Lesbische und schwule Paare müssen sich weiter gedulden. Der Nationalrat hat den Entscheid zur «Ehe für alle» heute Mittag überraschend vertagt. Zur grossen Enttäuschung und zum Ärger all derjenigen, die seit Jahren auf die gleichgeschlechtliche Ehe hoffen.
Grund dafür ist schlechte Planung. Das Programm des Nationalrats war am Vormittag viel zu voll. Es blieb letztlich weniger als eine Stunde, die «Ehe für alle» zu debattieren, die das Ratsbüro unter Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (49, FDP) weit hinten auf die Traktandenliste gesetzt hatte. Doch das reichte bei Weitem nicht. Die Parlamentarier wurden nicht einmal mit der ganz grundsätzlichen Diskussion über die Vorlage fertig. Vom Feilschen über die – wichtigen – Details ganz zu schweigen.
Corona-Debatte war im Weg
Zuerst war unklar, weshalb die Diskussion nicht einfach nach der Mittagspause fortgeführt wird. Nationalratspräsidentin Moret teilte auf Nachfrage von BLICK schliesslich mit, dass die Corona-Nachtragskredite schuld sind. Diese müssten unbedingt noch am Nachmittag abgesegnet werden, weil sich morgen der Ständerat über das Budget beugt. Die «Ehe für alle» muss warten.
Das Ratsbüro des Nationalrats muss nun schauen, ob sich noch etwas Zeit für eine Fortsetzung der Debatte freischaufeln lässt. Moret verspricht: «Wir tun alles, damit das Geschäft noch in dieser Session abgeschlossen werden kann.»
«Wir werden nicht müde»
SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (30) reisst langsam, aber sicher der Geduldsfaden. «Einmal mehr wird die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren vom Parlament verzögert – obwohl die Bevölkerung diese schon längst fordert», regt sie sich auf. «Wir reden hier über die rechtliche Gleichstellung von Hunderttausenden Menschen in der Schweiz. Damit können wir nicht noch weiter zuwarten!»
Auch Kathrin Bertschy (40), Nationalrätin der Grünliberalen, bedauert die erneute Verschiebung. Sie hatte vor über sechs Jahren mit einer parlamentarischen Initiative den Stein ins Rollen gebracht. Diese dümpelte lange in den Kommissionen vor sich hin. In der vergangenen Session hätte die Vorlage schliesslich vor den Rat kommen sollen – doch die Corona-Krise machte den Befürworterinnen und Befürwortern einen Strich durch die Rechnung. Und nun müssen sie sich wieder gedulden. «Ich bin schon geübt im Warten», sagt Bertschy. «Aber wir werden auf den letzten Metern nicht müde.»
Der Dachverband der Regenbogenfamilien, der sich für die Interessen lesbischer und schwuler Paare mit Kindern einsetzt, zeigt sich ebenso kämpferisch. Präsidentin Maria von Känel (49) hoffte, dass der Nationalrat heute nicht nur Ja zur «Ehe für alle» sagen würde, sondern auch lesbischen Paaren den Zugang zur Samenspende ermöglicht. Man sei zwar enttäuscht, nun erneut warten zu müssen, sagt sie. «Wir sind aber begeistert von den vielen positiven Wortmeldungen im Nationalrat, die zeigen, dass wir nicht nur von FDP, Grünliberalen, SP und Grünen solide unterstützt werden, sondern dass auch die CVP für unsere Anliegen offener wird und den Familienbegriff weiter fasst.»
EDU kündigt Referendum an
Gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hat sich von den Bundeshausfraktionen nur die SVP ausgesprochen – wobei es zahlreiche Nationalrätinnen und Nationalräte gibt, die von der Parteimeinung abweichen. In der Mittefraktion gibt es nur vereinzelte Gegner. Umstrittener ist die Frage, ob auch die Samenspende erlaubt werden soll.
Grösste Gegnerin der «Ehe für alle» ist die christlich-konservative EDU. Sie hat bereits das Referendum gegen die geplanten Gesetzesänderungen beschlossen. Gelingt es ihr, die nötigen 50'000 Unterschriften zu sammeln, wird das Stimmvolk das letzte Wort haben.