Nächsten Sonntag stimmt die Schweiz ab. Im Zentrum stehen zwei Initiativen zur Art, wie jene Dinge produziert werden, von denen wir uns ernähren. Die Fair-Food-Initiative verlangt, der Bund müsse dafür sorgen, dass nur noch nachhaltige und ökologische Produkte auf unseren Tellern landen. Die Initiative für Ernährungssouveränität will die kleinbäuerliche Produktion fördern und sagt der industriellen Landwirtschaft den Kampf an. Letztlich geht es aber um Moral. Grund genug, mit einem Ethiker zu sprechen – am besten beim Essen. Markus Huppenbauer (60), Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Universität Zürich, schlägt das Restaurant Dialog im Zürcher Niederdorf vor.
BLICK: En G uete , Herr Huppenbauer ! Ich habe Salat und Spaghetti mit Pesto bestellt. Irgendetwas moralisch Heikles auf meinem Teller?
Markus Huppenbauer: Von den Nahrungsmitteln her scheint es mir unproblematisch – und es schmeckt lecker. Im Salat sind vielleicht Pestizidrückstände. Vielleicht kommt die Tomate aus Südspanien, wo sie von Migrantinnen zu Niedrigstlöhnen geerntet wurde. Aber das wissen wir nicht, und wir vertrauen darauf, dass dem nicht so ist. Haben Sie jetzt ein schlechtes Gewissen?
Ich will nichts essen, was unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt wurde. Aber irgendwie finde ich es zu viel verlangt , dass ich mich dafür über jedes Rüebli informieren muss.
Völlig zu Recht. Wir wären überfordert, wenn wir bei allem, was wir essen, zuerst abklären müssten, ob es moralisch einwandfrei ist. Darum bin ich ein Freund von Labels. Wenn «Schweiz» oder «Bio» draufsteht, hilft das, sich zu orientieren. Um sich in Ernährungsfragen moralisch zu verhalten, braucht man sehr viele Informationen.
Also sollte man der Fair-Food-Initiative zustimmen. Denn dann würde der Staat diese Information für mich besorgen und gleich auch auswerten.
Das Ziel der Initianten kann ich nachvollziehen: Auch ich will mich fair und ökologisch ernähren. Aber ich frage mich: Muss man alles, was moralisch richtig ist, in die Verfassung schreiben?
Markus Huppenbauer (60) leitet seit mehr als einem Jahr das Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik an der Universität Zürich. Zuvor war der Philosoph und Theologe dort Geschäftsleiter des Forschungsschwerpunktes Ethik. Im Zentrum seiner Forschung stehen Wirtschafts- und Unternehmensethik sowie ethische Fragen der Lebensführung.
Markus Huppenbauer (60) leitet seit mehr als einem Jahr das Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik an der Universität Zürich. Zuvor war der Philosoph und Theologe dort Geschäftsleiter des Forschungsschwerpunktes Ethik. Im Zentrum seiner Forschung stehen Wirtschafts- und Unternehmensethik sowie ethische Fragen der Lebensführung.
Muss man etwa nicht?
Auf keinen Fall. Diese Fragen sind bei uns rechtlich schon genügend geregelt. Es ist überflüssig, die Entscheidungsspielräume der Bürgerinnen noch weiter einzuschränken. Die Fair-Food-Initiative ist politische Zwängerei – wie auch andere Agrar- und Öko-Initiativen, die noch anstehen. Da versuchen Gruppen, ihre moralischen Vorstellungen für alle im Land rechtlich verpflichtend zu machen.
Sie sprechen die anstehenden Initiativen an : Es geht um Pestizide, Gänseleber, Hornkühe. Warum ist die Moral beim Essen plötzlich so wichtig?
Beim Essen geht es zunächst darum, Energie zu tanken, um lebens- und leistungsfähig zu sein. Sobald ein gewisser Wohlstand erreicht ist, wird auch der Genuss wichtig. Es geht nicht nur um Kalorienzufuhr, sondern auch darum, sich etwas zu gönnen: Fleisch, ein gutes Glas Wein. Als dritte Dimension kommt schliesslich noch die Moral ins Spiel.
