Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse ist gefordert: Er führt die Nein-Kampagne gegen die beiden Agrar-Initiativen an, drängt auf eine rasche Reform der Unternehmensbesteuerung und hofft auf ein baldiges EU-Rahmenabkommen. Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl (54) empfängt BLICK in ihrem Berner Büro bei sommerlichen Temperaturen zum Interview.
BLICK: Heute beugt sich der Nationalrat über den umstrittenen AHV-Steuer-Deal. Weshalb unterstützt Economiesuisse diesen Kuhhandel?
Monika Rühl: Der Deal ist ein Paket der Politik, nicht der Wirtschaft.
Sie finden dieses Päckli also daneben?
Es ist ein aussergewöhnliches Paket. Aber wir unterstützen den Kompromiss – auch wenn wir nicht voll zufrieden sind. Weil der internationale Druck steigt, brauchen wir rasch eine Lösung bei der Unternehmensbesteuerung. Wir müssen die Sonderbesteuerung für ausländische Holdingfirmen abschaffen und den Kantonen neue Instrumente in die Hand geben.
Die Verknüpfung mit der AHV geht Ihnen aber gegen den Strich.
Natürlich stört uns diese Verknüpfung. Die Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform III hat aber gezeigt, dass es ohne einen solchen sozialen Ausgleich nicht geht. Eine Investition in die AHV ist aufgrund der prekären finanziellen Situation des Sozialwerks in jedem Fall nötig.
Die SVP schert nun aber aus. Selbst EMS-Chefin Magdalena Martullo-Blocher ist umgeschwenkt.
Dieser Schwenker ist unverständlich. Wir sind auf diese Steuerreform dringend angewiesen. Sie schafft einen Ausgleich: Grosse Unternehmen werden deutlich mehr Steuern zahlen – über zwei Milliarden Franken! Entlastet werden die KMU. Die SVP muss ihre Verantwortung als Wirtschaftspartei nun wahrnehmen und den Kompromiss mittragen.
Die SVP möchte nur die Steuerreform anpacken. Das muss doch in Ihrem Sinn sein.
Nein, ohne sozialen Ausgleich funktioniert es nicht. Es ist kein anderer Vorschlag in Sicht, der mehrheitsfähig wäre.
Die Lösung ist einfach: Die Kantone können in Eigenregie die Sondersteuern abschaffen, die Firmensteuern senken und einen sozialen Ausgleich schaffen. Die Waadt hat es vorgemacht!
Anders als beim Kompromiss erhalten die Kantone in diesem Fall aber auch kein Geld vom Bund. Kommt hinzu, dass wir heute einen regulierten Steuerwettbewerb haben. Mit Ihrem Vorschlag bleibt den Kantonen nur noch die Gewinnsteuersenkung. Es würde ein unkontrollierter Steuersenkwettbewerb zwischen den Kantonen einsetzen.
Eine liberale Traumvorstellung!
Nein, der Wettbewerb soll positiv wirken – dazu sind Leitplanken sinnvoll.
Im Nationalrat liegt ein Antrag vor, der auch gleich das höhere Frauenrentenalter ins Paket packen möchte. Unterstützen Sie das?
Nochmals: Wir unterstützen den vorliegenden Kompromiss. Das höhere Frauenrentenalter müssen wir mit der bereits aufgegleisten AHV-Reform anpacken.
Was auffällt: Im Gegensatz zu Economiesuisse steht der Arbeitgeberverband der Vorlage kritisch gegenüber.
Die AHV braucht mehr Geld, das wissen alle. Eine Erhöhung der Lohnprozente zugunsten der AHV schont das Portemonnaie der Bürger. Eine reine Mehrwertsteuererhöhung belastet die Haushalte mehr. Am Schluss braucht es also einen Mix aus Mehreinnahmen und leistungsseitigen Reformen – die Lohnprozente sind der erste Schritt.
Seit vier Jahren leitet Monika Rühl (54) Economiesuisse – als erste Frau. Keine einfache Aufgabe, hat der Wirtschaftsdachverband doch an Einfluss verloren und wird heute selbst von Bürgerlichen offen kritisiert. Doch Rühl ist hart im Nehmen: Als ihr grosser Traum, Primaballerina zu werden, scheiterte, wurde die Zürcherin Diplomatin. Sie arbeitete für die Uno, später für drei verschiedene Bundesräte.
