Economiesuisse-Präsident Karrer sieht keine Alternative zum Rahmenabkommen
«Das wäre schlimmer als der Frankenschock»

EU-Rahmenabkommen, CO2-Gesetz, AHV-Steuer-Deal und EU-Waffenrichtlinie – es sind gewichtige Dossiers, die Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer derzeit beschäftigen. Karrer warnt die Gewerkschaften davor, bei EU-Abkommen zu hoch zu pokern.
Publiziert: 17.03.2019 um 23:16 Uhr
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Aktualisiert: 21.03.2019 um 13:07 Uhr
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Der Klimaschutz bewegt die Jugend, wie hier an der Demo vom 15. März in Basel. «Die Jungen haben eine Debatte losgetreten, weil sie sich ernsthaft Sorgen um die Zukunft machen», sagt Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer dazu.
Foto: STEFAN BOHRER
Andrea Willimann und Ruedi Studer

Draussen regnet es in Strömen, als Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer (59) in Zürich BLICK zum Interview empfängt. Er wirkt gut gelaunt – trotz der gewichtigen Dossiers, welche die Wirtschaft derzeit beschäftigen.

BLICK: Herr Karrer, am Freitag haben Zehntausende Schüler für mehr Klimaschutz demonstriert. Was halten Sie davon?
Heinz Karrer:
Die Streiks zeigen, dass sich die Jungen für Politik interessieren. Das ist begrüssenswert. Die Jungen haben eine Debatte losgetreten, weil sie sich ernsthaft Sorgen um die Zukunft machen. Darauf muss sich die Wirtschaft einlassen.

Das sagen Sie jetzt angesichts des Hypes. In einem halben Jahr ist das wieder vergessen.
Der menschengemachte Klimawandel ist für uns eine unbestrittene Tatsache, und wir nehmen das Thema seit Jahren ernst. Deshalb steht die Schweizer Wirtschaft auch hinter internationalen Klimaabkommen. Sie hat den Tatbeweis erbracht und die bisherigen Reduktionsziele für 2020 bereits 2017 erreicht und übertroffen.

Trotzdem treten Sie beim neuen CO2-Gesetz auf die Bremse.
Das Ziel kann ja nicht einfach eine hohe schweizerische CO2-Steuer sein, sondern, dass global viel weniger CO2 ausgestossen wird. Dafür gibt es erwiesenermassen bessere Instrumente als noch höhere CO2-Abgaben in der Schweiz. Der internationale Emissionshandel mit verbindlicher CO2-Reduktion ist ein effizienter Weg – verbunden mit der Möglichkeit der Selbstverpflichtung der Unternehmen im Inland. Oder auch eine weltweite CO2-Abgabe wäre ein interessanter Ansatz.

Der Verkehr ist der grösste Treibhausgasverursacher und kommt bisher ungeschoren davon. Unterstützen Sie eine Klimaschutz-Abgabe auf Flugtickets?
Ein Alleingang der Schweiz macht keinen Sinn. Es braucht ein internationales Vorgehen, das bringt erstens mehr Wirkung, und zweitens benachteiligt es nicht den Schweizer Standort.

Mehr als die Klimastreiks bewegt Sie wohl das blockierte EU-Rahmenabkommen. Bekommt Aussenminister Ignazio Cassis dafür die Note «ungenügend» von Ihnen?
Bundesrat Cassis und seine Unterhändler haben gut verhandelt! Wir unterstützen den vorliegenden Text. Es braucht aber noch Klärungen in den Bereichen Unionsbürgerrichtlinie, staatliche Beihilfen und flankierende Massnahmen.

Dann soll der Bundesrat das Abkommen unterschreiben, wie die FDP das fordert?
Dafür ist es noch zu früh. Die Klärungen und Präzisierungen müssen noch vorgenommen werden. Der Bundesrat muss aber an seinem Fahrplan festhalten und noch vor den Sommerferien Klarheit schaffen.

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Nach Treffen mit Bundesrat:Das sagen die Parteien zum Rahmenabkommen

Selbst mit Präzisierungen liefern wir uns im Streitfall der EU aus.
Das werden wir erst sehen, wenn es einen konkreten Streitfall gibt. Ein gewisses Risiko ist immer damit verbunden – übrigens für beide Seiten. Die Wirtschaft hat aber keine bessere Option. Ohne neues Abkommen erodiert der bilaterale Weg und in anderen Bereichen – wie bei der Börsengleichbehandlung – werden wir von der EU gepiesackt.

Das EU-Abkommen hat nur eine Chance, wenn Sie Linke und Gewerkschaften mit im Boot haben. Wie schaffen Sie den Durchbruch?
Der Lohnschutz, wie auch die Sicherstellung des sozialpartnerschaftlichen Systems, ist einer der Klärungspunkte. Aber mögliche Instrumente für den Erhalt des Lohnschutzes liegen auf dem Tisch, auch wenn wir der EU bei der Acht-Tage-Regel oder der Kautionspflicht entgegenkommen. Wichtig ist auch für uns, dass der künftige Lohnschutz gleich hoch wie heute ist. Das ist mit dem Abkommen erreichbar.

SP-Nationalrat Fabian Molina sieht bei den Mindestlöhnen einen Lösungsansatz. Machen Sie da mit?
Es geht um das heutige Lohnschutzniveau. Deshalb soll die Lösung innerhalb des sozialpartnerschaftlichen Systems der heutigen flankierenden Massnahmen liegen – so wären beispielsweise gezielt intensivere Kontrollen eine prüfenswerte Option.