Erst als dritte Dimension? Uns scheint, als Fleischesser oder Nicht-Bio-Käufer muss man sich heute von Anfang an rechtfertigen.
Es gibt tatsächlich einen Trend zur Moralisierung der Ernährung. Für viele Leute ist es unglaublich wichtig, was auf den Teller kommt.
Warum eigentlich?
In unserer Welt können Einzelne nur wenig bewegen. Aber bei der Ernährung, da kann ich einen Unterschied machen. Ich kann hier zeigen, was mir wichtig ist. Dass ich Sorge zu mir trage, dass ich schön und schlank bin, dass meine Blutwerte stimmen. Und ich kann mich moralisch verhalten: Ich esse fair und bio – also bin ich gut. Hier kommt es gerne zur Übertreibung, wir sind zum Teil masslos moralisch. Aber diese Moral muss man sich leisten können. Diesem Umstand tragen die Initianten zu wenig Rechnung: Fair Food und Co. verteuern die Lebensmittel. Das ist unfair gegenüber jenen, die wenig haben.
Dann stimmt Bertolt Brechts Reihenfolge: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.
Jein. Wer nicht viel Geld hat und wer krank ist, darf zuerst zu sich selbst schauen. Aber wer es sich leisten kann, hat eine Verpflichtung, bei der Ernährung auch moralische Aspekte zu berücksichtigen. Doch dafür braucht es keine Verfassungsartikel.
Was ich esse, hat nicht nur Auswirkungen auf das Leben hier, sondern auch auf das Leben eines siebenjährigen Kindes an der Elfenbeinküste, das auf einer Kakaoplantage schuftet. Habe ich diesem Kind gegenüber eine moralische Verpflichtung, sein Leben zu verbessern?
Die haben Sie, sofern es innerhalb Ihrer Möglichkeiten liegt und Sie es sich leisten können. Aber auch hier kann die Fair-Food-Initiative einige Fragen nicht beantworten.
Nämlich?
Wenn Lebensmittel, die nicht nach Schweizer Standards hergestellt wurden, nicht mehr oder nur mit hohen Zöllen zugelassen werden: Dann könnte das für die Kleinbauern in den Produktionsländern verheerende Folgen haben. Sie können ihre Produkte nicht mehr in die Schweiz verkaufen, ihr Einkommen sinkt. Das heisst: Durch unsere Moral könnten wir dort Schaden anrichten.
Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, lädt zum Live-Talk über das Thema des Monats: Am 23. September stimmt die Schweiz darüber ab, was wir künftig essen. Zwei Ernährungsinitiativen wollen festlegen, wie unsere Nahrung produziert werden muss. Gleichzeitig wird heiss darüber debattiert, wie viel die Landwirtschaft kosten und was sie produzieren soll. Prominenter Gast im Studio ist Bastien Girod (37), Nationalrat der Grünen. Er unterstützt beide Initiativen und kämpft für möglichst ökologisch produzierte Nahrungsmittel. Der BLICK-Talk findet am Montag, 17. September, um 20 Uhr im Ringier-Pressehaus in Zürich statt.
Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, lädt zum Live-Talk über das Thema des Monats: Am 23. September stimmt die Schweiz darüber ab, was wir künftig essen. Zwei Ernährungsinitiativen wollen festlegen, wie unsere Nahrung produziert werden muss. Gleichzeitig wird heiss darüber debattiert, wie viel die Landwirtschaft kosten und was sie produzieren soll. Prominenter Gast im Studio ist Bastien Girod (37), Nationalrat der Grünen. Er unterstützt beide Initiativen und kämpft für möglichst ökologisch produzierte Nahrungsmittel. Der BLICK-Talk findet am Montag, 17. September, um 20 Uhr im Ringier-Pressehaus in Zürich statt.