Eisenbahn-Gewerkschafter nach Lohnsieg vor Gericht
«Davon profitieren auch andere Branchen»

Schweizer Löhne müssen auch für Lokführer gelten, befindet das Bundesverwaltungsgericht. Damit pfeift es das Bundesamt für Verkehr zurück. Eisenbahn-Gewerkschafts-Boss Giorgio Tuti (51) zeigt sich im Interview zufrieden.
Publiziert: 22.12.2015 um 10:41 Uhr
|
Aktualisiert: 09.10.2018 um 15:54 Uhr
SEV-Präsident Giorgio Tuti ist zufrieden.
Interview: Matthias Halbeis

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden: Bei der Berechnung, was in der Schweiz branchenübliche Lokführer-Löhne sind, dürfen nur die Löhne der Schweizer Firmen beigezogen werden. Das ist ein Sieg für die Gewerkschaft des Verkehrspersonals.

Der SEV hatte nämlich die Firma Crossrail beim Bundesamt für Verkehr wegen Lohndumping eingeklagt. Dieses hatte Crossrail Recht gegeben und wurde nun vom Bundesverwaltungsgericht zurückgepfiffen.

Herr Tuti, Sie und die Verkehrsgewerkschaft SEV haben einen Entscheid des BAV in Sachen Löhne des Lokpersonal bis vor Bundesverwaltungsgericht gebracht. Warum?

Wir standen als Gewerkschaft seit Frühling 2014 in einem anhaltenden Kampf gegen Löhne, die Crossrail ihren Lokführern in Brig bezahlen will. Aus unserer Sicht liegt Lohndumping vor, wenn diese mit rund 3600 Franken im Monat gegen 2000 Franken unter den Löhnen liegen, die die Schweizer Güterbahnen SBB Cargo, SBB Cargo International und BLS Cargo bezahlen. Für den SEV war von Anfang an klar, dass die Politik von Crossrail das Eisenbahngesetz verletzt. Dieses schreibt zwingend vor, dass für den Netzzugang auf dem Schweizer Schienennetz branchenübliche Arbeitsbedingungen erforderlich sind.

Versammlung in Domodossola der italienischen Crossrail-Lokführer organisiert durch den SEV, April 2014. (Françoise Gehring)

Sie wurden zuerst beim Bundesamt für Verkehr BAV vorstellig. Doch es war anderer Meinung. Waren Sie überrascht?
Weil Crossrail nicht einlenken wollte, blieb uns nichts anderes übrig, als die Firma beim BAV einzuklagen. Wir verlangten, dass Crossrail die Netzzugangsbewilligung zu entziehen sei, wenn die Firma nicht branchenübliche Löhne bezahle. Das BAV liess sich mit dem Entscheid Zeit, holte eine Expertise ein und kam dann zum abenteuerlichen Schluss, dass für die Bestimmung der branchenüblichen Löhne im grenzüberschreitenden Güterverkehr auch die – massiv tieferen – ausländischen Löhne einzubeziehen seien. Doch, ich kann schon sagen, dass wir uns die Augen rieben.

Jetzt hat das Bundesverwaltungsgericht zu Ihren Gunsten entschieden. Zufrieden?
Selbstverständlich sind wir über den Entscheid des Bundesverwaltungsgericht erfreut, schliesslich hat es unsere Position geschützt: Für Lokomotivführer, die ihren Arbeitsort in der Schweiz haben, müssen Löhne bezahlt werden, die in der Schweiz üblich sind. Das Urteil ist aber auch wegweisend für die Frage der Schweizer Löhne im grossen Zusammenhang mit unseren Beziehungen mit der Europäischen Union. Das Urteil versetzt das Bundesamt für Verkehr ins Unrecht, das Crossrail zugestehen wollte, dass auch ausländische Löhne zugelassen sind, wenn es darum geht, zu beurteilen, ob ein Lohn in der Schweiz branchenüblich ist.

Was sind nun die nächsten Schritt, die sich aus dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts ergeben?
Das Urteil verlangt vom Bundesamt für Verkehr eine neue Festlegung, was Branchenüblichkeit bei den Güterverkehrs-Lokführern ist und hält klar fest – und ich zitiere hier gerne wörtlich aus dem Entscheid, dass die Beurteilung der Rechtslage ergibt, dass sich die Branchenüblichkeit im Sinne des Eisenbahngesetzes an den schweizerischen Verhältnissen orientiert. Weiter stellten die Richter in St. Gallen ergänzend fest, dass die Auffassung des Bundesamtes für Verkehr BAV, die Arbeitsbedingungen definierten sich nach allen schweizerischen und europäischen Eisenbahnunternehmen, die grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr anbieten, nicht gefolgt werden kann.