Das reicht den Gewerkschaften doch nicht.
Sie sollten nicht zu hoch pokern. Keine Lösung ist auch für die Gewerkschaften die schlechteste Alternative. Dann verliert der Arbeitsplatz Schweiz. Ich bin aber überzeugt: Wenn die Sozialpartner ernsthaft und konstruktiv miteinander diskutieren, werden sie eine Lösung finden. 

Fordern werden Sie auch die Abstimmungen vom 19. Mai. Zittern Sie eher um den AHV-Steuer-Deal oder das neue Waffenrecht und somit das Weiterbestehen des Schengen-Dublin-Vertrags?
Es sind beides sehr wichtige Vorlagen, und ich hoffe bei beiden, dass sie das Volk mit mindestens 50,1 Prozent Ja-Stimmen gutheisst.

Das neue Waffenrecht ist Ihnen gleich viel wert wie die Reform der Unternehmenssteuern und mehr Geld für die AHV?
Die Umsetzung der EU-Waffen-Richtlinie ist direkt mit dem bilateralen Schengen-Dublin-Vertrag verbunden. Dieser ist nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich von grösster Bedeutung. Denken wir nur an die Hürden für Schweizer Flugpassagiere, an die Auflagen bei den Grenzübertritten für Autos oder an die Einreise-Erschwernisse für ausländische Touristen. Und allein im Asylwesen sparen wird dadurch zwei Milliarden Franken. Es geht aber auch um den Zugang zur EU-Verbrecher- und Asyldatenbank, dem Schengener Informationssystem. Das ist entscheidend für die Sicherheit und damit auch für die Wirtschaft.

Beim AHV-Steuer-Deal haben Sie sich von der Linken austricksen lassen: Die SP bekommt die AHV-Zusatzfinanzierung und bekämpft die Steuer-Umsetzung auf kantonaler Ebene.
Wir haben aus der verlorenen Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform III viel gelernt. Vermisst wurde unter anderem die soziale Ausgewogenheit, die wir bei der neuen Vorlage nun haben. Es ist der bestmögliche Kompromiss. Deshalb unterstützen wir die Vorlage, und deshalb stellte sich die SP von Anfang an dahinter. Bis jetzt hat sie den Beweis erbracht.

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Sie glauben doch nicht, dass sich die SP auf kantonaler Ebene zurückhält?
Die Situation ist in jedem Kanton eine andere – und dies ist ein zusätzlicher Vorteil der AHV-Steuer-Vorlage. Jeder Kanton entscheidet selbst, welche Instrumente er davon nutzt. Bei einem Nein haben wir die Situation, dass der Steuerwettbewerb weiter angeheizt wird, indem die Normalsteuern stärker gesenkt werden müssten.

Das liberale Paradies mit Steuerwettbewerb ohne Ende!
(Lacht laut) Genau – dann machen wir alles noch viel komplizierter! Nein, im Ernst: In der Schweiz sind uns der gesellschaftliche Zusammenhalt und damit der soziale Frieden in der Gesellschaft sehr wichtig. Viele Unternehmen sind gerade deshalb in der Schweiz.

Beim Waffenrecht hält sich die Wirtschaft bisher sehr zurück.
Warten Sie ab: Wir starten demnächst unsere Kampagne. Wir werden aufzeigen, dass das neue Waffenrecht nur eine extrem abgeschwächte und für unser Land akzeptable Variante des EU-Waffenrechts ist. Es geht wirklich nur um kleinste, vertretbare Anpassungen.

Die Schützen sehen das anders. Sehen Sie bei einem Nein auch Spielraum für weitere Kompromisse mit der EU?
Diese müssten von allen europäischen Vertragspartnern innerhalb von 90 Tagen einstimmig gutgeheissen werden. Eine sehr hohe Hürde. Würden wir diese nicht schaffen, wäre das Schengen-Dublin-Abkommen automatisch dahin. Das wäre für die Wirtschaft schlimmer als der Frankenschock, weil ein Dauerzustand.

Und wie viel ist Economiesuisse das doppelte Ja wert? Ein zweistelliger Millionenbeitrag?
Wir kommunizieren unsere Ausgaben nicht, aber zweistellig ist auch bei diesen grossen Kampagnen einmal mehr zu hoch gegriffen. Entscheidend ist zudem das persönliche Engagement der Befürworter.

Vom Spitzensportler zum Spitzenfunktionär

Heinz Karrer hat eine vielfältige Berufskarriere. Bei der Schweizerischen Bankgesellschaft macht er eine KV-Lehre. Seine Tätigkeiten führten ihn etwa zu Intersport, Ringier, Swisscom und zum Energiekonzern Axpo. Seit 2013 präsidiert er den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.

Karrer ist nicht nur Spitzenfunktionär, er war auch mal Spitzensportler: Der Winterthurer begann mit 13 als Handballer bei Pfadi. Später wechselte er zu St. Otmar St. Gallen, mit dem er zweimal die Schweizer Meisterschaft gewann. Als Schweizer Nationalspieler nahm Karrer 1984 an den Olympischen Spielen in Los Angeles (USA) teil. Heute begeistert er sich für den Bergsport.

Karrer ist in zweiter Ehe verheiratet, Vater von drei erwachsenen Söhnen und lebt in Münsingen BE.

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Karrer ist nicht nur Spitzenfunktionär, er war auch mal Spitzensportler: Der Winterthurer begann mit 13 als Handballer bei Pfadi. Später wechselte er zu St. Otmar St. Gallen, mit dem er zweimal die Schweizer Meisterschaft gewann. Als Schweizer Nationalspieler nahm Karrer 1984 an den Olympischen Spielen in Los Angeles (USA) teil. Heute begeistert er sich für den Bergsport.

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