Die Bundeshauptstadt und das Velo – es ist es eine Liebesgeschichte mit Drama, List und Intrigen. Zumindest nach dem Chaos im Berner Stadtparlament am Donnerstag zu urteilen. Denn was sich dort abspielte, steht einem Shakespeare-Stück auf zwei Räder in nichts nach!
Was war passiert? Das Berner Stadtparlament tagte ausnahmsweise nicht im Rathaus, sondern in Ostermundigen. Thema des Abends: die Finanzierung einer Velokampagne. Die Linke will mehr Geld fürs Fördern des Zweiradverkehrs. Sie musste einen Patzer von 2017 ausmerzen: Damals bewilligte der Stadtrat 350'000 Franken für eine dreijährige Velokampagne, aber nicht die ursprünglich von der Linken geforderten 750'000 Franken. Denn aus Versehen hatte die GFL/EVP-Fraktion einem Kürzungsantrag zugestimmt.
So weit, so gut, am Donnerstag sollte der Rest gesprochen werden. Doch es klappte nicht. Und dann entbrannte ein wüster Streit. In Ostermundigen mussten die Stimmen wie zu guten alten Zeiten von Hand gezählt werden. Und offenbar war die Stimme der Vizepräsidentin nicht gezählt worden – also liess der oberste Berner, BDP-Mann Philip Kohli (27), die Abstimmung wiederholen.
«Die Linke greift zu unfairen Mitteln»
«Doch plötzlich stürmten linke Parlamentarier von ihrer gemütlichen Rauchpause in den Saal», sagt Kohli. «Sie konnten es einfach nicht einsehen, dass sie verloren hatten. Also griffen sie zu unfairen Mitteln. Verlieren war keine Option.»
Bei der zweiten Abstimmung gab Kohli den Stichentscheid – gegen die Vorlage. «Doch plötzlich konnten die linken Stimmenzähler sich nicht mehr erinnern, wen sie jetzt gezählt haben oder nicht. Das stinkt doch zum Himmel», enerviert er sich.
Das meint auch SVP-Mann Erich Hess (38). Der Berner, der als einziger Schweizer in gleich drei Parlamenten sitzt, schrie von seiner hintersten Reihe aus nach vorn und verlangte eine erneute Auszählung. Und machte dann, als diese abermals scheiterte, einen Ordnungsantrag auf Verschiebung.
«Ich habe ja schon viel erlebt in den drei Parlamenten, in denen ich sitze. Aber solche Szenen?! Wenn es nicht so eine ernste Angelegenheit wäre, könnte ich nicht mehr aufhören zu lachen», so Erich Hess. «Wenn es ums Velo geht, verlieren meine lieben Berner Parlamentskollegen offenbar die Nerven. Da kann man nicht mal mehr Stimmen auszählen.»
Man sei in der Bundesstadt «offenbar unfähig für die direkte Demokratie», so Hess. «Wenn man nicht mal fähig ist, Stimmen von Hand richtig auszuzählen, ohne dass es ein Gstürm gibt, spricht das nicht gerade für Standfestigkeit.» Hess plädiert darum dafür, dass man künftig auch bei externen Parlamentsdebatten eine elektronische Stimmenzählung organisiert. «In Bern zählt wohl besser der Computer die Stimmen.»
«In jedem Kindergarten geht es besser zu und her»
Das käme auch BDP-Mann Kohli gelegen: «Denn jetzt sucht man einen Sündenbock für das Debakel. Und das bin halt ich», sagt er. «In jedem Kindergarten geht es besser zu und her. Aber wenn es ums Velo geht, wird es derart emotional – da kannst du nicht mehr mit den Leuten reden. Wir machen uns vor der ganzen Schweiz lächerlich wegen unserer ‹geliebten› Velöli.»
Er fahre ja auch gern Velo, sagt Kohli. «Aber in Bern ist es eine Religion. Und da hat sich gestern ein regelrechter Religionsstreit entladen.» Er will jetzt versuchen, die Sache «mit klaren Verstand und beruhigtem Gemüt» zur Abstimmung zu bringen. «Wir haben nächste Woche einen Parlamentsausflug nach Burgdorf. Ich hoffe, dass wir dort bei Burgdorfer Bier wieder die Nerven finden, die gestern verloren gingen.» Er werde das Velo-Geschäft nämlich erst wieder traktandieren, «wenn sich meine Kollegen auf unsere Grundwerte besinnt haben».
«Ich bin es ja gewohnt zu verlieren – im rot-grünen Bern», sagt Hess. Aber wenn die Linke da einmal Zweiter macht, sei das Chaos perfekt. «Ich gebe gerne Nachhilfe im guten Verlieren», scherzt er.
SP-Chefin schiebt schwarzen Peter weiter
Und was sagt die angegriffene Linke zum Vorwurf, ein schlechter Verlierer zu sein – und zu unfairen Mitteln gegriffen zu haben? «Das weise ich vehement zurück», so SP-Fraktionspräsidentin Marieke Kruit (50). «Die Situation war unübersichtlich, die Stimmenzählenden verwirrt und sie haben falsch gezählt. Das bestreitet niemand!»
Die SP-Fraktionschefin geht zum Gegenangriff über: «Der Ursprung des Problems ist, dass die Sitzung einfach ungenügend vorbereitet war! Zudem wäre es besser gewesen, kontroverse Themen im gewohnten Rahmen – also im Rathaus – zu beraten, um eine seriöse Debatte und Abstimmung sicherzustellen.»
In einer Sache ist sie sich mit BDP-Parlamentspräsident Philip Kohli einig: «Dieses Velo-Abstimmungsdebakel ist echt peinlich und darf nicht noch einmal vorkommen!»