Was bedeutet das im Fall Crossrail?
Massgebend für die Frage, ob Crossrail die Arbeitsbedingungen der Branche einhält oder nicht, sind laut Bundesverwaltungsgericht somit ausschliesslich die Verhältnisse bei den schweizerischen Bahnen. Es ist zwar zulässig, den inländischen und den grenzüberschreitenden Güterverkehr als zwei unterschiedliche Branchen zu bezeichnen, aber die Branchenüblichkeit habe sich in beiden Fällen nach den in der Schweiz bezahlten Löhnen zu richten. Der Fall ist für uns klar: Das BAV muss sich an den bestehenden Gesamtarbeitsverträgen orientieren und entsprechend branchenübliche Löhne festlegen. So war das BAV im übrigen auch vorgegangen, als es die gleiche Frage für Buschauffeure klärte.

In einer ersten Reaktion gehen Sie weiter, wenn es um die Bedeutung des Urteils geht. Sie sagen, es nützt nicht nur dem Bahnpersonal. Warum?
Seit überhaupt von Liberalisierung bei den Bahnen in Europa gesprochen wird, heisst unser Grundsatz «Schweizer Löhne auf Schweizer Schienen», und das hat das Bundesverwaltungsgericht nun bestätigt. Im grösseren politischen Zusammenhang sehe ich das Urteil in einer klaren Linie mit den flankierenden Massnahmen. Diese wollen ja die Schweizer Arbeitsbedingungen schützen, wenn sie aufgrund der bilateralen Verträge mit der Europäischen Union unter Druck kommen könnten. Das hat im übrigen das Gericht in den Erläuterungen ausdrücklich feststellt. Aus meiner Sicht ist das ein wegweisendes Urteil, das das Anrecht der Schweiz auf eine eigenständige Lohnpolitik festigt. Und davon profitiert nicht nur das Bahnpersonal, sondern auch unzählige andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in anderen Branchen.

Das sagt das Bundesamt

Die Verkehrsgewerkschaft SEV hat beim Bundesverwaltungsgericht den Entscheid des Bundesamtes für Verkehr BAV in Sachen Branchenüblichkeit bei Lokführer-Löhnen erfolgreich angefochten. Beim BAV sagt Sprecherin Olivia Ebinger zum Urteil in Sachen Crossrail: «Wir sind daran, die Unterlagen zu analysieren. Erst danach werden wir entscheiden, was unsere nächsten Schritte sind.» Ähnlich reagiert man beim Bahnunternehmen, das mit der Anstellung von italienischen Lokführern in Brig die Diskussion ins Rollen gebracht hat. Ein Sprecher sagt: «Crossrail hält sich immer an das geltende Recht und das Unternehmen wird den Entscheid nun prüfen.» Crossrail hatte sich immer auf den Standpunkt gestellt, dass die italienischen Lokführer von Brig aus Güterzüge in Italien führten und somit gar keinen Bezug zu den Anstellungsbedingungen der Lokführern in der Schweiz hätten. (hlm)

Die Verkehrsgewerkschaft SEV hat beim Bundesverwaltungsgericht den Entscheid des Bundesamtes für Verkehr BAV in Sachen Branchenüblichkeit bei Lokführer-Löhnen erfolgreich angefochten. Beim BAV sagt Sprecherin Olivia Ebinger zum Urteil in Sachen Crossrail: «Wir sind daran, die Unterlagen zu analysieren. Erst danach werden wir entscheiden, was unsere nächsten Schritte sind.» Ähnlich reagiert man beim Bahnunternehmen, das mit der Anstellung von italienischen Lokführern in Brig die Diskussion ins Rollen gebracht hat. Ein Sprecher sagt: «Crossrail hält sich immer an das geltende Recht und das Unternehmen wird den Entscheid nun prüfen.» Crossrail hatte sich immer auf den Standpunkt gestellt, dass die italienischen Lokführer von Brig aus Güterzüge in Italien führten und somit gar keinen Bezug zu den Anstellungsbedingungen der Lokführern in der Schweiz hätten. (hlm)

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?