Mit 52,3 Prozent nahm das Schweizer Stimmvolk im November 2010 die Ausschaffungs-Initiative an. Ausländer, die wegen einer Straftat verurteilt werden, sollten fortan das Land verlassen müssen. Wie viele wirklich betroffen wären, blieb damals im Dunkeln.
Fünf Jahre später debattiert die Schweiz über die Durchsetzungs-Initiative. Wieder sind kriminelle Ausländer das Thema. Und wieder arbeiten Gegner wie Befürworter mit Mutmassungen und Annahmen.
Zahlen und Fakten wären von grösstem öffentlichem Interesse: Aus welchen Ländern kommen die Ausländer, die in der Schweiz verurteilt werden – und kann man sie dorthin zurückschaffen? Antworten könnte die Strafurteilsstatistik des Bundesamts für Statistik (BFS) liefern. Darin wird bei verurteilten Ausländern das «Herkunftsland» festgehalten. Doch das BFS weigert sich, diese Angaben zu publizieren. In der Urteilsstatistik unterscheidet es lediglich zwischen Ausländern und Schweizern – und führt nicht, wie etwa in der Polizeilichen Kriminalstatistik, die Nationalität der Straftäter auf.
Weshalb mauert das Bundesamt gerade bei diesem politisch umstrittenen Thema? Auf mehrmalige Nachfrage von SonntagsBlick schreibt Isabel Zoder, Bereichsleiterin Justiz und Urteile beim Eidgenössischen Departement des Inneren: «Eine Publikation der einzelnen Nationalitäten würde suggerieren, dass die Nationalität das kriminelle Verhalten beeinflusst.» Deshalb könne man die Zahlen nicht veröffentlichen.
SonntagsBlick gab sich damit nicht zufrieden – und versuchte, über das Öffentlichkeitsgesetz Einsicht in die Statistiken zu erhalten. Das Bundesamt brauchte nur zwei Tage, um das Gesuch abzuweisen, dieses Mal mit einer neuen Begründung, bei der sich das Amt auf «spezielle Geheimhaltungsnormen» bezieht: «Bei der angefragten Statistik handelt es sich um schützenswerte sowie vertrauliche statistische Einzeldaten.» Deshalb dürfe nicht publik werden, aus welchen Ländern die verurteilten Straftäter kommen.
Georges-Simon Ulrich, Direktor des BFS, will sich gegenüber SonntagsBlick nicht äussern. Er schickt einen Sprecher vor, der namentlich nicht genannt werden will und erklärt, man habe das Interesse durchaus erkannt. Allerdings sei es schwierig, die Zahlen so aufzubereiten, dass sie vom Volk nicht missverstanden würden. Zudem arbeiteten nur rund 20 Experten in der zuständigen Abteilung. «Da kann so ein Projekt schon mal etwas dauern.»
Die SVP forderte schon 2006, dass Statistiken über die Nationalitäten krimineller Ausländer veröffentlicht werden. Das Parlament versenkte den Vorstoss. Vor der Abstimmung über die Durchsetzungs-Initiative fordern jetzt auch andere Parteien detaillierte Fakten: «Sicher wäre es sinnvoll, die Delinquenten nach Herkunft und nach Deliktart zu kennen», sagt Nationalrätin Kathy Riklin (CVP, 63).
FDP-Präsident Philipp Müller (63): «Wir wissen nicht, welche Auswirkungen Ausschaffungen auf die Bilateralen haben, wenn wir die Nationalitäten der Straftäter nicht kennen.» Die Begründung des BFS kann er nicht nachvollziehen. Müller: «Wenn nur die Zahl, nicht aber die Namen genannt werden, ist der Persönlichkeitsschutz gewährleistet.»
Sogar Nationalrätin Min Li Marti (SP, 41) ist für die Publikation der Statistik. Sie reichte vor einem halben Jahr im Zürcher Gemeinderat ein Postulat ein, nach dem die Polizei nach einem Verbrechen die Nationalität des Täters nicht mehr nennen soll. «Es ging dabei um den Einzelfall, wo die Nennung der Herkunft keinen Erkenntnisgewinn bringt», sagt sie. «Wenn aber alle Daten detailliert ausgewertet und präsentiert werden, ist das unproblematisch.»
Der gleichen Ansicht ist die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus: «Die Veröffentlichung von Informationen zur Staatsbürgerschaft von Verurteilten ist an und für sich nicht rassistisch und verstösst nicht gegen die Rassismusstrafnorm», so Vizepräsidentin Sabine Simkhovitch-Dreyfus (62). Problematisch werde es, wenn die Art und Weise, wie solche Angaben dargestellt und verwendet werden, irreführend ist. «Wenn sie zum Beispiel andere wichtige Faktoren ausser Acht lässt, zu Verallgemeinerungen führt oder Vorurteile schürt.»
Kurz vor der Abstimmung über die Durchsetzungs-Initiative sind nur grobe Unterteilungen möglich. So wurden 2014 laut BFS 42289 Schweizer verurteilt, das entspricht 42,5 Prozent aller Verurteilten. 57,5 Prozent waren Ausländer. Noch deutlicher ist der Unterschied in den Gefängnissen. 31,2 Prozent aller Häftlinge waren im Jahr 2014 Schweizer, 68,8 Prozent Ausländer. Aus welchen Ländern sie kommen? Das weiss nur das Bundesamt für Statistik. Bislang. Denn SonntagsBlick bleibt dran und wird Rekurs gegen den Geheimhaltungsentscheid des BFS einlegen.