Dieses Werk birgt Sprengstoff wie selten etwas in der Schweizer Politik. In seinem soeben erschienenen Buch «Das Schweizer EU-Komplott» knöpft sich Prof. Dr. iur. et Dr. rer. pol. h. c. Carl Baudenbacher die Meinungsmacher im Verhältnis Schweiz-Europäische Union vor.
Eine «Clique von Beamten im Aussendepartement, Politikern, Verbandsfunktionären, Medienleuten und Professoren» bestimme die helvetische Europapolitik, schreibt der langjährige Richter am Efta-Gerichtshof in Luxemburg. Deren Absicht: «Die Schweiz möge der Europäischen Union beitreten.» Es sei im Ausland bekannt, «dass sich die schweizerische Europapolitik in den Händen einer frankofonen Beamtenschaft» befinde, die auf Brüssel und Paris fixiert sei.
Kein Wunder, lässt Carl Baudenbacher am vorliegenden Rahmenvertrag mit der EU kein gutes Haar.
SontagsBlick: Herr Professor Baudenbacher, welche Note würden Sie dem Bundesrat und seinen Verhandlungsführern geben, nachdem Sie den Text des Rahmenvertrags gelesen haben?
Carl Baudenbacher: Ungenügend, ganz klar.
Warum?
Der Vertrag ist falsch aufgegleist.
Wie meinen Sie das?
Das Schiedsgericht hätte praktisch keinen Ermessensspielraum. Der Europäische Gerichtshof hätte bei Streitfällen zwischen der Schweiz und Brüssel das letzte Wort. Natürlich ist der hoch angesehen. Niemand weiss das besser als ich. Als Efta-Gerichtspräsident habe ich jahrelang mit dem EuGH bestens zusammengearbeitet. Trotzdem: Es ist das Gericht der anderen Partei. Das widerspricht dem Völkerrecht.
Was bedeutet das für die Schweiz?
Die Kommission kann etwas, was sie stört, einseitig vor das Schiedsgericht bringen. Das heisst, die Schweiz unterstellt sich der EU-
Judikative.
Das tun andere europäische
Länder auch.
Ja, dann sind sie Mitglied der EU und entscheiden in der Union mit. Und sie stellen einen Richter. Das Schiedsgerichtsmodell wurde von der EU für die drei ehemals sowjetischen Staaten Ukraine, Moldawien und Georgien entworfen. Die Schweiz ist eine der ältesten Demokratien, ein Rechtsstaat, ein wichtiger Handelspartner der Union. Und wir sollen jetzt in die gleiche Schublade gesteckt werden? Das ist doch unerträglich.
Rahmenabkommen oder EU-
Mitgliedschaft – was wäre Ihnen lieber?
Eindeutig die EU-Mitgliedschaft. Natürlich müssten wir dann die gesamte Aussen- und Handelspolitik oder das Wettbewerbsrecht übernehmen. Aber wir könnten wenigstens mitbestimmen. Zumal wir aus diesem Rahmenabkommen kaum noch herauskämen.
In Ihrem Buch erheben Sie schwere Vorwürfe. Einer davon: Eine Clique von Politikern und Beamten wolle die Schweiz seit dreissig Jahren heimlich in die EU führen.
Ja, das ist das zentrale Problem. Warum kämpfen diese Leute nicht mit offenem Visier? Warum sagen sie nicht: «Wir wollen in die EU»? In einer direkten Demokratie muss man das Volk mitnehmen, den
Dialog führen. Aber das haben die Verantwortlichen nicht getan.
Gehen wir von Ihrer Behauptung aus, dass Schweizer EU-Anhänger mit Brüssel verhandeln – mit dem Resultat eines schlechten Rahmenabkommens. Ist es die bewusste Absicht dieser Kreise, dass früher oder später die EU-Mitgliedschaft auf den Tisch kommt, weil das vorliegende
Resultat ungenügend ist?
