«Mich hätte es zerrissen», sagt Karin Keller-Sutter im BLICK-Talk. «Ich musste und wollte mich zu 100 Prozent für mein Amt einsetzen. Ich hätte immer ein schlechtes Gewissen gehabt.» Die neue Bundesrätin der FDP spricht darüber, warum ihre Karriere mit Kindern nicht möglich gewesen wäre.
Die neue CVP-Bundesrätin Viola Amherd sagt: «Wenn ich Kinder gehabt hätte, wäre meine Karriere wohl nicht so verlaufen.»
Und auch die gescheiterte CVP-Kandidatin Heidi Z’graggen sagte im Talk: «Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen, ist ein unglaublicher Druck.» Sie habe sich mit 25 Jahren überlegt, ob sie den Schwerpunkt auf eine Familie oder den Beruf setzen wolle. «Für mich war klar: entweder oder.»
Drei Aussagen von Frauen, die es ganz nach oben geschafft haben. Drei Aussagen, die uns zu denken geben müssen. Die zeigen: Trotz aller Initiativen zu Chancengleichheit, Frauenförderung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ist es viel zu oft immer noch ein Entweder-oder.
Dabei ist es möglich: Familie, Karriere und Spass zu haben. Meine Kinder sind fünf, acht und neun Jahre alt. Möglich machen es mein Mann, meine Eltern und eine Teilzeit-Nanny.
Die grösste Hürde für Frauen ist nicht, ein paar Stufen auf der Karriereleiter nach oben zu klettern. Die grösste Hürde ist es, dort zu bleiben und weiter aufzusteigen, wenn sie Kinder bekommen haben.
Hier liegt der Schlüssel, um endlich mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen.
Was muss sich ändern?
1. Wir brauchen Ehrlichkeit! Frauen übernehmen, auch wenn sie arbeiten, einen Grossteil der Arbeit im Haushalt. An manchen Tagen fühle ich mich auf dem Weg ins Büro, als hätte ich einen Sitzungsmarathon hinter mir. Frühstück machen, aufräumen, Znüni einpacken, Schwimm- und Turnsachen bereitlegen, Streit schlichten, Tränen trocknen. Das Gleiche am Abend: Auf die Frau wartet meist kein warmes Essen, sie muss es selbst kochen – und dafür auch einkaufen. Das ist keine Klage! Wer wie ich Kinder und Job liebt, macht beides gerne. Aber diese Realität ist männlichen Chefs in der Regel fremd. Wichtig ist, dass sie sich dessen bewusst sind. Und sich davon nicht abschrecken lassen, sondern Frauen Leitungsaufgaben zutrauen und übertragen.
2. Wir brauchen Flexibilität! Teilzeit und Jobsharing sind schön und gut. Aber oft führt es dazu, dass Frauen in Teilzeitpensen 100 Prozent arbeiten und 80 Prozent bezahlt werden. Dabei zeigen Studien: Mütter sind im Job effizienter. Sie machen ihre Arbeit, auch wenn sie nicht 20 Stunden am Tag im Büro sind. Beim Präsenzwettbewerb, den viele Männer zelebrieren, können Mütter nicht mithalten. Natürlich ist es wichtig, präsent zu sein. Aber noch wichtiger ist es, dass die Arbeit gut gemacht ist, egal wann genau und von wo aus.
3. Wir brauchen Vorbilder! Lange galt es als unerhört, Frauen in Führungspositionen zu fragen, wie sie sich mit den Kindern organisieren. Warum? Genau diese Informationen sind unendlich wertvoll für andere Frauen. Wie organisieren sie sich? Ist der Mann daheim? Gehen ihre Kinder in eine Krippe? Wir reden hier nicht von den wenigen Top-Frauen, die sich locker eine Vollzeit-Nanny leisten können. Sondern von allen anderen, die ihren Aufstieg gerade beginnen. Nur wenn Frauen darüber reden, können sich andere Frauen damit auseinandersetzen und sehen, welche Wege erfolgreiche Frauen gewählt haben.
4. Weg mit dem schlechten Gewissen! Keine Französin würde sagen, sie fühle sich ständig schuldig. Aber unsere Gesellschaft kultiviert das schlechte Gewissen als etwas, das ganz selbstverständlich zum Muttersein dazugehört, wenn man arbeitet. Doch es bringt nichts Gutes, weder für die Kinder noch für die Frau. Schauen wir also nach Frankreich, wo das schlechte Gewissen kein Thema ist – und hören wir auf mit der Selbstgeisselung.
Bald haben wir das Jahr 2019. Wir brauchen mehr Eisbrecher-Frauen. Frauen, die vorleben, dass es geht. Die darüber reden, wie es geht. Und die anderen Frauen Mut machen, ihren eigenen Weg zu finden.
Heute ist Tag der Frauen im Bundeshaus. Das müssen wir feiern. Danach kommen die Tage zum Verändern! Denn dann können die neuen Bundesrätinnen helfen, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit es für Frauen heute nicht mehr entweder Kinder oder Karriere heisst.
#aufbruch #timesup #eisbrecher