Es war eine Eskalation mit Ansage. Am Donnerstagabend versammelten sich Tausende Corona-Skeptiker auf dem Bundesplatz in Bern. Einige rüttelten an den Absperrungen, warfen Bierdosen und Holzlatten Richtung Bundeshaus, Feuerwerk knallte durch die Nacht.
Die Polizei setzte Tränengas, Gummischrot und Wasserwerfer ein. Noch während die Krawalle liefen, schrieb der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause auf Twitter: «Polizei verhindert möglichen Sturm aufs Bundeshaus.»
Ob die Lage tatsächlich so dramatisch war, ob tatsächlich ein Sturm auf das Bundeshaus drohte, ist fraglich. Klar hingegen ist: Der radikale Kern der Corona-Skeptiker träumt genau davon schon seit Monaten. Sie wollen ins Zentrum der Macht.
Trumpisten als Vorbild
Als Vorbild dient ihnen der Sturm aufs Capitol in Washington. Im Januar waren militante Trump-Fans mit Gewalt ins US-Parlament eingedrungen. Wenige Wochen später gründeten Schweizer Massnahmen-Gegner auf dem Messengerdienst Telegram eine Gruppe mit dem Namen «Der Sturm».
In der kürzlich abgeschalteten Gruppe versammelten sich Rechtsextreme, QAnon-Fanatiker, aber auch Esoterikerinnen und Impfskeptiker. Gemeinsam war ihnen der Hass auf die Corona-Massnahmen des Bundes. Im Chat tauschten sie Verschwörungstheorien aus und hetzten gegen Menschen, die vor dem Virus warnen: Virologinnen, Journalisten, Politiker.
Der Gründer und Administrator der Gruppe, der unter dem Pseudonym «Morpheus» agiert, stellte gleich zu Beginn klar: «Die Zeit der friedlichen Veranstaltungen ist vorbei! Wir müssen uns organisieren für wahren Widerstand. Sieg oder Tod.»
Der Name der Telegram-Gruppe sollte zum Programm werden. «Wenn wir eine grosse Gruppe sind, können wir stürmen», schrieb eine Userin. Ein Mann, der als Profilbild den Pazifisten Mahatma Gandhi zeigt, doppelte nach: «Bundeshaus besetzen und die Bundesfutzis an einen Stuhl fixieren und kleine kurze Schmerztherapie, das Ganze auf Video und ausstrahlen in der Schweiz.»
Massnahmen-Gegner radikalisieren sich
Gewaltbereite Mitglieder des Chats wollten vorbereitet sein. In einer Zürcher Agglo-Gemeinde traf sich eine Gruppe zu Kampftrainings. A. H.*, ein rechter Prepper, der sich auf einen Bürgerkrieg vorbereitet, schrieb: «Wir treffen uns jeden Samstag zur selben Uhrzeit, um uns vorzubereiten. Wir trainieren Streetfight» – Strassenkampf.
Wie gezielt der Angriff auf das Bundeshaus am Donnerstag war, ist unklar. Laut Reto Nause hatten die Massnahmen-Gegner Werkzeug dabei, mit dem sie die Schrauben des Sicherheitszauns lösten. Die Corona-Skeptiker wiederum geben der Polizei die Schuld für die Eskalation. Diese habe Tränengas in die friedliche Menge auf dem Bundesplatz geschossen. Erst dann sei die Situation aus dem Ruder gelaufen.
Fakt ist: Ein Teil der Massnahmen-Gegner radikalisiert sich seit Monaten. Mit der Einführung der Zertifikatspflicht in der Schweiz hat diese Entwicklung nochmals deutlich an Fahrt gewonnen. Die Zahl der Gewaltaufrufe in den Kanälen der Skeptiker-Bewegung ist sprunghaft angestiegen.
In den letzten Wochen mobilisierte die Szene zunehmend auf dem Bundesplatz. Sie wollten dort protestieren, wo jene Massnahmen beschlossen wurden, die sie so wütend machten. Und sie zielten vermehrt auf Politikerinnen und Politiker. «Berset der Massenmörder gehört weder ins Bundeshaus noch zu SRF. Ein Podest mit einem Strick und Falltür wartet auf ihn», schrieb ein anonymer User vor wenigen Tagen in einem Telegram-Chat der Skeptiker-Szene.
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Sprecher Florian Näf: «Den Aufrufen zur Gewalt im Internet können Taten folgen.» Man beobachte die Situation sehr genau. Die Ereignisse vom Donnerstagabend vor dem Bundeshaus würden nun in die Analysen zur Bedrohungslage einfliessen.
* Name bekannt