Ich glaube, diese Leute – insbesondere im Aussendepartement – haben durchaus honorige Ziele. Sie glauben daran, dass es der Schweiz als EU-Mitglied besser gehen würde. Sie haben auch das Nein des Volks zum EWR 1992 als Auftrag interpretiert, einen EU-Beitritt anzustreben. Ich spreche seit Jahrzehnten mit Persönlichkeiten, die in der Schweizer Aussenpolitik tätig sind. Und ich treffe nie jemanden, der EU-skeptisch wäre. Logisch, wirkt sich das auf die Verhandlungen aus.
Was schlagen Sie nun vor?
Ich würde die Übung abbrechen. Wenn der Bundesrat dieses Abkommen unterschreibt und anschliessend geht die Volksabstimmung bachab, erleben wir den Worst Case. Besser wäre es, jetzt eine Auslegeordnung zu machen und die möglichen Szenarien ohne Denkverbote zu analysieren.
Die SVP begrüsst Ihre Analyse, namentlich wenn Sie vor angeblichen EU-Turbos in der Verwaltung warnen. Ist Ihnen wohl dabei?
Nur weil die SVP das Gleiche sagt, heisst das doch nicht, dass ich unrecht habe. Ich unterscheide mich aber deutlich von den Europagegnern. Ich bin für eine Integration mit überstaatlichen Institutionen. Klar ist auch: Ein EU-Beitritt liegt momentan nicht drin. Eine Annäherung an den EWR aber schon, man muss halt etwas Fantasie haben.
Hat Sie zu dem Buch der Frust darüber bewogen, dass «Ihr» Efta-Gericht in den Diskussionen
hierzulande keine Rolle spielt?
Man wirft mir vor, ich sei enttäuscht, weil meine Vorschläge kein Gehör fänden. Nun, Niemand kann aus seiner Haut. Ich halte meine Lösung einfach für die bessere. Was ich den Leuten in Bern vorwerfe, ist, dass meine Vorschläge abgelehnt wurden, ohne dass sie ernsthaft geprüft wurden.
Hat das EDA bereits auf Ihr Buch reagiert?
Nein, mich hat niemand angerufen. Das hat das Aussendepartement schon immer so gemacht. Sie haben offenbar keine Argumente, also sagt man: «Kein Kommentar.» Nicht einmal mein Gutachten, das ich kürzlich für die Wirtschaftskommission des Nationalrats verfasst habe, wurde inhaltlich diskutiert.
Stattdessen wurde über Ihr
Honorar gestritten.
Erstaunlich. Ich wurde nicht einmal entschädigt.
Sie haben gratis gearbeitet?
Ich habe der Eidgenossenschaft mein Gutachten geschenkt. Ich wurde angefragt, ob ich eine Expertise verfassen könnte. Das habe ich getan, auf 48 Seiten und zum Teil in Nachtarbeit. Als mir die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) schliesslich 12 000 Franken anbot – deutlich weniger als ursprünglich in Aussicht gestellt –, habe ich verzichtet. Hätte ein Zürcher Anwaltsbüro dieselbe Arbeit erledigt, hätte es 100 000 Franken gekostet.
Ihr Verzicht ist ein Protest?
Das Honorar entsprach in keiner Weise meiner Leistung und meiner Reputation, darum habe ich abgelehnt. Der Präsident der WAK hat sich noch dafür bedankt (lacht).
Er kennt das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union wie kaum ein Zweiter: Carl Baudenbacher (71) war von 1995 bis 2018 Richter am Efta-Gerichtshof. Seitdem arbeitet der Professor als unabhängiger Schiedsrichter sowie als Berater von Unternehmen, Anwaltsfirmen, Regierungen und Parlamentariern. Zudem hält er immer wieder Vorträge im In- und Ausland. 2003 erhielt er das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst Erster Klasse der Republik Österreich. Baudenbacher ist verheiratet und Vater einer Tochter.
Er kennt das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union wie kaum ein Zweiter: Carl Baudenbacher (71) war von 1995 bis 2018 Richter am Efta-Gerichtshof. Seitdem arbeitet der Professor als unabhängiger Schiedsrichter sowie als Berater von Unternehmen, Anwaltsfirmen, Regierungen und Parlamentariern. Zudem hält er immer wieder Vorträge im In- und Ausland. 2003 erhielt er das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst Erster Klasse der Republik Österreich. Baudenbacher ist verheiratet und Vater einer Tochter.