Nett formuliert könnte man es so sagen: Bei der «Weltwoche» arbeiten erfahrene Journalisten, die immer wieder mit Scoops auftrumpfen. Prominentes Beispiel ist die Erpressungsaffäre um Bundespräsident Alain Berset (50), die unlängst von Christoph Mörgeli (62) aufgedeckt wurde.
Man könnte aber auch auf Chefredaktor und Herausgeber Roger Köppel (57) hinweisen, der sich mit immer schrilleren Tabubrüchen in Szene setzt.
Der Zürcher Journalist, der diese Woche ankündigte, im Herbst seine Karriere als SVP-Nationalrat nach acht Jahren zu beenden, ist ein Pionier des Anti-Mainstreams, der reflexartigen Gegenmeinung zwecks Steigerung der Aufmerksamkeit. Aus dieser Praxis ist seit der Covid-Pandemie mehr geworden als eine journalistische Attitüde: Sie ist mittlerweile ein Businessmodell.
Eine Million Zuschauer
Während des Lockdowns wurde Köppels Onlineausgabe zum medialen Anschlagbrett für Massnahmengegner, denen sonst bloss dubiose Telegram-Chats offenstanden.
Und wachsende Leserschaft bedeutet wachsende Umsätze. Also trieb der Zampano seine Internetstrategie weiter voran und holte mit Peter Wälty (56) den Digitalcrack der Branche an Bord, der zuvor für die Verlage Tamedia und Ringier Onlineprojekte aufgebaut hatte.
Zum ersten Jahrestag des neuen Web-Auftritts im Dezember überboten sich Wälty und sein Team mit Superlativen: Zunahme der Digital-Abos um 60 Prozent, 800'000 Aufrufe der Website und der App! Auf Anfrage verweist er auf die Videos, die pro Monat über eine Million Zuschauer hätten: «Da spielen wir in der obersten Liga.» Ein nicht unwesentlicher Teil schaltet sich aus dem Ausland zu – intern schätzt man den Anteil auf mindestens zwanzig Prozent.
Köppel selbst strahlt unter dem Label «Weltwoche daily» jeden Morgen eine Art Stegreif-Predigt aus, eine Tour d’horizon täglicher Befindlichkeiten von Wokeness bis Weltkrieg. Mit diesem Format kann er sich vom Meinungsdurchfall auf Twitter abheben, wo sich das journalistische Fussvolk tummelt.
Schüsse aus der Hüfte
Am 24. Februar 2022, als Putins Armee die Ukraine überfiel, kam ein wichtiger Faktor hinzu: An die Stelle der Impfgegner trat eine Klientel, die Putins Schuld relativiert und gegen Rüstungshilfe für Kiew eintritt.
Köppel sprang frohgemut ins Kreml-freundliche Fahrwasser. Im ersten Kriegsmonat März drehten sich zwei Drittel der Online-Inhalte um dieses Thema. Letzten Februar wurden mehr als 160 Beiträge zum Krieg online geschaltet, was mehr als einem Drittel des gesamten Contents entspricht. Als zunehmend wichtiger entpuppte sich das Publikum ausserhalb der Schweiz, wozu sich das Thema Ukraine-Krieg bestens eignet.
Die publizistischen Schüsse aus der Hüfte muten teilweise skurril an. Wenn der Ukraine ein Engpass beim Munitionsnachschub droht, macht man sich über die Männer lustig, die an der Front ihr Land gegen den Aggressor verteidigen müssen. «Die Ukrainer ballern herum, als ob es kein Morgen gäbe», schrieb ein «Weltwoche»-Mann von der sicheren Schweizer Stube aus.
Wer in diesem Teich fischt, kann gut davon leben. Andere haben es vorgemacht, so etwa der Basler «Friedensforscher» Daniele Ganser (50), der mit Büchern und Vorträgen Millionen umsetzt. Köppel verlegte seine Redaktion inzwischen vom Zürcher Kreis 5 in eine Jugendstilvilla in Zollikon ZH.
Dass er sich aus dem schwerfälligen Bundesparlament zurückziehen und seine Kräfte nun ausschliesslich der Expansion seines Geschäfts im In- und Ausland widmen will, ist da nur folgerichtig.