Nun hat das Bundesratsfieber die Politschweiz doch noch erfasst: Wird am 11. Dezember Grünen-Chefin Regula Rytz anstelle von Ignazio Cassis in die Landesregierung gewählt?
Die Blicke richten sich dabei in erster Linie auf die CVP und deren Präsidenten Gerhard Pfister. Die Christdemokraten haben es in der Hand, zusammen mit Grün-Rot eine neue Landesregierung zu formieren: einen Bundesrat mit drei Vertretern der Linken, drei Vertretern der Rechten – und CVP-Frau Viola Amherd als Zünglein an der Waage. Die «NZZ» zitierte diese Woche den Politwissenschaftler Michael Hermann mit dem Satz: «Gerhard Pfister könnte mit der Unterstützung eines grünen Bundesratssitzes Viola Amherd zur mächtigsten Frau in der Schweiz machen.»
Hinzu kommt: Die FDP, der Cassis angehört, hat der CVP nie etwas geschenkt. Die Rivalität des freisinnigen und des christdemokratischen Lagers reicht tief ins 19. Jahrhundert zurück. Sie prägt unseren Bundesrat bis heute. 2003 spannte der Freisinn mit der SVP zusammen und brachte die CVP um ihren zweiten Bundesratssitz. Vor einem Jahr versenkten FDP und SVP Viola Amherd im undankbaren Verteidigungsdepartement.
Ihrerseits war aber auch die CVP immer sehr kämpferisch. Dazu ebenfalls nur zwei Beispiele aus jüngerer Zeit: 2007 war die CVP massgeblich an der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat beteiligt; 2009 lancierte der damalige CVP-Fraktionschef Urs Schwaller eine Kampfkandidatur um den frei gewordenen Sitz von FDP-Bundesrat Pascal Couchepin. 24 Stimmen mehr, und Schwaller wäre Couchepin nachgefolgt, nicht Didier Burkhalter.
2019 sind Blocher-Abwahl und Schwaller-Kandidatur bloss historische Reminiszenzen. Die Bundeshausfraktion der CVP hat am Samstag beschlossen, dass sie den Grünen am 11. Dezember die Unterstützung versagen und Cassis die Stimme geben wird. Man kann dies positiv werten und sagen: 171 Jahre nach Gründung des Bundesstaates haben sich die Erzrivalen FDP und CVP ausgesöhnt. Und wenn CVP-Parlamentarier jetzt erklären, sie wollten keine amtierenden Bundesräte abwählen, so klingt das sehr staatstragend.
Aber hören wir hier nicht viel falsches Pathos? Jedenfalls ist es eine Tatsache, dass die CVP seit vier Jahrzehnten an der Urne eine Niederlage nach der anderen kassiert. Ihr Wähleranteil ist von 21,3 Prozent anno 1979 auf mittlerweile 11,4 Prozent geschrumpft. Die Partei wirkt erschöpft und ausgezehrt. Der CVP im Jahr 2019 fehlt jene Spannkraft, die sie einst zu einem wirklichen Machtfaktor und eigenständigen Gestalter der politischen Landschaft gemacht hat. Zwar klammert sich die CVP noch an ihren einen Bundesratssitz und damit an das Zipfelchen Macht, das ihr verblieben ist. Doch sie wagt nichts Neues mehr.
Dass die CVP am 11. Dezember mir nichts, dir nichts der FDP ihre Stimme gibt, ist weniger ein Bekenntnis zur Stabilität denn eine Bankrotterklärung.
Rytz oder Cassis? Alle Blicke richten sich auf die Christdemokraten. Doch was man da zu sehen bekommt, ist nur noch eine verängstigte Rest-CVP.