Seit vier Jahren leitet Monika Rühl (54) Economiesuisse – als erste Frau. Keine einfache Aufgabe, hat der Wirtschaftsdachverband doch an Einfluss verloren und wird heute selbst von Bürgerlichen offen kritisiert. Doch Rühl ist hart im Nehmen: Als ihr grosser Traum, Primaballerina zu werden, scheiterte, wurde die Zürcherin Diplomatin. Sie arbeitete für die Uno, später für drei verschiedene Bundesräte.
Mit dem Kompromiss erhält die AHV mehr Luft. Die Linke kann dann getrost jede weitere Reform mit einem höheren Frauenrentenalter blockieren.
Nein, wir können uns eine solche Blockade schlicht nicht leisten. Die AHV muss schon allein aufgrund der demografischen Entwicklung reformiert werden. Hier ist auch von der SP Kompromissbereitschaft gefordert.
Aber beim EU-Rahmenabkommen herrscht Blockade. Wie lässt sich diese lösen?
Die Gewerkschaften haben mit ihrer Gesprächsverweigerung einen Scherbenhaufen angerichtet. Jetzt muss der Bundesrat aufzeigen, wie es weitergehen soll.
Soll er die Verhandlungen auf Eis legen?
Nein, er muss die Verhandlungen mit der EU weiterführen. In vielen Bereichen ist man sich ja bereits einig. Vielleicht ist ein Rahmenabkommen light möglich, das zwar die flankierenden Massnahmen ausklammert, aber ein Schiedsgericht und die laufende Rechtsanpassung vorsieht.
Die flankierenden Massnahmen bleiben doch ein Stolperstein.
Die Flankierenden sind ein Knackpunkt, ja. Allenfalls muss der Bundesrat das Verhandlungsmandat diesbezüglich anpassen. Damit könnte er Brüssel signalisieren, dass man sich mit dem Thema weiter auseinandersetzt, aber mehr Zeit braucht, um alle Involvierten miteinzubeziehen.
Sie müssen vor allem die SP zurück ins Boot holen.
Die Entwicklung in der EU geht doch genau in die von der SP gewünschte Richtung: Der Lohnschutz wird gestärkt. Da muss sich eine Lösung finden lassen. Aber dafür müssen alle bereit sein, gemeinsam an einen Tisch zu sitzen. Insbesondere die Gewerkschaften.
Hand aufs Herz: Die Schweiz kann doch auf ein Rahmenabkommen getrost verzichten.
Nein, nicht, wenn wir den bilateralen Weg sichern und weiterentwickeln wollen. Aber wir brauchen ein gutes Abkommen, das mehrheitsfähig ist. Wenn es dafür mehr Zeit braucht, dann müssen wir uns diese nehmen.
Im Moment ist Economiesuisse grad an vielen Stellen gefordert: Bauernpräsident Markus Ritter hat Ihrem Verband Lügenmärchen vorgeworfen.
Ganz offensichtlich ist Markus Ritter unter Druck. Der Bauernverband beschliesst zu beiden Ernährungsinitiativen Stimmfreigabe, und der eigene Präsident weibelt für zweimal Ja bei Fair-Food und Ernährungssouveränität. Das kommt bei der Basis schlecht an. Und wenn man wie Ritter unter Druck ist, startet man halt Ablenkungsangriffe.
Hat Markus Ritter inhaltlich unrecht? Ihr Verband behauptet, die Lebensmittel würden 50 Prozent teurer. Diese Zahl ist doch masslos übertrieben.
Nein, auch der Bundesrat und Konsumentenorganisationen warnen vor steigenden Preisen und weniger Auswahl.
Aber die Landesregierung kann den Preisanstieg nicht beziffern. Die 50 Prozent von Economiesuisse sind aus der Luft gegriffen.
Wir haben versucht zu beziffern, was das erklärte Ziel der Grünen – den Bio-Standard für alle Produkte einzuführen – die Konsumenten kostet. Aber jeder Preisanstieg trifft jene Bevölkerungsteile hart, die heute schon aufs Portemonnaie schauen müssen. Hinzu kommt, dass Bundesbeamte die Standards in den Herkunftsländern der Lebensmittel überprüfen müssten.
Oder ganz einfach Labelorganisationen, wie dies heute schon gang und gäbe ist.
