I can’t breathe, skandieren die Menschen in den USA. Auch uns bleibt die Luft weg. Der Rassismus, der in Amerika immer wieder offen zutage tritt, dazu die brutal lächerlichen Tiraden des Präsidenten – das verschlägt jedem vernünftigen Zeitgenossen die Sprache.
Aber Rassismus ist keine amerikanische Besonderheit. Auf den Tag genau heute vor 50 Jahren, am 7. Juni 1970, stimmten 46 Prozent der Schweizer für die Schwarzenbach-Initiative. Das von James Schwarzenbach (1911–1994) lancierte Begehren verlangte eine drastische Senkung des Ausländeranteils und war unverhohlen rassistisch motiviert. Bis in die 1970er-Jahre las man vor Restaurants in der Deutschschweiz die Aufschrift: «Für Hunde und Italiener verboten».
Der amtliche Titel der Schwarzenbach-Vorlage lautete schlicht «Überfremdung». In den folgenden sieben Jahren gelangten zwei weitere Volksinitiativen zur Abstimmung, die den Kampf gegen die Überfremdung im Namen führten.
Die Schweiz ist das Land, in dem der Begriff «Überfremdung» überhaupt erst erfunden wurde. In deutschen Publikationen taucht das Wort Mitte der 1920er-Jahre auf, in der Schweiz ab 1900.
Alles klar also, sagt sich da vielleicht der eine oder die andere: Die Schweizer waren eben schon immer speziell kleinmütig und fremdenfeindlich. – Allerdings tritt, wer so denkt, seinerseits in die Vorurteilsfalle.
In Wahrheit ging das mit der Überfremdung in der Schweiz ein wenig anders. Als die Zahl der Ausländer vor dem Ersten Weltkrieg auf über 15 Prozent stieg – in den Städten Basel, Zürich, Schaffhausen und St. Gallen waren es über 30, in Arbon TG 46 Prozent –, wurde dies zwar als Problem wahrgenommen. Als Lösung jedoch propagierte man die Einbürgerung der Ausländer, namentlich der zweiten Generation. Im April 1912 forderte der Zürcher Stadtschreiber Rudolf Bollinger in seiner Funktion als Vorsitzender einer Expertenkommission des Bundes: «Um die drohende Überfremdung zu steuern, muss das Radikalmittel der obligatorischen Einbürgerung eingeführt werden.»
Mit dem Ersten Weltkrieg indes drehte der Wind. Nun erst bekam der Begriff «Überfremdung» allmählich jene rassistische Bedeutung, die wir da heute ganz selbstverständlich heraushören.
Die Geschichte zeigt: Nichts in dieser Welt ist festgefahren. So wie «Überfremdung» vom juristischen Terminus zum rassistischen Kampfbegriff verkam, so hat sich umgekehrt das Verhältnis zwischen der mehr oder minder alteingesessenen Bevölkerung und den Zuzügern aus Italien entspannt. Trotz Schwarzenbachs brutal lächerlichen Tiraden.
Rassismus ist kein Schicksal, sondern eine politisch-kulturelle Konstruktion. Solche geistige Knoten aber lassen sich lösen.
Der amerikanische Historiker George M. Fredrickson hat nachgezeichnet, wie die Spanier im 16. Jahrhundert den Rassismus gegen Schwarze etablierten. Sie taten dies, indem sie die Hautfarbe mit dem Sklavendasein verbanden. Es ist dieser Fluch der Sklaverei, der heute noch auf den Vereinigten Staaten lastet. Doch so lange dieser Fluch bereits währt – er ist lediglich eine politische Erfindung. Auch dieser geistige Knoten lässt sich lösen.
Dazu bräuchte es allerdings sehr viel guten Willen. Und einen US-Präsidenten, der mit entsprechendem Beispiel vorangeht.