brüssel in mehreren Punkten nicht durchsetzen konnte: Die Unionsbürgerrichtlinie wurde nicht ausdrücklich ausgeschlossen (siehe Box); bei den flankierenden Massnahmen beharrt die EU explizit auf Anpassungen – die viel diskutierte achttägige Anmeldefrist für ausländische Firmen in der Schweiz will sie auf vier Arbeitstage beschränken.
Gewerkschaften warnen vor Lohnabbau
Die Kritik folgte auf dem Fuss. SP-Präsident Christian Levrat (48) bezeichnete das Abkommen mit der EU «aus sozialer Sicht als Rückschritt und darum politisch chancenlos». Damit weiss sich der Freiburger Ständerat einig mit den Gewerkschaften, die seit Monaten vor einem Abbau des Lohnschutzes warnen.
Aber nicht alle Sozialdemokraten teilen Levrats Haltung. «Wenn die SP nun erklärt, die Schweizer Löhne seien gefährdet, dann stimmt das schlicht nicht», sagt etwa SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (58, BL). Das EU-Recht gewähre jedem Mitgliedstaat das Recht, Löhne eigenständig festzulegen und durchzusetzen. Der Lohnschutz bleibe gewährleistet, «auch wenn wir bei den Kontrollbestimmungen Anpassungen vornehmen müssen». Da sei der Text des Abkommens völlig eindeutig. « In der Schweiz werden Schweizer Löhne bezahlt. Wer anderes behauptet, der verbreitet Fake News.»
Nussbaumer ist sich bewusst, dass er damit innerparteilich für Zündstoff sorgt. Er sei aber nicht Mitglied, um stets die gleiche Meinung zu vertreten wie der Präsident. «Vielleicht enden wir in einer thematischen Spaltung in der SP. Damit müssen wir leben.»
Dass seine Partei im Sommer die Linie der Gewerkschaften mitgetragen hat, «war absolut richtig», sagt SP-Nationalrat Fabian Molina (28, ZH). «Die FDP-Bundesräte hatten einen Angriff auf den Lohnschutz lanciert. Nun sind wir
einen Schritt weiter, dieser Debatte kann sich die einzige proeuropäische Kraft im Land nicht verschliessen.» Falle das Rahmenabkommen durch, blieben nur «Abschottung oder
EU-Beitritt».
Dann aber wäre sie lanciert, die Grundsatzdebatte über Für und Wider eines Beitritts – zum Leidwesen der SP-Spitze.
Operation Libero begrüsst die Diskussion
Auch im Freisinn, der zweiten zentralen europapolitischen Kraft, tut sich ein Graben auf. Die Konfliktlinie läuft mitten durch die Partei. Und erreicht nun auch den Bundesrat: Karin Keller-Sutter (54, FDP) signalisierte gleich nach ihrer Wahl am Mittwoch Verständnis für die Haltung der Gewerkschaften – und nahm damit die Gegenposition zu FDP-Aussenminister Cassis ein. «Die FDP wird das Verhandlungsergebnis intensiv prüfen. Die Meinungsbildung ist nicht abgeschlossen», sagt jetzt der freisinnige Ständerat Damian Müller (34, LU).
Die Diskussion über das Rahmenabkommen elektrisiert auch Politaktivisten ausserhalb des Bundeshauses. Bei der Operation Libero, die sich in den vergangenen Jahren in erster Linie mit Abwehrkämpfen gegen Volksinitiativen der SVP einen Namen gemacht hat, begrüsst man die anlaufende Diskussion ausdrücklich.
Co-Präsidentin Laura Zimmermann (27) zu SonntagsBlick: «Für uns ist das Rahmenabkommen
im Interesse der Schweiz, letztlich soll aber die Bevölkerung darüber abstimmen.»
Ziel des Rahmenabkommens ist es, die über hundert bestehenden Abkommen und Verträge auf ein solides Fundament zu stellen und die Beilegung von Streitfällen zu regeln. Damit soll der Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt gewährleistet werden.
Für den Bundesrat war stets klar, dass die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) nicht Teil des Abkommens sein dürfe. Brüssel beharrt auf einer Übernahme, was EU-Bürgern in der Schweiz bei der Sozialhilfe zusätzliche Ansprüche verschaffen würde (siehe auch Seite 6). Der zweite Knackpunkt betrifft die flankierenden Massnahmen (Flam), die das hiesige Lohnniveau garantieren. Diese wurden im Zuge der Personenfreizügigkeit mit der EU eingeführt. Besonders umstritten ist die achttägige Anmeldefrist für ausländische Unternehmen: Die Union verlangt eine Beschränkung auf vier Arbeitstage. Für die Schweizer Gewerkschaften sind acht Tage sakrosankt.
Ziel des Rahmenabkommens ist es, die über hundert bestehenden Abkommen und Verträge auf ein solides Fundament zu stellen und die Beilegung von Streitfällen zu regeln. Damit soll der Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt gewährleistet werden.
Für den Bundesrat war stets klar, dass die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie (UBRL) nicht Teil des Abkommens sein dürfe. Brüssel beharrt auf einer Übernahme, was EU-Bürgern in der Schweiz bei der Sozialhilfe zusätzliche Ansprüche verschaffen würde (siehe auch Seite 6). Der zweite Knackpunkt betrifft die flankierenden Massnahmen (Flam), die das hiesige Lohnniveau garantieren. Diese wurden im Zuge der Personenfreizügigkeit mit der EU eingeführt. Besonders umstritten ist die achttägige Anmeldefrist für ausländische Unternehmen: Die Union verlangt eine Beschränkung auf vier Arbeitstage. Für die Schweizer Gewerkschaften sind acht Tage sakrosankt.