Der Umgangston unter Politikern ist in den letzten Jahren ruppiger geworden. Im Nationalratssaal, auf Podien und in Abstimmungskämpfen geben sich die Volksvertreter Saures.
Einzige Ausnahme waren bisher die parlamentarischen Kommissionen. Hier werden Geschäfte für die Parlamentsdebatten vorbereitet. Hier suchen die Experten der verschiedenen Parteien gemeinsam nach Kompromissen. In politischer Knochenarbeit wird zwar hart um jedes Detail eines Gesetzes gefeilscht. Weil aber die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist, streifen die Politiker ihre Ideologie ein wenig ab. Es geht vor allem um die Sache. Meist ist der Umgangston freundlich.
Einmaliger Eklat im Bundeshaus
Nicht so diesen Donnerstag. Da kommt es ganz am Ende der stundenlangen Sitzung der Rechtskommission des Nationalrats zum Eklat, wie ihn Bundesbern noch nie erlebt hat. SVP-Politiker Hans-Ueli Vogt (48, ZH) wird so heftig attackiert, dass er mit Tränen in den Augen das Kommissionszimmer verlässt – und nicht mehr zurückkehrt.
BDP-Nationalrat Bernhard Guhl (45, AG) hat den Vorfall miterlebt. Er ist schockiert: «Einen derart beleidigenden, herablassenden und entwürdigenden Angriff auf eine Person habe ich in meiner bald siebenjährigen Kommissionsarbeit im Bundeshaus noch nie erlebt», sagt er zu BLICK. «Ich dachte, ich sitze im falschen Film! So geht man nicht miteinander um!» Andere Parlamentarier, die namentlich nicht genannt werden wollen, sprechen von «tumultartigen Szenen» und «rumänischen Verhältnissen».
Kritik an Rolle von SVP-Vogt
Was ist passiert? Die Rechtskommission berät zum letzten Mal die Aktienrechtsrevision. Als diese inhaltlich in trockenen Tüchern ist, geht es noch darum, den Kommissionssprecher zu bestimmen. Dieser vertritt die Meinung der Kommission im Parlament und ist in der Regel rasch gefunden.
CVP-Nationalrat Karl Vogler (62, OW) schlägt SVP-Vogt vor. Weil dieser sich sehr vertieft mit der Materie auseinandergesetzt und diverse Anträge durchgebracht hat – es sollen über hundert gewesen sein. Vogt befindet sich aber in einer speziellen Rolle: Er unterstützt das Gesetz als Ganzes, seine Parteikollegen lehnen es ab.
Diese Sonderrolle innerhalb der SVP war gemäss übereinstimmenden Berichten von Anwesenden der Grund dafür, wieso SP-Vertreter Vogt als Kommissionssprecher verhindern wollten – und das auch lautstark kundtaten.
Die Beleidiger aus der SP
Vogt wird dennoch gewählt, allerdings sehr knapp. Deshalb ergreift er nochmals das Wort. Er will wissen, was konkret die Gründe für den Widerstand gegen ihn seien. Da greifen die beiden SP-Schwergewichte Corrado Pardini (52, BE) und Susanne Leutenegger Oberholzer (70, BL) den SVP-Professor gemäss mehrerer Quellen mit scharfem Geschütz an!
Er könne nicht glaubwürdig die Mehrheit der Kommission vertreten, wenn die SVP als seine Partei das Gesetz bekämpfe. Sie befürchten, dass Vogt nicht standhaft genug sei, um das Geschäft als Kommissionssprecher zu vertreten. Er werde deshalb Propaganda für die SVP machen, wirft ihm das SP-Duo an den Kopf – mit beleidigender Wortwahl. Besonders Pardini soll ausser sich gewesen und ausfällig geworden sein, bestätigen selbst SPler.
SVP-Rickli, die Heckenschützin
Kritik an Vogts angestrebter Rolle kommt aber auch aus den SVP-Reihen. So soll Natalie Rickli (41, ZH) ihren Parteikollegen angegriffen haben, weil er als Kommissionssprecher ein Geschäft gegen die Meinung der Partei vertreten müsste.
Vogt bekommt von links und rechts eins aufs Dach. Zu viel für den feinfühligen Professor aus Zürich. Er verliert komplett die Fassung! Mit Tränen in den Augen verlässt er eiligst das Kommissionszimmer. Die Grüne Sibel Arslan (37, BS) folgt ihrem Ratskollegen und versucht ihn zu trösten. Mit mässigem Erfolg.
Die anderen Parlamentarier schauen der Szene ungläubig, verdutzt und sprachlos zu. Sie sind wie gelähmt. Auch Kommissionspräsident Pirmin Schwander (56, SVP) weiss nicht, wie ihm geschieht. Kurzerhand ernennt er Christa Markwalder (42, FDP) zur Kommissionssprecherin. Eine Abstimmung darüber findet nicht einmal mehr statt.
Ein Glas Honig zum Trost
Ganz vorbei ist das Drama damit noch nicht. So will Pardini den weinenden Vogt offenbar nochmals zur Rede stellen. Dieser lehnt ab, weshalb der SP-Gewerkschafter den SVP-Professor als «arrogant» abkanzelt.
Sowohl Pardini wie auch Leutenegger Oberholzer wollten sich auf BLICK-Anfrage nicht zum Vorfall äussern. Auch Vogt sagt dazu nur: «Kein Kommentar.» Rickli liess eine BLICK-Anfrage unbeantwortet.
Immerhin bleibt Vogt ein Trost: Hobby-Imker Guhl hat ihm ein Glas Honig aus seiner eigenen Imkerei geschickt. «Zur Aufmunterung und als Würdigung für seine aussergewöhnliche Grundlagenarbeit in diesem Dossier.»