Ja, nur gibt es viele unterschiedliche Labels: Welches würde dann gelten? Es gäbe sicher mehr Bürokratie. Gefährlicher ist, dass die Fair-Food-Initiative Probleme schafft mit dem Agrarabkommen mit der EU und WTO-Bestimmungen verletzt. Geradezu absurd ist die Ernährungssouveränität, die unter anderem den Staat verpflichtet, für mehr Jobs in der Landwirtschaft zu sorgen.
Wollen Sie denn lieber weniger Schweizer Bauern?
Nein, aber unsere Landwirtschaft ist in einem Strukturwandel. Dieser wird bereits abgebremst durch die staatlichen Subventionen und den sehr hohen Grenzschutz. Wir sagen nicht, dass es eine Beschleunigung dieses Wandels braucht – er findet so oder so statt. Aber was man mit der Ernährungssouveränität will, ist diesen mit zusätzlichen Staatsgeldern umzukehren. Am Ende wären die Bauern Beamte statt Unternehmer. Das wollen sie ja selbst nicht sein.
Letzte Woche zeigte AvenirSuisse, was aus ihrer Sicht die Landwirtschaft kostet, nämlich 20 Milliarden. Stützen Sie diesen Befund?
Nein, wir haben eine andere Sicht als Avenir Suisse. Natürlich braucht es eine grössere Bereitschaft unserer Bauern für mehr Marktöffnung. Diese soll aber schrittweise und massgeschneidert pro Freihandelspartner erfolgen. Wir sind zuversichtlich, diesen pragmatischen Weg zusammen mit den Bauern gehen zu können.
Aber das Ziel ist klar. Langfristig möglichst viel Freihandel!
Wir haben eine exportorientierte Wirtschaft. Rund die Hälfte unserer Exporte geht in die EU, die andere verteilt sich weltweit. Wollen wir vom «Klumpenrisiko EU» wegkommen, brauchen wir einen besseren Zugang zu anderen Märkten. Auch die Bauern könnten durch einen besseren Marktzugang im Ausland mehr verdienen.
Da freut es Sie, dass die Wirtschaftskommission Bundesrat Schneider-Ammann empfahl, Freihandelsgespräche mit den USA auszuloten, von denen die Landwirtschaft explizit ausgeschlossen ist, oder?
Es ist eher suboptimal, Freihandelsgespräche mit einem so eingeschränkten Mandat zu sondieren. Wir müssen den USA sagen, wir möchten reden, aber bitte nicht über alles? Das Risiko ist hoch, dass uns die USA einen Korb geben oder sich ausbedingen, gezielt einige Agrarprodukte in die Schweiz zu liefern. Ich hätte es realistischer gefunden, dem Wirtschaftsdepartement einen offenen Auftrag zu geben.
Die SVP-Fraktion hat sich gestern mit 33 zu 13 Stimmen gegen das «Päckli» ausgesprochen, wie Fraktionschef Thomas Aeschi (39) vor den Medien den Steuer-AHV-Deal nannte. Von einem Kuhhandel wollte er vor den Medien nicht reden, denn «das wäre ja etwas Erfreuliches – im Gegensatz zum ‹Päckli›».
Diese Meinung teilt aber rund ein Drittel seiner Fraktion nicht. Damit zeichnet sich ab, dass der Deal im Nationalrat mehrheitsfähig sein dürfte. Auch wenn gestern die Zürcher SVPler nicht in Bern, sondern in Zürich bei der Nomination ihres Regierungsratskandidaten weilten, dürfte auch insgesamt etwa ein Drittel der 68 SVP-Nationalräte für den Deal sein. Gerade Gewerbler und Romands unterstützen die Kompromisslösung des Ständerats. (pt)
Die SVP-Fraktion hat sich gestern mit 33 zu 13 Stimmen gegen das «Päckli» ausgesprochen, wie Fraktionschef Thomas Aeschi (39) vor den Medien den Steuer-AHV-Deal nannte. Von einem Kuhhandel wollte er vor den Medien nicht reden, denn «das wäre ja etwas Erfreuliches – im Gegensatz zum ‹Päckli›».
Diese Meinung teilt aber rund ein Drittel seiner Fraktion nicht. Damit zeichnet sich ab, dass der Deal im Nationalrat mehrheitsfähig sein dürfte. Auch wenn gestern die Zürcher SVPler nicht in Bern, sondern in Zürich bei der Nomination ihres Regierungsratskandidaten weilten, dürfte auch insgesamt etwa ein Drittel der 68 SVP-Nationalräte für den Deal sein. Gerade Gewerbler und Romands unterstützen die Kompromisslösung des Ständerats. (pt)